Auf den Autobahnraststätten, an denen er in der Dämmerung hält, sieht Lastwagenfahrer Heinz-Josef Thoben, wie sich die internationale Konkurrenz verhält. Er erkennt es an den Männern, die selbst am Wochenende auf die Pritsche in ihrem Führerhaus klettern. Es gibt einen Unterschied zwischen den Jobs dieser ausländischen Fahrer und seinem eigenen. Thoben sieht ihn auch dann, wenn er die Kollegen als Landesvorsitzender der norddeutschen Kraftfahrergewerkschaft berät.
Die Arbeitsverträge, die Spediteure mit deutschen und mit ausländischen Fahrern schließen, sehen zwar auf den ersten Blick ähnlich aus: In beiden Dokumenten steht ein Mindestlohn und eine maximale Arbeitszeit.
Lohnentwicklung:Die Schere ruht
Die gute Nachricht: Die Lohnspreizung scheint zum Erliegen gekommen: Niedrige Löhne steigen genauso stark wie hohe. Die schlechte: Dazwischen liegen Welten.
Doch die Mitarbeiter aus anderen EU-Staaten bekämen häufig noch einen zweiten Vertrag, sagt Thoben. Eine inoffizielle Vereinbarung. Statt des üblichen Lohns zwischen 1200 und 2200 Euro im Monat erhalten diese Kollegen mit ihrem Zweitvertrag bloß ein paar Cent pro Kilometer. Für Übernachtungen gibt es gar nichts. 500 bis 600 Euro verdienen sie auf diese Weise monatlich, schätzt Thoben. "Das ist eigentlich ein Verbrechen", sagt er.
Der Zoll sieht das genauso. Im Transportgewerbe, bei Speditionen, Logistikunternehmen und in der Personenbeförderungsbranche ist Schwarzarbeit nach wie vor stark verbreitet, heißt es in einem Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung, den das Kabinett am Mittwoch beschlossen hat. Hier stehen aber nicht nur Fernfahrer im Fokus, im Gegenteil: "Nahezu alle, insbesondere lohnintensive Wirtschaftszweige" seien von Schwarzarbeit betroffen, heißt es vom zuständigen Bundesfinanzministerium.
Insbesondere seien auch Bauarbeiter, Mitarbeiter von Gaststätten und Hotels, Schausteller, Putzkräfte und die Arbeiter in Schlachtereien häufig illegal beschäftigt. Trotz aller Bemühungen belief sich die Schadenssumme in Verbindung mit Schwarzarbeit im vergangenen Jahr auf insgesamt 875,6 Millionen Euro, heißt es in dem Bericht. Bei der letzten Untersuchung vor vier Jahren waren es noch 799,1 Millionen Euro.
Manche Firmen rechnen Kost und Logis in die Bezahlung mit ein oder verteilen Gutscheine
Allerdings konnte der Zoll auch mehr illegale Beschäftigungsverhältnisse aufdecken. Die Zahl der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren stieg von knapp 95 000 im Jahr 2013 auf rund 107 000 im vergangenen Jahr. Auch die Summe der Geldstrafenwuchs in diesem Zeitraum von gut 71 auf fast 83 Millionen Euro im Jahr. Die Konstruktionen, mit denen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter schwarz beschäftigen, gehen dem Bericht zufolge weit über die Arbeit für bares Geld hinaus. Weit verbreitet sei etwa die Scheinselbstständigkeit, bei der Arbeitgeber auf die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verzichtet und der Arbeitnehmer auf dem Papier wie ein freier Auftragnehmer wirkt.
Im Schwarzarbeit-Bericht spielt erstmals auch die Umgehung des Mindestlohns, der 2015 eingeführt wurde, eine wichtige Rolle. Zollbeamte stellten eine ganze Reihe "besonderer Vorgehensweisen" fest, die Firmen nutzten, um sich um die Zahlung des gesetzlichen Lohns zu drücken. So rechneten sie etwa Kost und Logis in die Bezahlung mit ein, vergüteten Arbeitsstunden mit Einkaufsgutscheinen statt mit Geld oder nutzten Praktikanten-Verträge, um Mitarbeiter billig zu beschäftigen. Dem Finanzministerium ist auch eine "Pauschalvergütung ohne Berücksichtigung des Mindestlohns und der Arbeitszeit bekannt", so wie sie zum Beispiel der Lübecker Zeitungszusteller Stefan Becker erlebte, als vor drei Jahren der Mindestlohn in Kraft trat.
Becker, der seinen echten Namen nicht nennen möchte, hatte auch vor der Umstellung nicht viel mit seinem Nebenjob verdient. Doch seit "Mindestlohn" in seinem Arbeitsvertrag steht, war es noch weniger. Becker ist Zeitungsbote und seit einigen Jahren zugleich auch Briefbote, "Hybridzusteller" nennt das sein Arbeitgeber. An sechs Tagen in der Woche steht Becker um 4 Uhr auf und sortiert auf seinem Küchentisch Briefe und Magazine, Reklame und Zeitungen. Dann steigt er auf sein altes Herrenrad und fährt durch eines der Dörfer im Lübecker Umland.
2014 hat Becker für diesen Job mal 144 Euro im Monat bekommen, mal 156 Euro - je nach dem, wie viele Briefe er verteilte. Als 2015 der Mindestlohn eingeführt wurde, stand auf seiner Abrechnung nur noch ein Betrag von 140 Euro. Selbst wenn er jeden Tag nur eine Stunde arbeiten würde, käme er damit auf einen Lohn von 5,83 Euro. In seinem neuen Arbeitsvertrag, den er zum Januar 2015 geschickt bekam, fand er nun eine mathematische Formel: "Wegstrecke/Geschwindigkeit x tagesbezogener individueller Mindestlohn." Das Ergebnis heißt dort "Wegelohn". Was das bedeuten solle, fragte Becker bei der Betriebsversammlung. Man sei die Strecken abgefahren, habe man ihm geantwortet.
Pauschale Wegstrecken sind eine der üblichsten Methoden, um die Löhne von Boten zu drücken
Der Branchenexperte Andreas Fröhlich von der Gewerkschaft Verdi sagt, das Ausrechnen von pauschalen Wegstrecken sei eine der üblichsten Methoden, um die Löhne der Boten zu drücken. Der Zoll sei in diesem Bereich jedoch fast machtlos. Die Beamten seien schließlich auf die Dokumentation der Arbeitgeber angewiesen. Einen Zeitungsboten im Arbeitsalltag zu begleiten, sei kaum möglich.
Auch die Bundesregierung weist auf eine hohe Dunkelziffer im Bereich der Schwarzarbeit hin. Das Finanzministerium beruft sich auf das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Tübingen, dass den Umfang der sogenannten Schattenwirtschaft im letzten Jahr auf 336 Milliarden Euro schätzte. Er sei leicht gesunken.