Finanzkrise:Bankenaufsicht warnt vor laxeren Regeln

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Morgengrauen in Frankfurt. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Wird die strenge Bankenregulierung just zehn Jahre nach der Lehman-Pleite gelockert? Europas Bankenaufseherin Danièle Nouy klagt, dass die Institute wieder stärker Gehör in der Politik finden.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra, Frankfurt

In Europas Bankenaufsicht wächst zehn Jahre nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die Furcht vor einer neuen Lockerung der strengen Finanzregeln. "In der Tat ist eine wachsende Deregulierungsstimmung zu spüren", sagte Danièle Nouy, Chefin der EZB-Bankenaufsicht, der Süddeutschen Zeitung. So verlange die Politik zum Beispiel, dass die Aufsicht streng auf Derivate in den Bankbilanzen achten solle - also auf jene oft riskante Finanzinstrumente, mit denen sich Banken gegen Preisschwankungen absichern, aber auch wetten können. Allerdings, bemängelt Nouy, gebe die Politik den Aufsehern dafür aber immer noch nicht die nötigen Instrumente in die Hand.

Schon lange kämpft die weltweite Bankenlobby darum, die seit der Krise eingeführten Regeln aufzuweichen. Dabei scheinen die Banker bei der Politik nun zunehmend Gehör zu finden, allen voran in den USA. Alles solle auf den Prüfstein, heißt es stets. Das mag im Detail gerechtfertigt sein, weil nicht jede der Abertausend Regeln sinnvoll ist, aber inzwischen schießen die Banken offenbar über das Ziel hinaus. "Das ist grotesk. Die Geschichte wiederholt sich", warnt Nouy. Nach einer Krise verlangten alle Seiten erst einmal mehr Kontrolle. Doch danach gerate leicht in Vergessenheit, weshalb die Vorschriften verschärft worden seien, sagt die Französin, deren Amtszeit zum Jahresende ausläuft. "Nun scheinen sich Politik und Gesetzgeber gegen eine vollständige Umsetzung der neuen Basel-III-Vorschriften für Banken zu sträuben. Das ist gefährlich."

Die strengen Eigenkapitalvorschriften unter dem Namen "Basel III" gelten als Abschluss der Regulierung, die nach der Finanzkrise beschlossen wurde. Die EU hat die Regeln für den Finanzsektor in den vergangenen zehn Jahren deutlich verschärft. Jetzt prüft Brüssel, inwieweit die Regeln zur Eigenkapitalausstattung der Banken verbessert werden könnten. Zudem geht es um revidierte Vorschriften zur Abwicklung maroder Finanzinstitute.

Die Kritik der Aufsichtschefin kommt zeitgleich mit der Warnung vor Lücken im Aufsichtssystem durch die "Group of 30". Der Denkfabrik führender Personen aus der Finanzbranche und Wissenschaft gehören Notenbanker wie EZB-Präsident Mario Draghi oder UBS-Verwaltungsratschef Axel Weber an. Die strengere Regulierung seit der Finanzkrise habe sich dem Gremium zufolge zu stark auf den traditionellen Bankensektor konzentriert und die Risiken anderer Kreditgeber und Finanzfirmen vernachlässigt. Die Rede ist vom "Schattenbankensektor", der enorm gewachsen ist. Dort haben sich Finanzfirmen angesiedelt, um der strengen Bankenregulierung zu entgehen - gleichzeitig machen sie jedoch bankähnliche Kreditgeschäfte. Schon seit Jahren wird eine bessere Aufsicht des Sektors diskutiert.

Finanzkrisen entstehen immer wieder durch die übermäßige Vergabe von Krediten, sei es an Unternehmen, sei es an Haushalte etwa zur Immobilienfinanzierung. Sobald die Konjunktur einmal einbricht, können Kreditnehmer ihre Schulden nicht mehr begleichen. Die Kredite werden "notleidend", was die Solvenz von Banken gefährden kann. Die EZB versucht seit Jahren des Problems Herr zu werden, doch nun fürchten die Aufseher, dass in Brüssel ausgerechnet die Regeln für faule Kredite in den Bankbilanzen zu lasch ausfallen könnten.

Der europäische Finanzsektor ächzt unter mehr als 700 Milliarden Euro an faulen Krediten, vor allem in Italien und Griechenland. Konkret geht es um eine technische Neuerung, die es aber in sich hat. Das aktuelle Regelwerk sieht vor, dass Banken, die einen Großteil ihrer faulen Kredite an Investoren verkaufen möchten, doppelt "bestraft" werden. Sie machen beim Verkauf einen Verlust, weil der Investor natürlich nicht den vollen Preis bezahlt. Darüber hinaus muss die Bank dann aber zusätzliche Verlustpuffer für die in der Bilanz verbleibenden faulen Kredite bilden. Das Institut wird dadurch zusätzlich ausgezehrt.

Woher kommt die nächste Krise?

Um Situationen zu vermeiden, in denen Banken aufgrund dieser Regelung die faulen Kredite lieber behalten als sie abzustoßen, schlägt das Europäische Parlament nun eine fünfjährige Ausnahmeperiode vor. In dieser Phase dürften die Banken nach einem Verkauf eines Kreditportfolios auf zusätzliche Kapitalrückstellungen verzichten. EU-Parlamentarier und SPD-Finanzexperte Peter Simon verteidigt die Neuerung. "Es geht bei der Regulierung nicht nur um die Peitsche, sondern auch um das Zuckerbrot", sagt er. Deshalb müsse ebenso sichergestellt werden, dass Banken von einem Verkauf ihrer faulen Kredite deswegen nicht absehen, weil sie diese dann alle abschreiben müssten. Ein hochrangiger Bankenaufseher, der nicht genannt werden wollte, sieht die Neuerung hingegen kritisch. Banken könnten sich von einem kleinen Teil der Kredite trennen. Der Großteil verbliebe mit unrealistisch hohen Bewertungen in den Bilanzen.

Sven Giegold, EU-Parlamentsabgeordneter der Grünen, hat die Aufweichung auf einem anderen Gebiet ausgemacht. "Für strengere Bankenregeln gibt es derzeit tatsächlich keine Mehrheiten in der EU", sagt der Finanzexperte. Er hält eine geplante Beschränkung bei der Abwicklung von Banken für besonders kritisch. Sozialdemokraten und Christdemokraten hätten durchgesetzt, dass Banken deutlich weniger Haftungskapital vorhalten sollen. Die Großbanken hätten sich durchgesetzt. "Dem Steuerzahler erweisen sie damit einen Bärendienst, denn bei der nächsten Bankpleite muss dann wieder der Staat einspringen", fürchtet der Grünen-Finanzexperte.

Die Frage ist auch, woher die nächste Krise kommt? Das weiß niemand. Nouy hat aber einen Verdacht: "Ich vermute, es könnte der Immobilienmarkt sein", sagte sie der lettischen Nachrichtenagentur Leta. In der Vergangenheit seien viele Krisen mit dem Immobilienmarkt verknüpft gewesen. Im Zuge der Niedrigzinspolitik der EZB sind vielerorts die Preise für Wohnimmobilien kräftig gestiegen. Auch das weckt Erinnerung an die Finanzkrise.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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