Wir haben es geschafft, viele Dinge des täglichen Lebens fair zu produzieren. Es gibt T-Shirts aus Bio-Baumwolle und Fairtrade-Kaffee, aber wir schaffen es nicht, den Alltagsgegenstand fair und nachhaltig herzustellen, der für viele Menschen der wichtigste ist: das Smartphone.
Die Produktion von Handys ist ein dreckiges Geschäft. Oft werden sie unter brutalen Arbeitsbedingungen in chinesischen Fertigungshallen zusammengebaut. Bei der Verarbeitung seltener Erden, die in Touchscreens und Vibrationsmotoren stecken, entsteht radioaktives Abwasser. Für die Produktion wichtige Rohstoffe wie Zinn und Tantal sind die neuen Blutdiamanten, die Kriege von Warlords im Kongo finanzieren.
Die Arbeit in den Minen ist gefährlich: "Die Arbeitsbedingungen im handwerklichen Bergbau im Kongo sind sehr bedenklich", sagt Gudrun Franken, Arbeitsbereichsleiterin für Bergbau und Nachhaltigkeit in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Die mit einfachem Gerät gegrabenen Schächte seien gefährlich. Durch Steinschlag würden Arbeiter verletzt oder sogar getötet. Trotzdem machen viele den Job: "Die Menschen verdienen dort ein Vielfaches im Vergleich zur Landwirtschaft."
Wo also ansetzen, um die problematischen Konsequenzen des Smartphone-Baus zu reduzieren? Zum Beispiel bei der Lieferkette. Die sind bei Elektronik-Produkten komplex und oft undurchsichtig. Um die Arbeitsbedingungen entlang der Kette zu verbessern, wäre erst einmal Transparenz nötig: Hersteller müssen wissen, woher Zulieferer die Rohstoffe beziehen, aus denen sie die Einzelteile bauen. Nur dann können sie überhaupt Verbesserungen vorantreiben.
Das versucht zum Beispiel das Unternehmen Fairphone aus den Niederlanden, indem es Partnerschaften mit chinesischen Zulieferern eingeht, etwa damit Arbeiter einen Stellvertreter wählen können. So sollen diese mehr Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen nehmen können. Momentan arbeiten sie unter anderem zusammen mit dem Better Cobalt Programm daran, Kobalt-Minen im Kongo als "ethisch vertretbar" zertifizieren zu lassen.
Mit der Leistung aktueller Spitzen-Modelle von Apple oder Samsung können die bisherigen Modelle fairer Smartphones nicht mithalten, aber das wollen sie auch nicht. Sie bewegen sich mit ihren Geräten im oberen Mittelfeld, was angesichts der geringen Erfahrung der Anbieter bemerkenswert ist.
Neben den Bedingungen in der Lieferkette ist auch der Smartphone-Markt an sich ein Problem. Er ist ein lineares System: Ein Hersteller produziert ein Gerät, der Verbraucher kauft es, benutzt es, schmeißt es weg und kauft sich ein neues. Für jedes weggeworfene Smartphone muss ein neues produziert werden, alle Rohstoffe und noch funktionierenden Teile im alten Gerät sind mehr oder weniger verloren. 2017 wechselten die Deutschen ihr Handy einer Untersuchung der Marktanalysten von Counterpoint Research zufolge alle 21 Monate, was im weltweiten Durchschnitt liegt.
Erik Hansens Traum ist der Smartphone-Kreislauf. Er will aus dem linearen Produktionssystem ein ringförmiges machen. Er leitet an der Johannes Kepler Universität Linz das Institut für Integrierte Qualitätsgestaltung und forscht an der Leuphana Universität in Lüneburg im Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones. So soll es gehen: Funktioniert ein Gerät nicht mehr, lässt der Kunde es zum Beispiel über den Hersteller reparieren oder recyclen, statt es wegzuwerfen. Als Ersatz kann er dann nicht nur ein neues Gerät kaufen, sondern direkt beim Hersteller auch ein gebrauchtes oder wiederaufbereitetes Gerät.
Für Hansen hat das viele Vorteile: "Die Smartphones können länger verwendet werden, was dazu führt, dass weniger Rohstoffe und weniger Energie verbraucht werden. Durch dieses System werden Arbeitsplätze geschaffen, da Hersteller für Dienstleistungen wie Reparaturen mehr Personal einstellen müssen."
Die Lieferkette kontrollieren, die Geräte wiederverwenden: Diese beiden Strategien verfolgt neben Fairphone auch der Hersteller Shift aus dem hessischen Falkenberg. Ist ein Gerät nicht mehr zu reparieren, übernimmt Shift das Zerlegen des Geräts selbst und gibt nur kaputte Teile zum Recycling weiter an Partnerunternehmen, die sie umweltgerecht entsorgen. Dadurch kann es noch funktionstüchtige Einzelteile verwenden, um andere Shiftphones am Leben zu erhalten. Damit sie das tun können, müssen die Geräte bei ihnen landen - und nicht im Müll oder einer Schublade. Als Motivation dafür soll ein Gerätepfand dienen, das die Käufer wiederbekommen, egal in welchem Zustand sich ihr Shiftphone befindet.
Fairphone beschäftigt sich neben der Verbesserung der Lieferkette unter anderem mit effektiveren Recycling-Methoden, arbeitet für die praktische Umsetzung aber ebenfalls mit Partnerunternehmen zusammen. "Recycling ist gerade bei Elektronikprodukten sehr aufwendig - dazu braucht man hoch spezialisierte industrielle Anlagen", sagt Fabian Hühne, PR Manager von Fairphone.
Beide Anbieter setzen mittlerweile auf modulare Bauweisen, um die Lebensdauer zu verlängern: Komponenten wie Frontkamera, Rückkamera und USB-Anschluss sind als getrennte Module verbaut und lassen sich über ein paar Schrauben austauschen. Das steht im Kontrast zu den Telefonen von Samsung oder Apple, bei denen viele Teile verklebt werden und die dadurch sehr schwierig vom Besitzer selbst zu reparieren sind. Die modulare Bauweise kann jedoch auch selbst zu Problemen führen: "Die ersten verfügbaren modularisierten Smartphone-Designs, die es auch Nutzern selbst erlauben, das Gerät vollständig zu öffnen und Teile wie die Kamera auszutauschen, stecken noch in den Kinderschuhen und können anfällig für Wackelkontakte, Verschleiß oder Benutzerfehler sein", sagt Erik Hansen.
Entspannter als bei Samsung oder Apple soll auch die Garantie geregelt sein. Die erlischt nämlich bei den meisten Anbietern, wenn man das Gerät öffnet - das ist bei Fairphone oder Shift nicht der Fall. Man darf allerdings die Module des Fairphone nicht öffnen oder durch Module von Drittanbietern austauschen, wenn man den Garantieanspruch erhalten will. Bei Shift finden sich online keine offiziellen Angaben zur Garantie. Was es gibt, sind vereinzelte Aussagen von Mitarbeitern im Shift-Forum und ein Versprechen im 2016er Bericht: "So ist es bei einem Shiftphone erlaubt, das Gerät zu öffnen ohne dass die Garantie verfällt." Entsprechend gehört bei den neuen Shift-Modellen ein Schraubendreher zum Lieferumfang. Das ist allerdings auch nötig, denn im Gegensatz zum herkömmlichen Kreuzschlitz, mit dem sich Fairphone-Schrauben lösen lassen und der häufig bereits zum Hausrat gehört, benötigt man für die Geräte von Shift einen speziellen sechseckigen Schraubenzieher.
Von Samsung und Apple unterscheiden sich aber auch die Verkaufszahlen der fairen Anbieter deutlich: Fairphone hat bis Mitte August dieses Jahres 155 000 Geräte verkauft, davon 95 000 des neueren Modells Fairphone 2. Apple allein hat im letzten Jahr mehr als 200 Millionen iPhones abgesetzt. Das sind 1300 Mal so viele iPhones wie Fairphones. Shift ist noch etwas kleiner aufgestellt: Bisher wurden 25 000 Shiftphones verkauft. Auf die Größe von Apple wollen die Anbieter fairer Handys aber auch gar nicht kommen, behaupten sie: "Je größer Unternehmen werden, desto schwerer ist es, jeden Mitarbeiter im Blick zu behalten - genau das ist ja unser Wunsch", sagt Samuel Waldeck, der die Shift GmbH zusammen mit seinem Bruder und seinem Vater 2014 gegründet hat. Fabian Hühne äußert sich ähnlich: "Das Ziel ist nicht, den Markt zu übernehmen, sondern die Bedingungen darin zu verändern. Wir wollen also Apple oder Samsung dazu bringen, anders zu produzieren. Dafür müssen wir vor allem zeigen, dass es einen Markt für nachhaltigere Produkte gibt."
Auch Fairphone wurde erst 2013 gegründet. Im selben Jahr brachte es das Fairphone 1 auf den Markt. Der Käufer konnte das Modell mit Teilen aus dem Onlineshop selbstständig reparieren. Für die Produktion wurden laut eigener Aussage Zinn und Tantal aus konfliktfreien Minen im Kongo verwendet.
Zwei Jahre später folgte das Fairphone 2, das modular aufgebaut ist. Für dieses Modell verwendete Fairphone nach eigenen Angaben zusätzlich Fairtrade-Gold aus Peru und konfliktfreies Wolfram aus Ruanda. Die Organisation Flocert prüft das Gold für den Verein Fairtrade International mindestens zweimal in drei Jahren. Ihr geht es zum Beispiel darum, ob der Produzent Regeln für Arbeitssicherheit und Umweltschutz einhält. Als "konfliktfrei" gelten Rohstoffe, wenn sich durch den Handel mit ihnen keine Kriegsparteien wie Milizen finanzieren.
Seit Ende vergangenen Jahres können Besitzer des Fairphone 2 auch ein neues Kameramodul einbauen. Als nächstes soll das Update des Betriebssystems auf Android 7 kommen. "Das ist wichtig, damit das Fairphone 2 auch in Zukunft die Security-Patches von Google bekommt", sagt Hühne.
Fairphone steckt seine Umsätze und die 2,5 Millionen Euro, die das Unternehmen in diesem Sommer in einer Crowdfunding-Runde eingesammelt hat, in Verbesserungen entlang der Lieferkette und in operative Kosten wie Vertrieb und Produktentwicklung. Ein drittes Modell sei derzeit nicht geplant, sagt Hühne.
Das 15-köpfige Team der deutschen Shift GmbH setzt auf mehrere Modelle mit verschiedenen Display-Größen. Die früheren Shiftphones waren nicht modular aufgebaut, wenn der Käufer das Gerät also für die Reparatur nicht einschicken wollte, brauchte er schon mal einen Lötkolben und ruhige Hände. Dafür stellt Shift aber ein eigenes Wiki auf seiner Website und, wie Fairphone, Videoanleitungen auf Youtube zur Verfügung. In denen wird zum Beispiel erklärt, wie Besitzer ihr Shiftphone flashen und rooten können, um tieferen Zugang zu Systemfunktionen zu bekommen, und wie sie Fehler des Touchscreens beheben. Im Onlineshop sind derzeit allerdings nur die Ersatzteile Display, Akku und Rückseitenabdeckung erhältlich.
Das aktuelle Verkaufsmodell Shift 6m gehört zu einer neuen Generation: Das "m" im Namen steht für "modular". Auswechselbar soll daran nahezu alles sein: Display, Batterie, einzelne Kameras, die Kerneinheit mit Chipset, Speicher und Modem, Fingerabdruck-Sensor, SIM- und MicroSD-Karten-Slot, Antennen-Einheit, Mikrofon, Lautsprecher. Das geht allerdings wohl nicht ganz so einfach wie beim Fairphone, wenn man sich das Vorstellungs-Video vom Modell Shift 6m anschaut. Das sei einer kleinteiligeren Bauweise geschuldet, wodurch sich aber die Einzelteile im Recycling sortenrein trennen ließen, sagt Waldeck. Mit den Modellen 5me und 6mq sollen im nächsten Dreivierteljahr noch ein Low-Budget- und ein High-Budget-Modell folgen.
Für die Produktion der bisherigen Modelle versuchte Shift, mit chinesischen Familienbetrieben mit etwa 300 Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Inzwischen ist das Unternehmen aber davon abgekommen und hat in Zusammenarbeit mit der NGO Taos einen eigenen kleinen Standort mit zehn Mitarbeitern in Hangzhou, südwestlich von Shanghai aufgebaut. "Wir mussten einsehen, dass wir über Jahre eingespielte Strukturen nicht einfach verändern können. Für uns war ein Neustart wichtig, raus aus Shenzhen und eine Produktion aufbauen, die wir von Anfang an gestalten können", sagt Waldeck. Er sagt, die zehn Mitarbeiter im neuen Standort arbeiteten 40 Stunden pro Woche - für die chinesische Elektro-Produktion ungewöhnlich kurz.
Statt Coltan aus konfliktfreier Förderung zu beziehen, verwende er keramische Mikrokapazitoren, die kein Coltan enthalten, sagt Waldeck. Eine Herausforderung stelle Zinn dar: Shift bezieht es in Kooperation mit dem Unternehmen Stannol: "Wir testen gemeinsam den Einsatz von fairem Lötzinn in unseren Hauptplatinen. Die Schmelztemperatur des Zinns muss genau stimmen, damit die Fertigung in Serie funktionieren kann."
In Sachen Transparenz hinken die Deutschen den Niederländern von Fairphone noch hinterher. Eine detaillierte Liste der Zulieferfirmen, wie Fairphone sie bereits seit 2014 online für jedermann zugänglich macht, gibt es noch nicht. Shift erklärt, man werde seine Liste für das Modell Shift 6m bald veröffentlichen.