Geplanter Börsengang:Spotify bricht alle Regeln - und schadet den Banken

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Musik hören viele Menschen mittlerweile auf ihrem Handy - auch dank Spotify. Das Unternehmen ist zwar der meistgenutzte Dienst, macht aber trotzdem Verluste. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Der Streamingdienst will an die Börse und ignoriert dabei alle Traditionen. Andere könnten es ihm nachmachen - und der Wall Street eins auswischen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Mit radikalen Umstürzen kennen sich Daniel Ek und Martin Lorentzon wahrlich aus. Deshalb ist es wohl kein Wunder, dass sie nun auch beim Gang an die New Yorker Börse so ziemlich alle Regeln brechen, die bisher galten. In wenigen Wochen schon sollen gewöhnliche Kapitalanleger erstmals Anteilsscheine ihres Musik-Streamingdienstes Spotify erwerben können. Doch nichts läuft bei dieser Emission so, wie man es kennt: Die schwedischen Firmengründer lehnen es ab, ihr Unternehmen Großinvestoren vorab zu präsentieren. Es wird keinen sorgfältig austarierten Ausgabepreis, keine Begleitung eines Trosses von Investmentbanken und keine Käufe zur Stützung des Kurses geben. Stattdessen planen Ek und Lorentzon ein Experiment, das in der Tech- wie in der Finanzbranche mit Argusausgen beobachtet wird - und zum Teil mit großer Sorge.

Die beiden Gründer können sich die Extravaganz offensichtlich leisten, denn auf den ersten Blick ist die Spotify-Geschichte eine Erfolgsstory, wie Börsianer sie sich kaum schöner malen könnten. Die Stockholmer Firma machte Musikstreaming, bei dem Titel direkt aus dem Netz etwa aufs Handy gespielt werden, massentauglich und krempelte die Industrie damit völlig um. In den USA, wo Spotify seit 2011 aktiv ist, stieg der Anteil der Streaming-Einnahmen am Gesamtumsatz der Musikindustrie von damals neun auf heute 53 Prozent. In Deutschland sind es immerhin fast 35 Prozent. Spotify hat mittlerweile Verträge mit allen großen Plattenfirmen, ist in 61 Ländern aktiv und weltweit die klare Nummer eins: Ende 2017 hatte die Firma 71 Millionen zahlende Abo-Kunden und 159 Millionen monatliche Nutzer. Die Nummer zwei der Branche, Apple Music, kommt gerade einmal auf halb so viele Abonnenten.

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Die Erfolgsgeschichte hat allerdings einen gewaltigen Schönheitsfehler, der auch im jetzt vorgelegten Börsenantrag auffällt: Seit Jahren schreibt Spotify hohe Verluste - und mancher Experte kann bis heute nicht recht erkennen, wie Ek und Lorentzon das jemals ändern wollen. 2017 etwa steigerte der Dienst zwar den Umsatz um 39 Prozent auf 4,1 Milliarden Euro. Diesen Einnahmen stand jedoch ein kaum verrückbarer Kostenblock von 3,2 Milliarden Euro für Lizenzzahlungen etwa an Plattenfirmen gegenüber, der kaum Raum für andere Ausgaben wie Gehälter, Produktentwicklung und Marketing lässt. Unter dem Strich blieb deshalb ein nochmals höherer operativer Verlust von 378 Millionen Euro.

Das Dauerminus könnte ein Grund sein, warum die Spotify-Macher auf die übliche "Roadshow" bei Banken- und Fondsvertretern lieber verzichteten. Stattdessen wählten sie den ungewöhnlichen Weg einer Direktplatzierung. Das heißt, dass interessierte Anleger vorab keine Preisspanne genannt bekommen, innerhalb derer die Anteilsscheine dann verkauft werden. Auch werden keine zusätzlichen Aktien ausgegeben - Neuinvestoren werden also am ersten Handelstag nur zum Zuge kommen, wenn die Alteigentümer bereit sind, einen Teil ihrer Wertpapiere zu verkaufen. Anders als sonst, gibt es umgekehrt keinerlei Klausel, die den bisherigen Aktionären Verkäufe vorübergehend verbietet. In der Börsenanmeldung wird deshalb eingeräumt, dass der Aktienkurs in den ersten Wochen stark schwanken könnte. Auch seien "deutliche und rapide Kursverluste" möglich.

Den einzigen Hinweis darauf, wie viel in etwa die Papiere kosten könnten, liefern die Privatgeschäfte der Alteigentümer aus den vergangenen Monaten. Laut Börsenanmeldung bewegte sich der Preis im Zeitraum vom 1. Januar bis 22. Februar 2018 in einer Spanne von 90 bis 132,50 Euro. Hochgerechnet ergäbe sich damit ein Unternehmenswert von bis zu 23 Milliarden Euro.

Erst krempeln sie die Musikbranche um, jetzt die Finanzindustrie

Der Verzicht auf das übliche Prozedere erspart Spotify Beratungskosten von schätzungsweise 60 bis 70 Millionen Euro. Überhaupt wirken mit Goldman Sachs, Morgan Stanley sowie Allen & Co. gerade einmal drei Investmentbanken an der Emission mit, deutlich weniger als üblich. Sie müssen sich angeblich mit rund 35 Millionen Dollar an Gesamthonoraren begnügen, ein Drittel dessen, was der ähnlich große Börsengang des US-Mitteilungsdienstes Snap 2017 einbrachte. Entsprechend groß ist in der Branche die Sorge, dass das Beispiel Schule macht und auch andere Börsenkandidaten wie der Taxidienst Uber oder der Zimmervermittler Airbnb Direktplatzierungen erwägen. Schon 2016 und 2017 war das sogenannte IPO-Geschäft für die erfolgsverwöhnten Investmentbanken so schlecht gelaufen wie selten zuvor. Bereinigt man die Zahlen um die Inflationsraten, erreichten die Gesamteinnahmen der Branche 2017 nach Berechnungen der Analysefirma Dealogic gerade einmal 43 Prozent des Werts aus dem Jahr 2000.

Firmen wie Uber und Airbnb, die bisher auf einen IPO verzichteten und lieber jenseits der Börse Geld von Investoren einsammelten, werden den Weg, den Spotify eingeschlagen hat, deshalb gleich doppelt aufmerksam verfolgen: Klappt die Direktplatzierung? Und wenn ja, welchen Einfluss werden Neuaktionäre, darunter womöglich hochspekulative Hedgefonds oder sogenannte aktivistische Investoren, auf den künftigen Kurs des Unternehmens haben?

Um eine Einschränkung des eigenen Einflusses auf ihr Ziehkind zu verhindern, haben die Firmengründer Ek und Lorentzen vorgebaut: Obwohl sie gemeinsam nur etwa 39 Prozent der Aktien besitzen, wollen sie auch künftig bis zu gut 80 Prozent der Stimmrechte kontrollieren. Umstürzler und kreative Zerstörer bleiben sie dennoch, wie dem Wall Street Journal, der Haus- und Hofzeitung der großen US-Finanzkonzerne, schon vor Wochen schwante: "Spotify hat die Musikwelt mit seinem populären Streamingdienst auf den Kopfgestellt", schrieb das Blatt im Januar. "Nun hat es dasselbe mit der Wall Street vor."

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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