Gewerkschafts-Studie zum Niedriglohnsektor:Prekariat ist überall

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Die IG Metall schlägt Alarm: Unsichere Arbeitsverhältnisse fressen sich immer tiefer in die Jobwelt - und bedrohen nach Ansicht der Gewerkschaft das Rentensystem. Nicht nur Pförtner oder Kantinenmitarbeiter sind betroffen, sondern mittlerweile auch Ingenieure.

Jannis Brühl, Berlin

Gewerkschaften haben es derzeit schwer: Die Arbeitslosenzahlen sprechen auf den ersten Blick dafür, dass vieles bleiben kann, wie es ist. Erst am Donnerstag hatte die Bundesagentur für Arbeit bekannt gegeben, dass die Krise nur langsame und geringe Auswirkungen auf den deutschen Jobmarkt habe.

Die IG Metall konterte an diesem Donnerstag: Nicht das Ausmaß der Beschäftigung sei das Problem, sondern ihre Qualität. Die Gewerkschaft präsentierte eine Umfrage, nach der sich "prekäre Arbeit" immer tiefer in die Jobwelt frisst. Sie hat Antworten von 4000 Betriebsräten ausgewertet: Mehr als die Hälfte gaben an, ihr Unternehmen stelle Mitarbeiter befristet ein. Jedes dritte Unternehmen setze auf Leiharbeit, sieben Prozent auf Werkverträge. Detlef Wetzel, zweiter IG-Metall-Vorsitzender, prophezeite bei der Präsentation der Zahlen, dass das Rentensystem kollabieren werde, falls sich der Niedriglohnsektor weiter in dieser Geschwindigkeit ausdehne.

Deshalb forderte Wetzel, dass Gewerkschaften per Verbandsklagerecht gegen Leiharbeit kämpfen dürfen. Dann könnten sie arbeitnehmerfreundlichere Regeln einklagen. Bisher müssen der IG Metall zufolge einzelne Arbeitnehmer dagegen vorgehen, wenn sie etwa noch zu Leiharbeiter-Konditionen beschäftigt würden, obwohl Konjunkturspitzen längst vorbei seien, die Unternehmen sie aber als billige Kräfte behalten wollen.

Flankiert wurde die Vorstellung der Umfrage von eine Analyse des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen. Zwischen 2000 und 2010 sind demnach die Reallöhne der untersten 30 Prozent der Einkommenspyramide um mehr als zehn Prozent gesunken. Immer mehr Jugendliche seien von Niedriglöhnen betroffen.

Nicht nur Pförtner oder Kantinenpersonal würden per Werkvertrag ausgelagert, ergab die Betriebsräte-Umfrage. Auch in Forschung, Entwicklung und im Ingenieursbereich arbeiteten immer mehr Menschen prekär. Der Anteil der Billig-Arbeiter mit Berufsausbildung ist laut IAQ von 17 auf 24,7 Prozent gestiegen.

Wetzel nannte die Behauptung, Billig-Jobs seien nur für Geringqualifizierte da, "Propaganda": "Der einzige Bereich, der noch frei von Leiharbeit ist, sind Geschäftsführer- und Vorstandsebenen."

© SZ vom 29.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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