Freihandel:Brennende Zweifel

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Brandrodung am Amazonas: Der Raubbau Brasiliens im Regenwald hat die Handelspartner in Europa verärgert. Die Frage ist nur, ob sie genug Druck aufbauen. (Foto: Mayke Toscano/AFP)

Österreichs Parlamentarier wollen das EU-Mercosur-Abkommen blockieren - andere auch. Droht ein Drama wie um den Handelsvertrag Ceta?

Von Björn Finke und Alexander Hagelüken, Brüssel/München

Paukenschlag im österreichischen Parlament: Ein Ausschuss stimmt mit breiter Mehrheit gegen das umstrittene Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur. Dies würde die Regierung zwingen, in Brüssel ein Veto gegen den Vertrag einzulegen, der die größte Freihandelszone der Welt schaffen soll. Allerdings wählen die Österreicher kommende Woche ein neues Parlament. Und die EU-Mitgliedsstaaten entscheiden über den Vertrag wohl erst in anderthalb Jahren. Dennoch: Mancher sieht bereits eine Wiederauflage des Dramas um das Ceta-Abkommen mit Kanada, das 2016 fast scheiterte.

Die österreichischen Parlamentarier mehrerer Parteien kritisierten, der Mercosur-Vertrag diene vor allem der Exportwirtschaft, gehe aber zulasten der Umwelt und europäischer Bauern. Die Wiener Abgeordneten sind nicht die ersten, die das Abkommen mit den Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay kritisieren. Ende August drohten bereits Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der irische Regierungschef Leo Varadkar, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn und die slowakische Agrarministerin Gabriela Matečná, das Abkommen zu blockieren, das mehr als 90 Prozent der Zölle abschaffen und so Exporte ankurbeln soll. Grund waren die Brandrodungen im Amazonas-Regenwald, gegen die der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro nach Meinung vieler Kritiker nicht genug tut oder die er gar billigen soll.

Auch mögliche Nachteile für Europas Bauern treiben nicht nur Österreich um. So warnten die Regierungen Polens, Belgiens, Frankreichs und Irlands kurz vor der Grundsatzeinigung im Juni, Mercosur destabilisiere Europas Landwirtschaft.

Was bedeutet solche Skepsis für das Schicksal des Vertrags? Ein ähnlich bedeutsames Handelsabkommen, der Ceta-Vertrag mit Kanada, scheiterte vor drei Jahren beinahe. Und zwar am Widerstand der belgischen Region Wallonie, in der etwa dreieinhalb Millionen Menschen leben, 0,7 Prozent der EU-Bevölkerung. Die Wallonie kritisierte die Klagerechte für Konzerne. Nach Kompromissen in letzter Minute trat Ceta vor genau zwei Jahren vorläufig in Kraft. Europas Exporte nach Kanada stiegen 2018 gegenüber den vorangegangenen drei Jahren um 15 Prozent auf mehr als 40 Milliarden Euro. Das war ein doppelt so starker Zuwachs wie im Geschäft mit anderen Handelspartnern. Die Brüsseler Kommission wollte nach Cetas Beinahe-Tod 2016 erreichen, dass künftig klar geregelt wird, wann nationale Parlamente zustimmen müssen.

Eine Sprecherin sagte am Donnerstag zu dem Beschluss aus Wien, die Behörde kommentiere nie Debatten in Mitgliedstaaten. Nach der Grundsatzeinigung zu Mercosur im Juni arbeiten die Juristen daran, diese in einen Vertrag zu gießen, der dann übersetzt wird. Erst danach - frühestens Ende 2020 - beschäftigen sich die EU-Mitgliedsstaaten sowie das EU-Parlament damit; später müssen nationale Parlamente zustimmen.

Die deutsche Europaabgeordnete Anna Cavazzini von den Grünen klagt, das Abkommen werde die Rindfleischexporte aus Brasilien nach Europa weiter ankurbeln. Für die Weideflächen würden Wälder brandgerodet - daher gefährde der Vertrag "die grüne Lunge im Amazonasgebiet".

Anders argumentiert der Vorsitzende des zuständigen Handelsausschusses: "Wenn wir Brasiliens Präsidenten Bolsonaro an die Leine legen wollen, geht das nur mit rechtsverbindlichen Abkommen", sagt der SPD-Politiker Bernd Lange. "Das Abkommen zu stoppen rettet nicht den Regenwald." Lange verweist darauf, dass der Vertrag nicht nur Sozialstandards vorsehe, sondern die Länder auch auf die Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens verpflichte. Für Brasilien bedeutet dies, dass die Regierung die illegale Abholzung stoppen und Wälder aufforsten muss. Allerdings lege das Abkommen bisher keine Strafen bei Verstößen fest, klagt der Politiker. "Doch das können wir nachbessern, solange die Juristen daran arbeiten." Ohne solche Änderungen sei der Vertrag "nicht akzeptabel", aber würde der Text angepasst, habe er gute Chancen, in anderthalb Jahren von Mitgliedstaaten und Europaparlament akzeptiert zu werden.

Greenpeace fordert, den Entscheidungsprozess auszusetzen. "Das Nachhaltigkeitskapitel im Vertrag ist zu zahnlos, um den Amazonas-Staat Brasilien zu einer ernsthaften Klimapolitik zu bewegen", klagt Jürgen Knirsch. Das Vorsorgeprinzip, das Europas Verbraucher vor Umwelt- und Gesundheitsgefahren schützen soll, sei nicht wirksam im Abkommen verankert. Außerdem ließen die Korruptionsskandale in der brasilianischen Fleischwirtschaft nach wie vor an der effektiven Kontrolle hygienischer Standards zweifeln - das berge Gefahren für europäische Verbraucher. 2017 hatte die Polizei nach Razzien zahlreiche Gesundheitsinspekteure festgenommen, die ebenso wie Politiker bestochen worden sein sollen. Der JBS-Konzern gab zu, 200 Inspekteure jahrelang geschmiert zu haben. Europa bezieht schon heute über die Hälfte des Rindfleischs und Geflügels aus den Mercosurstaaten. Dieser Anteil könnte durch das Abkommen noch steigen.

Während Europa immer intensiver über das Abkommen debattiert, gibt es auch in Südamerika Ärger: Innerhalb des Mercosur wachsen ebenfalls die Spannungen. So beschimpft der brasilianische Staatschef Bolsonaro den Favoriten für die Präsidentenwahl in Argentinien Ende des Jahres, weil ihm dessen Politik zu links ist. Brasilien droht gar damit, den Wirtschaftsblock zu verlassen. Der wäre allerdings ohne die größte Volkswirtschaft Südamerikas bedeutungslos - und damit auch das Handelsabkommen mit Europa.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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