Als Abgeordneter im Bundestag schaut der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick bisweilen etwas neidisch auf Kollegen, die für andere Themen wie Energie oder Ernährung zuständig sind. Der Grund: Bei ihrer politischen Arbeit könnten sie schließlich auf viele Experten zurückgreifen und nicht nur auf die Interessenvertreter aus der Wirtschaft. "Beim Thema Finanzen gibt es eine große Lücke, da fehlt in Deutschland eine notwendige Gegenmacht zur Wirtschaftslobby", sagt Schick. Er will das ändern und hat sich deswegen zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Der 46-Jährige hat die Gründung der Bürgerbewegung Finanzwende e.V. initiiert und wird deren Alleinvorstand. Die gemeinnützige Organisation startet am 15. September, genau zehn Jahre nachdem mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die Finanzkrise begann. Schicks politische Biografie ist eng mit der Lehman-Pleite verbunden: Damals wurde er zum finanzpolitischen Sprecher seiner Fraktion gewählt.
Schick will sein Mandat für den Bundestag niederlegen - ein schwerer Schlag für die Grünen
Ende des Jahres wird Schick sein Bundestagsmandat niederlegen - ein schwerer Schlag für seine Fraktion. Schick wurde gerne als Redner eingeladen, häufig als Experte in den Medien zitiert, immer unter der Flagge der Grünen. Künftig will er für seine Bürgerbewegung sprechen, und es wird genügend Anlässe geben: Das Finanzsystem sei "weder nachhaltig, noch stabil und die nächste Finanzkrise programmiert". Leider fehle die für politische Veränderungen notwendige gesellschaftliche Unterstützung, seitdem die Bankenpleiten von den Titelseiten verschwunden und nur noch in Fachmedien Thema seien.
Noch immer würden Banken mit Steuergeld gerettet, existierten komplexe Produkte, seien Schuldenkrisen, Betrug und Steuertricks an den Finanzmärkten an der Tagesordnung. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD finde sich "nichts zur Regulierung der Finanzmärkte", kritisiert Schick. Selbst bestehende Regeln seien gefährdet. Gerade erst hat die Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy, vor einer wachsenden Deregulierungsstimmung für Banken gewarnt.
Ansprechen will die Bürgerbewegung alle Bürger, "die seit Ausbruch der Finanzkrise spüren, dass das Kräfteverhältnis in unserer Gesellschaft nicht stimmt, solange die Finanzbranche solch massiven Einfluss hat", sowie Geschädigte, etwa Opfer von Betrugsskandalen. Vorbilder sind Organisationen wie Foodwatch, Lobbycontrol oder die Deutsche Umwelthilfe. Man wolle sich für "grundlegende systemische Änderungen im Finanzsystem" einsetzen, heißt es im Konzept der Organisation. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass die Finanzkrise vorbei sei, sie suche sich nur gerade ihre nächsten Opfer.
Auf der Agenda stehen unter anderem eine umfassende Finanztransaktionssteuer auf alle Finanzmarktgeschäfte, einschließlich des Handels mit hochriskanten Derivaten, eine Finanzberatung von Kunden durch unabhängige Berater, die ähnlich wie Anwälte und Steuerberater ausschließlich dem Wohl ihrer Mandanten verpflichtet sind, die Einführung eines Lobbyregisters sowie die Eindämmung der Schulden durch wesentlich höhere Eigenkapitalanforderungen von zehn Prozent für Banken bei der Kreditvergabe. "Der Name ist Programm", sagt Mitglied Tadzio Müller, Klimaexperte bei der den Linken nahestehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Bürgerbewegung Finanzwende solle die Bildung einer sozialen Bewegung für eine Umgestaltung des Finanzsystems ermöglichen. Nur dann gebe es eine echte Chance für eine breite Debatte in der Gesellschaft, die wiederum Voraussetzung für einen Wandel sei.
Schon lange hält Schick die Gründung einer kampagnenfähigen Gegenmacht für den Finanzbereich in Deutschland für notwendig. Ursprünglich wollte er das Konzept der EU-Parlamentarier kopieren, die nach der Finanzkrise die Nichtregierungsorganisation Finance-Watch gegründet hatten, ohne selbst dabei mitzumachen. Mit der Zeit gewann Schick aber die Überzeugung, sich selbst in die Sache einbringen zu müssen, um ein solches Projekt in Deutschland verwirklichen und genügend kompetente Unterstützer finden zu können. "Von der Kompetenz hängt am Ende unsere Wirksamkeit ab", sagt Schick. Nur dann könne man der Finanzindustrie mit ihrer Vielzahl von Lobbyisten Paroli bieten und zugleich breite Teile der Bevölkerung für eine Finanzwende gewinnen.
Die Liste der Unterstützer ist prominent besetzt
Inzwischen gibt es einige kompetente Mitstreiter, sowohl im Aufsichtsrat als auch unter den Mitgliedern. Dazu zählen Wissenschaftler wie Martin Hellwig (ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Gemeingüter), Peter Bofinger (Mitglied des Sachverständigenrats) und Rainer Lenz (Vorstand Finance-Watch), Vertreter der Zivilgesellschaft wie Christoph Bautz (Vorstandschef von Campact), Antje Schneeweiß (Südwind Institut) oder Peter Eigen (Gründer von Transparency International) und Verbraucherschützer wie Axel Kleinlein (Bund der Versicherten). Sprecher des Aufsichtsrates wird Udo Philipp, ein ehemaliger Private Equity Manager. Bei dem überparteilichen Zusammenschluss sind unter anderem Norbert Blüm (CDU), Gesine Schwan (SPD) und Axel Troost (Linke) dabei - ebenso der DGB.
Unterstützung kommt auch von Heinrich Bedford-Strohm, dem Landeschef der Evangelischen Kirche in Deutschland, und dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP): "Profit ohne Wertschöpfung - das charakterisiert die Finanzmärkte heute viel zu oft. Es treibt unsere Gesellschaft auseinander statt eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen." Die Schaffung eines Gegengewichts zur Finanzindustrie trage "hoffentlich dazu bei, dass die gesellschaftlichen Interessen in der Finanzmarktpolitik stärker berücksichtigt werden", sagt Isabel Schnabel, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, aber selbst kein Mitglied der Bürgerbewegung Finanzwende.
Die Finanzierung des gemeinnützigen Vereins, der Teil des internationalen Finance-Watch-Netzwerkes wird, ist für drei Jahre gewährleistet und wird vor allem von der Schöpflin Stiftung, der Stiftung Finanzwende, der Hans-Böckler-Stiftung und der European Climate Foundation getragen. "Ob die Idee fliegt, hängt aber am Ende des Tages von der Bereitschaft von Bürgern ab, sich für eine Finanzwende zu engagieren", sagt Schick.