Zumindest Martin Schulz gibt sich die Ehre. Am Montag ist der Präsident des EU-Parlaments zu Gast in Berlin, in der Nähe des Brandenburger Tors soll er eine Rede halten, über gemeinsame Werte in Europa. Schulz spricht und spricht, doch draußen vor der Tür wartet schon so ein gemeinsamer Wert: die gemeinsame, dreimillionenfache Ablehnung des transatlantischen Abkommens TTIP. Und das, glaubt man den Initiatoren, quer durch ganz Europa. Schulz nimmt die Unterschriften entgegen, umringt von Demonstranten. Das alleine ist schon ein Erfolg für die Bürger.
Demokratie und Rechtsstaat werden ausgehöhlt, kritisieren die TTIP-Gegner
Demonstration in Berlin:Alle gegen TTIP
Der Berliner Antifa-Aktivist läuft neben der Dame vom Bund Naturschutz Starnberg: Zur bisher größten Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP kamen mindestens 150 000 Menschen nach Berlin. Wer sind die TTIP-Gegner?
Ein Jahr lang hatte die Initiative Unterschriften gesammelt, für eine "selbst organisierte Europäische Bürgerinitiative". Denn den Status einer offiziellen "Europäischen Bürgerinitiative" - so etwas gibt es - hatte die EU-Kommission den Kritikern verwehrt. Dazu hätten sie schon ein konkreteres Anliegen vortragen müssen, urteilte Brüssel vor gut einem Jahr. Die Gegner, darunter das Kampagnen-Netzwerk Campact, Attac und der Verein Mehr Demokratie, wollten dagegen schlicht, dass die Verhandlungen gestoppt werden. Auch das bereits ausgehandelte Abkommen der EU mit Kanada, Ceta, dürfe nicht ratifiziert werden. "Wir wollen TTIP und Ceta verhindern, da sie diverse kritische Punkte wie Investor-Staat-Schiedsverfahren und Regelungen zur regulatorischen Kooperation enthalten, die Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen", verlangte die Initiative, die Brüssel nicht wollte. Nur sammelten die Gruppen danach trotzdem weiter Unterschriften, als ginge es immer noch um eine formelle EU-Initiative.
Dazu hätten sie binnen eines Jahres in sieben Mitgliedstaaten das nötige Quorum erreichen müssen, es liegt beim 750-fachen der Zahl der EU-Parlamentarier eines Landes. Am Ende übersprangen sie diese Hürde nach eigener Zählung in 23 von 28 Mitgliedstaaten. In Bulgarien hätten dreimal mehr Menschen unterschrieben, als für das Quorum nötig gewesen wären. Am Ende wurden es europaweit 3 284 289, knapp 3,3 Millionen. Die Zahl beeindruckt dann selbst den Präsidenten des EU-Parlaments. "Die Sorgen müssen wir ernst nehmen", sagt Schulz.
Geplantes Freihandelsabkommen:Lammert droht mit Nein zu TTIP
Der Bundestagspräsident verlangt mehr Transparenz. Wichtige Dokumente müssten EU-Mitgliedsstaaten und deren Parlamenten zugänglich sein. Darauf werde er "bestehen".
Mehr als 500 Partner hatten sich dem Bündnis angeschlossen, quer durch Europa. "Wir waren gezwungen, daraus eine Aktion in allen Staaten der EU zu machen", sagt Karl Bär, der für das Umweltinstitut München an den Vorbereitungen beteiligt war. "Damit haben wir nun eine Organisationskraft aufgebaut, mit der wir auch künftig arbeiten können." Bei künftigen TTIP- oder Ceta-Kampagnen könne man auf dieses Netzwerk aufbauen.
So hatte sich das die EU-Kommission sicher nicht gedacht. Anfang Oktober, zum offiziellen Ablauf der einjährigen Frist, hatten die TTIP-Gegner versucht, die Unterschriften in Brüssel zu übergeben. Packenweise schleppten sie Papier vor das Gebäude der Kommission. Doch kein Kommissar kam zur Übergabe, nicht der Kommissionspräsident, sondern ein einfacher Beamter. Mit dieser Initiative hat die EU-Kommission, die sich seit Monaten um mehr Transparenz bei den Verhandlungen bemüht, abgeschlossen. Vor Gericht kämpfen die Gruppen allerdings immer noch für die Anerkennung als "EBI", als Europäische Bürgerinitiative. Eine Klage liegt seit einem Jahr beim Europäischen Gerichtshof - auch, um künftigen Initiativen den Weg zu ebnen.
Mit der Aktion in Berlin aber sind die Initiatoren nun mehr als zufrieden. "Wir haben das Beste daraus gemacht", sagt Michael Efler von "Mehr Demokratie" - er hatte einst den EBI-Antrag eingereicht. Parlamentspräsident Schulz sagte zu, den Petitionsausschuss einzuschalten. Gelingt es, die Anliegen der Gruppen hier einzubringen, bekämen sie zumindest eine offizielle Anhörung im EU-Parlament. Damit wäre ein Teilziel der EBI erreicht - auch sie hätte eine solche Anhörung nach sich gezogen, hätte die Kommission nicht so gemauert. Und auch beim EU-Kanada-Abkommen Ceta hat Schulz den Gegnern Hoffnungen gemacht. Zumindest der so umstrittene Investitionsschutz solle nach Möglichkeit nachgebessert werden, verlangte der SPD-Mann. Das fordern Kritiker schon lange, um die Rolle von Schiedsgerichten und damit den Einfluss von Investoren zu begrenzen. Gut möglich, dass solche Änderungen mit der neuen kanadischen Regierung leichter zu erreichen sind als mit der alten. Eigentlich nämlich steht bei Ceta nur noch eine rechtliche Prüfung an.
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Als nächstes wollen die Sammler nun noch dem Europäischen Rat ihre millionenfachen Zweifel unterjubeln, dem Zirkel der Staats- und Regierungschefs. "Wir werden schon dafür sorgen, dass man uns hört", sagt Mit-Initiator Efler.