Fusion von Fiat und Chrysler:Nichts für Herzschwache

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Sergio Marchionne will Fiat und Chrysler verschmelzen. (Foto: Bloomberg)

Er hat Fiat vor sieben Jahren saniert, nun will Sergio Marchionne das Unternehmen mit dem US-Konzern Chrysler verschmelzen. Aber was geschieht nach der Fusion? Italiener sehen Marchionnes Abenteuer in den USA nicht als Chance, sondern als Bedrohung.

Von Ulrike Sauer, Rom

Ein Richter steht noch zwischen Sergio Marchionne und dem Erreichen seines Ziels. Donald Parsons muss den Kaufpreis für den Anteil festsetzen, den der Pensionsfonds Veba der Gewerkschaft an dem US-Autohersteller Chrysler hält. Dann kann Fiat-Chrysler-Chef Marchionne das Familienunternehmen Fiat mit dem Detroiter Autokonzern endgültig verschmelzen. Fiat wird die restlichen 41,5 Prozent der Chrysler-Aktien übernehmen - und die Verbindung der beiden Autohersteller ist perfekt: Es entsteht ein Konzern mit italienischem Hauptaktionär und amerikanischem Antrieb. Beide Unternehmen hat Marchionne vor dem Aus bewahrt.

Vor dem Retter liegt ein aufregender Sommer. Marchionne hat alle Vorbereitungen getroffen, um die Fusion so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Die Marktlage verschlechtert sich. Bislang haben die Chrysler-Gewinne die hohen Fiat-Verluste mehr als ausgeglichen. 700 Millionen Euro waren es 2012. Doch im ersten Quartal fiel der Konzerngewinn nach enttäuschenden Ergebnissen Chryslers auf 30 Millionen Euro. Auch in Brasilien, wo Fiat Marktführer ist, schwächt sich das Wachstum ab. Ein schlechter Zeitpunkt: Das Fusionsvorhaben ist gewagt.

15 Jahre nach der "Hochzeit im Himmel" zwischen Chrysler und dem Stuttgarter Autohersteller Daimler-Benz geht in Detroit wohl bald ein neuer amerikanischer Traum in Erfüllung. Für den damaligen Daimler-Chef Jürgen Schrempp wurde die Verbindung, die er so blumig beschrieben hatte, 1998 zum Albtraum. Nun sind die Voraussetzungen andere.

So viel wie möglich gemeinsam

Marchionne will den globalen Autokonzern Fiat-Chrysler in New York an die Börse bringen und das Hauptquartier von Turin nach Detroit verlegen, wo sich der umtriebige Chef mittlerweile vorwiegend aufhält. Seine Devise: so viel wie möglich gemeinsam machen.

Noch ringt Marchionne um den Kaufpreis. Er hat drei Milliarden Dollar geboten. Der Gewerkschaftsfonds Veba hat 4,3 Milliarden verlangt. Nachdem die Kurse bei den Konkurrenten Ford und General Motors seit fast einem Jahr steigen, bewertet der Schweizer Bankkonzern UBS den Veba-Anteil nun mit 4,5 Milliarden Dollar.

Die Verbindung der Unternehmen betrifft längst nicht nur die Autobranche: Was wird aus Italien, wenn Marchionne seine Fusion zu Ende bringt? Italien ist kein Auto-Land mehr, Turin keine Auto-Stadt. Im vergangenen Jahr hat Fiat in Italien 396.000 Autos hergestellt, dazu kamen 275.000 Nutzfahrzeuge. Das ist, zum Vergleich, weniger als ein Viertel der französischen Produktion und nur ein Zehntel der deutschen.

Die einzige ausgelastete Fiat-Fabrik in Italien steht in Grugliasco, vor den Toren Turins. Marchionne übernahm sie vom insolventen Luxus-Karosseriebauer Bertone, um dort die edle Marke Maserati zu fertigen. Das Turiner Stammwerk Mirafiori steht seit zwei Jahren praktisch still, die Fabrik im süditalienischen Melfi wird umgerüstet, in Pomigliano bei Neapel wird weiter in Kurzarbeit gefertigt, in Cassino beschäftigt Fiat die Arbeiter nur zwei Wochen im Monat.

Die Neuzulassungen auf dem wichtigen Heimatmarkt sind 2012 um weitere 20 Prozent gesunken. Der Abstieg ist beeindruckend: Vor einem Jahrzehnt lag Italien noch auf Platz elf der Produktionsländer weltweit. Nun ist es auf Rang 21 der Branche abgerutscht. Geschlossen wurde bisher nur ein Werk auf Sizilien. Irgendwann aber müssen die Kapazitäten der Nachfrage angepasst werden.

Geschieht das nach der Fusion? Die Italiener trauen den Fiat-Managern nicht. Sie erleben Marchionnes Abenteuer in den USA nicht als Chance, sondern als Bedrohung. Als Sanierer gefeiert, weil er Fiat vor sieben Jahren vor der Pleite bewahrte, hat Marchionne seinen Ruf als Retter einer strauchelnden Branche eingebüßt.

Harsch versuchte er, die Produktivität der italienischen Werke auf internationales Niveau zu bringen - das hat ihm das Image eines Finanzhais gebracht. Einen groß angekündigten Plan, 20 Milliarden Euro zu investieren, hat er rasch wieder verschwinden lassen, nun gibt es für die Modernisierung der Werke nur knapp drei Milliarden Euro. "Nur zwei italienische Werke erfüllen heute gängige Effizienzstandards", sagt Giuseppe Berta, Wirtschaftsprofessor an der Mailänder Universität Bocconi.

Das nährt Befürchtungen, Fiat könnte bald von Turin nach Detroit ziehen. Von 4,5 Millionen Autos stammen schon heute zwei Millionen aus Nordamerika und knapp eine Million aus Brasilien.

Fiat-Präsident John Elkann und Marchionne mussten kürzlich in Rom beim neuen Industrieminister Flavio Zanonato erscheinen, um die Regierung über die Konsequenzen der Fusion aufzuklären. Marchionne beteuerte, dass "keine Werksschließungen" geplant seien. Auto-Analysten gehen dagegen davon aus, dass ein bis zwei Standorte in Italien aufgegeben werden müssen, um Überkapazitäten abzubauen.

Dass sein Plan kühn ist, gibt Marchionne zu. Die Strategie sei "nichts für Herzschwache". Konkurrenten lästern: "Das schafft der nie." Das sagten sie allerdings auch 2009, als Fiat Chrysler übernommen hat. Und fünf Jahre zuvor, als Marchionne nach dem Tod von Gianni Agnelli zu dem Autohersteller nach Turin gerufen wurde, dem es damals miserabel ging.

Ruf nach dem Marshallplan

"Ohne Italien stünde Fiat besser da", hat Marchionne mal gesagt. Nun soll ihm plötzlich Italien am Herzen liegen: Wie nach dem Zweiten Weltkrieg müsse das Land den Gemeinschaftssinn wiederfinden und in einem kollektiven Kraftakt Verantwortung und Opfer teilen, forderte Marchionne kürzlich. Und rief nach einem neuen Marshallplan.

"Es gibt keinen Grund, warum wir zusammen keine neue Wiedergeburt herbeiführen können. Fiat wird als Erster seinen Beitrag dazu leisten", versprach er. Marchionne machte den Fiat-Mitarbeitern gar Hoffnung, zur Vollbeschäftigung zurückzukehren - in drei bis vier Jahren. "Die Auslandsaktivitäten sind ein Schutz für die nationale Produktion", sagte er. Ohne Globalisierung sei Fiat verloren. In Europa macht der Konzern seit dem Absatzeinbruch vor fünf Jahren Verluste.

Marchionne muss Fiat aus der Abhängigkeit vom alten Kontinent befreien. Er setzt darum ganz auf den Export. Italien soll attraktive Autos für die boomenden Überseemärkte produzieren. Den Anfang machte ein Verkaufsschlager, der Fiat 500.

Marchionne schickte die Neuauflage des Wagens nach Amerika, im TV-Spot sah man die knuffigen Miniaturautos die Amalfi-Küste entlangkurven und bei Sorrent unter Wasser gehen. In New York tauchten sie vor der Freiheitsstatue wieder auf und fuhren nach Brooklyn. Seit 2011 verkaufte sich der Fiat 500 in den USA mehr als 100.000 Mal. Nun kommen die große Version 500L und das Elektroauto 500e auf den Markt.

Die neue Perspektive verlangt von Fiat eine Strategiewende. Marchionne will Europas Fabriken besser auslasten mit der Produktion gehobener Modelle der Marken Alfa Romeo, Maserati und Jeep. Dort sind nicht nur die Gewinnmargen höher als bei den Fiat-Winzlingen. Auch der Wettbewerb ist weniger brutal.

Einfach wird das nicht: "Marchionne beschwört eine Perspektive in Amerika, die es für Fiat bisher nicht gab", sagt Wirtschaftsprofessor Berta. Die Turiner müssten einen völlig neuen Markt erschließen. Noch schwieriger wird, dass Fiat in kürzester Zeit hinter sich lassen soll, was mehr als ein Jahrhundert Kerngeschäft war: die Spezialisierung auf den Massenmarkt. Und das ausgerechnet in einem Moment, in dem die bevorstehende Fusion alle Energie verbraucht.

Wer exportieren will, muss aber in Anlagen und Modelle investieren. Die Konzernmarken Alfa und Lancia müssen wiederbelebt werden. Selbst die Nobelmarke Maserati bietet derzeit nur ein Modell an, den Quattroporte für stolze 145.000 Euro. "Der Aufstieg von Audi hat gezeigt, dass solche Neupositionierungen erst nach Jahren hoher Investitionen gelingen", sagt Berta. Es wartet viel Arbeit auf Sergio Marchionne.

Chronik einer Verbindung

Januar 2009: Drei Monate nach der Lehman-Pleite musste die Regierung von Barack Obama entscheiden: Sollte sie Chrysler pleitegehen lassen oder dem einzigen Interessenten geben - Fiat-Chef Sergio Marchionne. Der hatte einen Monat zuvor seine Manager eingeschworen: Fiat könne die globalen Verwerfungen nur durch eine Fusion überleben. Am 20. Januar unterschreibt Marchionne den Vorvertrag zur Übernahme von Chrysler. In Washington und Detroit erlebt man den Fiat-Chef als unermüdlichen und aggressiven Verhandler. Fiat bezahlt den Einstieg nicht bar, sondern bringt Technologie und Management-Know-how ein. Mit 7,4 Milliarden Dollar Staatshilfe wird Chrysler schnell durch die Insolvenz gebracht. Fiat steigt durch den Zusammenschluss zum sechstgrößten Autohersteller auf. Marchionne hat die Branchenkrise de facto zur Gründung eines neuen Autoherstellers genutzt.

April 2011:Zwei Jahre nach dem Neustart meldet Chrysler seinen ersten Quartalsgewinn. Wo Daimler 2007 aufgegeben hat, hat Marchionne Erfolg - er verwandelt den US-Hersteller in ein profitables Unternehmen. Gerade rechtzeitig: Denn Fiat steckt in einer tiefen Absatzkrise, und so ist Chrysler der Strohhalm, an dem sich die italienische Konzernmutter festhält.

Juni 2013:Chrysler steigert im 39. Monat in Folge seine Verkaufszahlen und erreicht beinahe das Absatzniveau, das der Konzern 2007 vor der Krise verzeichnete.

© SZ vom 09.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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