Fiat und Chrysler:Wir sind Fiat

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Italien feiert den Einstieg der Turiner Autobauer bei Chrysler - alle rühmen den Einstieg des Autokonzerns bei dem legendären amerikanischen Konkurrenten.

Stefan Ulrich

Fiat rettet Chrysler, Italien erobert Amerika. An dieser Aussicht berauscht sich nun ein ganzes Land. Ob rechte oder linke Politiker, Unternehmer oder Gewerkschafter - sie alle rühmen den Einstieg des Turiner Autokonzerns bei dem legendären amerikanischen Konkurrenten als Renaissance des Made in Italy. "Heute kann Italien stolz sein", brachte es der nüchterne Staatspräsident Giorgio Napolitano am Freitag auf den Punkt. Seine 60 Millionen Landsleute schwelgten am Tag der Arbeit in dem Gefühl: Wir sind Fiat.

Der ganze Stolz der Italiener: Ihr großer Autobauer. (Foto: Foto: Getty Images)

Der kollektive Stolz der Italiener mag übertrieben wirken, unbegründet ist er nicht. Denn hier wird nicht einfach mit schnödem Kapital ein anderes Unternehmen geschluckt. Fiat kauft sich Chrysler vielmehr dank seiner tüchtigen Manager, Ingenieure, Designer und Arbeiter. Italien wird oft zu Recht als ein krankes Land Europas beschrieben. Die Fabbrica Italiana Automobili Torino beweist nun, dass es aus eigener Kraft genesen kann.

Dabei war Fiat noch vor wenigen Jahren selbst sterbenskrank. Dem 1899 gegründeten Unternehmen, das ein Symbol der italienischen Industriegeschichte ist, schien nur die Wahl zwischen Konkurs und Übernahme zu bleiben. In kurzer Zeit gelang es der neuen Führung unter Sergio Marchionne dann, den Autobauer wieder flottzumachen. Wenn der amerikanische Präsident Barack Obama heute ausdrücklich sein Heil bei Fiat sucht, ist das eine tiefe Genugtuung für ganz Italien. "Si può fare", schreiben die Zeitungen in Anlehnung an den autosuggestiven Wahlkampfslogan Obamas: "Wir können es schaffen."

Um die überschwängliche Reaktion der Italiener zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte. Italien fühlt sich ein bisschen wie ein hässliches altes Entlein, das einmal ein stolzer Schwan war. Das antike Rom waltete über Jahrhunderte als die Weltmacht. Doch dann wurde die Apenninhalbinsel eineinhalb Jahrtausende lang zum Spielfeld fremder Herrscher. Hoffnungen, durch die Gründung des italienischen Nationalstaates im neunzehnten Jahrhundert an alte Herrlichkeit anzuknüpfen, wurden enttäuscht. Benito Mussolinis Versuch, ein neues römisches Imperium zu errichten, scheiterte jämmerlich. Der rasante wirtschaftliche Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg ist längst zu Ende.

Heute kämpft Italien darum, in Europa nicht als Staat der B-Klasse weit hinter Deutschland, Frankreich und Großbritannien wahrgenommen zu werden. Die Prahlereien des Premiers Silvio Berlusconi, unter seiner Führung sei Rom wieder eine politische Weltmacht, nehmen nicht einmal seine eigenen Wähler ernst. Zu offensichtlich sind die Defizite des Landes: der schwache Staat, den seine Bürger verachten, die selbstverliebte Politikerkaste, eine veraltete Infrastruktur, ein marodes Gesundheitswesen, byzantinische Gerichte, mediokre Universitäten. Auch Berlusconi hat es nicht vermocht, daran Wesentliches zu ändern.

Wenn Fiat es trotz dieser Standortnachteile schafft, zu reüssieren, ist das umso bemerkenswerter. Natürlich weiß niemand, ob der geplante Aufstieg zum Weltkonzern gelingt. Die guten Ansätze aber dürften ganz Italien anspornen, vom vermeintlich hässlichen Entlein wieder zum stolzen Schwan heranzuwachsen. Die Weltwirtschaftskrise scheint den Italienern dabei eher entgegenzukommen, schließlich sind sie erprobte Krisenkünstler. Fiat lux heißt es schon in der Genesis: "Es werde Licht."

© SZ vom 2.5.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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