Fiat und Chrysler: US-Urteil:Rückschlag und Chance

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Im Extremfall könnte die Chrysler-Insolvenz noch scheitern, doch das US-Urteil gegen Fiat zeigt vor allem eines: Den Machtspielraum für Obamas Wirtschaftspolitik - und die Grenzen.

Nikolaus Piper

Es ist ein Rückschlag für die Wirtschaftspolitik von Präsident Barack Obama. In buchstäblich letzter Minute stoppte Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, die Übernahme des insolventen Autobauers Chrysler durch Fiat. Die Entscheidung bestand aus einem einzigen Satz: Die Übernahme wird vorerst nicht rechtswirksam.

Auf Halde: Chrysler befindet sich mitten im Insolvenzverfahren - doch dramatische Absatzprobleme quälen den Konzern schon seit Jahren. (Foto: Foto: AFP)

Jetzt prüft das Gericht, ob es eine Gruppe von Gläubigern hören wird, die sich bei dem von der Regierung organisierten Insolvenzverfahren für Chrysler benachteiligt fühlen. Im schlimmsten Fall kann sich die bereits als abgeschlossen angesehene Chrysler-Insolvenz noch Wochen hinziehen. Auch ein Scheitern der Übernahme durch den Fiat-Konzern ist nicht ausgeschlossen.

Es geht bei dem Verfahren um weit mehr als Chrysler. Das Gericht muss darüber entscheiden, welche Vollmachten der US-Präsident bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise hat und wann die Justiz eingreifen muss. Darf die Regierung zum Beispiel eine Gruppe von Gläubigern, etwa die Gewerkschaften, zu Lasten einer anderen, der Besitzer von Anleihen, begünstigen, wenn dies dem Überleben eines Unternehmens nützen könnte?

Im Zuge der Chrysler-Insolvenz wird die Autogewerkschaft UAW für die Forderungen ihres Gesundheitsfonds mit 43 Cent für jeden Dollar entschädigt und ist, wenn das Verfahren abgeschlossen wird, formell Haupteigentümer des Konzerns.

Die Inhaber von Anleihen, die nach bisheriger Rechtspraxis eigentlich vorrangig sein sollten, bekommen dagegen nur 28 Cent je Dollar. Dabei geht es, anders als die Regierung zunächst suggerierte, nicht darum, die Ansprüche von Opfern der Krise (Arbeiter) gegen die von Spekulanten (Anleihenbesitzer) abzuwägen. Die Pensionsfonds, die den Aufschub des Fiat-Deals erwirkt haben, verwalten die Renten von Lehrern, Polizisten und Staatsbediensteten. Gegeneinander stehen also die Ansprüche von Insidern (aktive und pensionierte Chrysler-Mitarbeiter) und Außenstehenden (Kapitalanleger).

Zur Debatte steht auch, ob die Regierung mit Geld, das eigentlich für die Rettung der Banken vorgesehen war, die Autoindustrie sanieren darf. Ein hartes Urteil in Sachen Chrysler wird die Kritiker des Insolvenzverfahrens beim wesentlich größeren General-Motors-Konzern ermutigen und könnte dessen Sanierung gefährden. Es ist damit der entscheidende Test für den Versuch von Obamas Autoteam, die Industrie mit "geordneten", von der Regierung orchestrierten Insolvenzen zu retten.

Das Verfahren hat nicht nur Bedeutung für die Autoindustrie. Sollte der Gerichtshof die Kläger noch einmal hören, würde er damit klarstellen, dass das Recht der Regierung, in die Wirtschaft einzugreifen, auch in Ausnahmesituationen eng begrenzt ist. Die klagenden Pensionsfonds vergleichen Chrysler explizit mit einem berühmten Fall aus dem Jahr 1952. Damals hatte der Oberste Gerichtshof den Anspruch von Präsident Harry Truman zurückgewiesen, ein Stahlwerk für die Rüstungsproduktion im Korea-Krieg zu konfiszieren.

Es wäre eine große Überraschung, sollte das Gericht Chrysler tatsächlich die Rettung verweigern und den Konzern in die Liquidation treiben. Fiat scheint bis auf weiteres zu dem Deal zu stehen, auch über den 15. Juni hinaus, an dem eigentlich alles hätte abgeschlossen sein sollen. Aber die Lage bleibt gefährlich.

Gerichtsverfahren sind immer unberechenbar, besonders in den Vereinigten Staaten. Trotzdem ist das Verfahren notwendig und dient vermutlich den langfristigen wirtschaftlichen Interessen Amerikas. Die Rücksichtslosigkeit, mit der Obamas Autozar Steve Rattner die Ansprüche der Chrysler-Gläubiger übergangen hatte, war für viele an den Finanzmärkten ein Schock. Die USA müssten langfristig einen hohen Preis zahlen, sollte sich die Überzeugung durchsetzen, dass die Regierung mit Rechtsansprüchen umspringen kann, wie es ihr gerade gefällt.

Die Entscheidung von Richterin Ginsburg ist also auch eine Chance für Obamas Wirtschaftsteam. Nach einer Entscheidung wissen alle, was sie tun dürfen und was nicht. Rechtssicherheit ist ein hohes Gut, auch in einer großen Krise.

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