Fiat, Opel und Chrysler:Der Enkel drängt an die Weltspitze

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Vorstoß in Deutschland: John Elkann und Sergio Marchionne haben Fiat wieder aufgerichtet. Doch für ein Happy End brauchen sie nicht nur Chrysler in den USA, sondern auch Opel aus Rüsselsheim. Was aber können die Italiener besser als Daimler, die mit Chrysler scheiterten?

Tobias Dorfer und Paul Katzenberger

Der Begriff ist arg strapaziert. Als "Hochzeit im Himmel" hatte der ehemalige Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp einst die Fusion mit Chrysler bezeichnet - einen Deal, der als Paradebeispiel für missglückte Unternehmenszusammenschlüsse in die Fachliteratur eingehen wird.

Fiat will GM Europe und damit auch die deutsche Traditionsmarke Opel übernehmen. (Foto: Foto: getty)

Ziemlich genau elf Jahre später ist wieder von einer "Hochzeit im Himmel" die Rede, wieder ist Chrysler beteiligt - und doch sind die Vorzeichen andere: Aus drei Autoherstellern mit mehr (Opel, Chrysler) oder weniger (Fiat) großen Problemen soll ein Weltkonzern geschaffen werden, der es mit Branchengrößen wie Volkswagen aufnehmen kann.

Dafür könnte Fiat aus dem Firmenkonglomerat der italienischen Industriellen-Dynastie Agnelli herausgelöst und mit dem Europageschäft von General Motors (GM) und den neu erworbenen Chrysler-Anteilen in eine Aktiengesellschaft eingebracht werden. Selbst ein Börsengang des neuen Unternehmens, das auf einen Jahresumsatz von 80 Milliarden Euro kommen könnte, ist nicht ausgeschlossen.

Kritiker der Pläne argumentieren, Fiat sei längst noch nicht gesund, die Altlasten seien noch nicht beseitigt.

Wo steht dieser Konzern, der noch vor wenigen Jahren am Rande des Abgrunds taumelte - und der in Italien nicht weniger als ein nationales Volksheiligtum ist?

Die jüngste Entwicklung des ehemaligen Krisenkonzerns ist untrennbar mit zwei Männern verbunden, die Fiat in Rekordzeit ihren Stempel aufdrückten, mit dem italienischen Dolce Vita im Management kurzerhand Schluss machten und die so den Autohersteller in kürzester Zeit wieder auf die Beine brachten: John Elkann, der Enkel des Firmenpatriarchen Gianni Agnelli und Sergio Marchionne - ein rigoroser Manager, der sich zuvor bei SGS, einem Unternehmen für Inspektions- und technische Überprüfungsdienste, einen Namen machte.

Wachstum, Wachstum, Wachstum

Als das Duo im Frühjahr 2004 die Verantwortung übernahm, war Fiat praktisch pleite. Die Marktanteile des einst florierenden Konzerns waren seit den siebziger Jahren zusammengeschmolzen, wie Butter in der Sonne. Enorme Schulden schränkten die Handlungsspielräume ein, die Autosparte war chronisch defizitär und entsprechend hoch war auch der Verschleiß an Führungspersonal. Schuld an dem Fiat-Chaos, so sagen Kritiker, sei die verfehlte Firmen- und Modellpolitik des langjährigen Firmenpatriarchs Gianni Agnelli gewesen, der im Jahr 2003 starb.

Modelle wie "Palio", "Seicento" oder der als Golf-Konkurrent positionierte "Stilo" konnten nie an den Erfolg alter Kultautos wie der "Fiat 850" oder "128" anknüpfen. Da half auch der Achtungserfolg des Kleinwagens "Punto" nichts.

Fiat drohte in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. In der Not verscherbelten die Italiener im Jahr 2000 sogar einen 20-Prozent-Anteil des Autokonzerns an General Motors. Die Kassenlage besserte dieser Deal allenfalls kurzfristig. Fünf Jahre später bereits war Fiat so marode, dass die Amerikaner dem Unternehmen sogar 1,5 Milliarden Euro zahlten - um das kriselnde Autogeschäft der Italiener nicht übernehmen zu müssen.

Inzwischen glühen die Drähte zwischen Detroit und Turin aber wieder. Zunächste kaufte Marchionne in der vergangenen Woche ein 20-Prozent-Paket des angeschlagenen US-Herstellers Chrysler, das auf 35 Prozent ausgebaut werden soll. Für die 20-prozentige Beteiligung zahlt Fiat zunächst nichts, erst wenn der Anteil aufgestockt wird, soll Geld fließen. Die Liaison hat für beide Seiten Vorteile: Chrysler braucht Fiats kleine und sparsame Motoren, während die Italiener wiederum über Chrsylsers Händlernetz Zugang zum US-Markt bekommen.

Nun forciert Marchionne aber auch die Übernahme der Europasparte von GM. Das beträfe unmittelbar den angeschlagenen Autohersteller Opel, denn 80 Prozent der europäischen GM-Fahrzeuge werden von Opel hergestellt. Käme nun auch noch GM Europa unter das Fiat-Chrysler-Dach, so entstünde ein Autoriese mit einer Jahresproduktion von sieben Millionen Fahrzeugen - weltweit wäre nur noch Toyota größer.

Der Fiat-Plan für Deutschland sieht auch deutliche Einsparungen vor: Von vier Opel-Werken sollen nur drei bleiben. Auf der Kippe stünde wohl der Standort Kaiserslautern.

Wachstum, Wachstum, Wachstum - das passt zum forschen Ton, den Elkann und Marchionne dem gemütlichen italienischen Unternehmen inzwischen aufgezwängt haben. Die Lässigkeit der Arbeiter, die Beamtenmentalität in Turin ist inzwischen durch den rigorosen und auf Effizienz getrimmten Führungsstil gewichen. Marchionne strukturierte um und setzte sich und seinem Team ambitionierte Ziele - und vor allem auf Tempo: Der neue Kleinwagen "Grande Punto" wurde in Rekordtempo auf den Markt gebracht, beim neuen "Bravo" verzichtete Fiat auf die klassischen Prototypen und setzte dafür ganz auf Computersimulationen - manche Entwicklungsaufträge wurden gleich ganz an Drittfirmen vergeben.

Auch in der Kunst der Symbolik versteht sich Marchionne: Die Führungskräftekantine ließ er schon vor einiger Zeit schließen.

Im zweiten Teil: Welche Probleme Fiat weiter belasten - und warum Experten einen Zusammenschluss mit GM Europe und Fiat für sinnvoll halten.

Dass der Fiat-Chef diese Radikalität umsetzen konnte, liegt vor allem am mächtigen Mann des Agnelli-Clans. John Elkann, gerade einmal 33 Jahre alt, stärkt Marchionne den Rücken. Der Enkel Gianni Agnellis war schon früh als mächtiger Mann der Familienholdings IFIL und IFI vorgesehen, doch nach dem Tod des Patriarchen und dessen Bruders ein Jahr später musste er mit 28 Jahren bereits Verantwortung übernehmen. In den Holdings sind neben den Fiat-Anteilen auch Beteiligungen an Banken, Immobilienunternehmen und dem Fußballklub Juventus Turin gebündelt.

Agnelli-Erbe John Elkann: Der Enkel des legendären Fiat-Patriarchen drängt mit dem italienischen Autokonzern an die Weltspitze. (Foto: Foto: AFP)

Elkann trieb die Entschuldung des Firmenkonglomerats voran und brachte Gläubigerbanken dazu, Verbindlichkeiten in Höhe von drei Milliarden Euro quasi als Kapital in das Unternehmen einzubringen.

Doch einige Probleme von Fiat konnte selbst das Duo Marchionne/Elkann nicht wegsanieren. Um auf Dauer bestehen zu können, ist Fiat zu klein. Um trotz hoher Entwicklungskosten profitabel arbeiten zu können, müssten Marchionne zufolge auf jeder Plattform mindestens eine Million Autos pro Jahr gebaut werden.

Der Einstieg bei Opel sei daher durchaus sinnvoll, meint der Auto-Analyst Uwe Treckmann von der Dresdner Bank. "Es gibt Überschneidungen in den Märkten, den Modellsegmenten und bei den Kunden, dies bedeutet zwar Synergieeffekte, aber auch Einschnitte in der Belegschaft."

Schon innerhalb von zwei oder drei Jahren seien Einsparungen beim Einkauf möglich und die gegenseitige Öffnung der Händlernetze böte ebenfalls Vorteile, so Treckmann. Richtig interessant werde der Schulterschluss aber erst nach sechs bis sieben Jahren, wenn der neuformierte Konzern die ersten gemeinsamen Modelle herausbringe.

Da Fiat für die Übernahme des Chryslerspakets nichts bezahle und auch für Opel im Augenblick nur eine Milliarde Euro biete, sei der Einstieg bei den angschlagenen Konkurrenten für die Italiener durchaus attraktiv. "Fiat nimmt kein Geld in die Hand und wird trotzdem zu einem Mitspieler auf dem Weltmarkt", macht Treckmann klar.

Ein gewisser Zwang zur Größe bestehe außerdem für alle Autohersteller. "Es gibt wohl keine Branche außer der Luftfahrtindustrie, die so reglementiert ist wie die Autoindustrie." So müssten beispielsweise die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung ständig erhöht werden: "Der Markt wartet schon sehnsüchtig auf Hybrid- und Elektromodelle und auch die Sicherheitsanforderungen werden immer aufwändiger", erklärt der Autoexperte.

Nicht ganz so optimistisch ist der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Der Fachmann sieht in der geplanten Allianz erhebliche Gefahren: "Das finanzielle Risiko für Opel würde steigen", sagte Dudenhöffer. Der deutsche Konzern verlöre durch ein Zusammengehen mit den Italienern die Möglichkeit, auf dem Wachstumsmarkt Russland präsent zu sein und wichtige Technologien zu entwickeln. Zusätzlich sei Fiat auf die gleichen Marktsegmente fokussiert: "Beide Hersteller schnappen sich im europäischen Wettbewerb gegenseitig die Kunden weg", sagte Dudenhöffer.

Ein weiteres Manko: Nach dem Einstieg beim insolventen US-Autohersteller Chrysler hätte der neue Konzern nur eine sehr dünne Eigenkapitaldecke. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass es ein Hau-Ruck-Verfahren von Fiat ist, um an Staatshilfen zu kommen", sagte Dudenhöffer.

Auch Dresdner-Bank-Analyst Treckmann sieht Risiken im Expansionsdrang der Turiner: "Fiat ist hoch verschuldet und hat eigentlich gar nicht das Geld, um bei Opel die notwendigen Investitionen zu finanzieren." Außerdem ergänzten sich die drei Unternehmen nicht ideal auf den Weltmärkten: "Im wichtigsten Absatzmarkt China ist keiner der drei Hersteller nennenswert vertreten", so Treckmann.

Wachstum um jeden Preis - das wird nun die neue Herausforderung für das Duo Elkann/Marchionne. Dass dabei im Zweifel auch die Familientradition wenig zählt, hat Elkann bereits angedeutet. So sei die Familie Agnelli auch bereit, Minderheitsaktionär zu werden, wenn Fiat das helfen sollte.

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