Gebäudesimulation:Interaktive Reise in virtuelle Welten

Lesezeit: 3 min

Mit dem neuen Raytracing-Verfahren lassen sich Einflüsse auf Gebäude besser erkennen als bisher.

Von Hannes Leonard

Schon heute entstehen Häuser nicht mehr am Reißbrett. Doch auf welche Neuerungen können sich Planer, Statiker und Architekten einstellen? An der Universität des Saarlandes in Saarbrücken ist die Zukunft bereits Realität. Mit seinem Team arbeitet der Graphikdesigner Philipp Slusallek am sogenannten Raytracing-Verfahren. "Damit produzieren wir auf Knopfdruck ein physikalisch korrektes Bild eines Modells", sagt Slusallek, "in Echtzeit".

Bisherige Computer und Graphikkarten zerlegen das Bild in eine Vielzahl kleiner Dreiecke. Sie werden anschließend mit den entsprechenden Pixel gefüllt, und schon sieht man das Bild. Da das bisher verbreitete Rasterisierungs-Verfahren allerdings nicht berücksichtigt, welches Bild davor oder danach kommt, kann es auch keine Schatten, Reflexionen oder Lichtspiele darstellen. "Um das indirekte Licht eines Deckenfluters zu simulieren, muss man bei der Rasterisierung ganz schön tricksen", sagt Slusallek.

Wenn der Chrom glänzt

Anders beim Raytracing: Das Verfahren ermöglicht es, dreidimensionale Modelle mit riesigen Datenmengen interaktiv und hochrealistisch darzustellen, zu bewegen und zu verändern. Die Technologie, die dahinter steckt, orientiert sich am natürlichen Sehen. Der Rechner schickt virtuelle Strahlen aus der Perspektive des Betrachters in das Bild. Dabei wird verfolgt, welche Objekte sie treffen, von wo das Licht einfällt oder bei welchem Punkt der Strahl endet. "Individuelle Lichtverhältnisse lassen sich so viel besser darstellen", ist sich Slusallek sicher.

Weil die Simulation von Licht so schwierig ist, sei schon mal eine Etage eines geplanten Parkhauses nachgebaut worden. Alles nur, um vor Baubeginn zu testen, wie man es am effektivsten beleuchten könnte, sagt Slusallek. "Das ist mit Raytracing nicht mehr nötig." Für Architekten bedeute das neue Verfahren einen großen Sprung - im Hinblick auf die Präsentation der Entwürfe vor den Kunden oder die Simulation von Gebäuden in ihrer Umgebung.

Bei Raytracing geht es darum, virtuelle Welten möglichst realistisch zu simulieren. Mit allem, was dazu gehört: Licht, Schatten, Spiegelungen und Reflexionen. Innenarchitekten können schon vor dem Bau zeigen, bei welchem Sonnenstand der Chrom-Wasserhahn in der neuen Küche besonders schön blitzen wird. Während Auftraggeber und Bauherren bisher vor allem die Außenhülle als Simulation präsentiert bekamen, wird es zukünftig ein Leichtes sein, das neue Eigenheim oder den Theaterneubau auch im Inneren erfahrbar zu machen.

Kombiniert man das Ganze mit Geländedaten und Fotos, die Laserscanner aus dem Flugzeug heraus aufgenommen haben, können geplante Häuser in ihrer zukünftigen Umgebung visualisiert werden. "Die Architekten müssen dann nur noch ihre Häuser in die virtuelle Umgebung stellen", sagt der Graphikdesigner Slusallek. Sie können dann am Bildschirm ablesen, ob der Neubau in die Umgebung passt und ob der geplante Giebel den Garten verschatten wird.

Allerdings gibt es Probleme mit den Daten aus der Luft. Bestehende Gebäude können damit nur schlecht dargestellt werden. Oft reicht die Auflösung der Bilder nicht aus. Außerdem muss das Flugzeug möglichst senkrecht über dem Gelände fliegen, damit die Landschaft auf den Fotos nicht verzerrt wird. Dann sind aber die senkrechten Hauswände auch nicht mehr sichtbar.

Aufnahmen aus dem Auto

"Google und Microsoft arbeiten sehr intensiv daran, die Datendichte zu erhöhen und mit möglichst wenig manuellem Aufwand daraus 3-D-Modelle zu rekonstruieren. Das wird aus der Luft nie gut funktionieren, man braucht wohl immer noch terrestrische Daten. Zum Beispiel Fotos, die aus einem Auto aufgenommen wurden", führt Slusallek aus.

Er und sein Team wollen nicht nur terrestrische Fotos einarbeiten. Künftig sollen verschiedene öffentliche Daten, zum Beispiel aus Katasterämtern, in einer 3-D-Simulation zusammenfassbar sein. Klar, denn in den Behördendaten schlummern noch viele interessante Informationen: wo genau welcher Baum steht oder wie tief die Abwasserleitung verlegt wurde. "Das sind oft Datenbanken ohne graphischen Zugang. Maximal liegen sie in 2-D vor, aber eben nicht in 3-D. Ziel ist es, diese Daten zu integrieren und für Architekten zugänglich zu machen", sagt Slusallek.

Auch auf der Baustelle könnte ein zukünftiges Einsatzgebiet für Raytracing-basierte 3-D-Welten liegen: "Es ist vorstellbar, alle Daten, die die verschiedenen Gewerke auf einer Baustelle benötigen, als 3-D-Simulation darzustellen", überlegt der Graphikdesigner weiter. Der Elektriker kann sich dann anzeigen lassen, in welcher Höhe das Stromkabel verlegt werden soll. Er sieht aber auch, wie tief er maximal die Wand öffnen darf, um die dahinterliegende Wasserleitung zu verschonen.

Noch ist ein normaler Bürorechner nicht in der Lage, mit einer solchen gewaltigen Datenmenge umzugehen. Aber auch an diesem Problem wird in Saarbrücken gearbeitet. Geplant ist, dass der Nutzer diese 3-D-Welten über einen normalen Webbrowser steuern kann. Beim Server-Based-Rendering berechnen leistungsstarke Server die einzelnen Bilder und senden diese in Echtzeit per Video-Streaming an den heimischen Rechner.

Doch bis es soweit ist, werden noch eine paar Monate vergehen. Solange kann man auch mit einer Datenbrille die 3-D-Welten betreten. Die Position der Brille im Raum wird von den Rechnern ermittelt und ein entsprechendes Bild auf das Innere der Gläser projiziert. Jeder Bewegung des Kopfs folgt dann auch das virtuelle Bild auf der Brilleninnenseite.

Gefördert wird das Projekt "Intelligente simulierte Realität" mit Geld, das das Bundesforschungsministerium bereitgestellt hat. Auch Chiphersteller Intel will seine ersten Universal-Graphikchips Raytracing-tauglich machen. Intel hat außerdem vor einigen Wochen verkündet, in den kommenden fünf Jahren etwa zwölf Millionen Euro in Saarbrücken zu investieren. Mit dem Geld soll ein Forschungszentrum für Visual Computing auf dem Campus der Hochschule Saarland entstehen.

© Süddeutsche Zeitung - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: