Davos:Die Wirtschaftselite rätselt über die Ängste der Mittelschicht

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Auch in Davos sind die Sorgen der Mittelschicht das große Thema. (Foto: REUTERS)
  • Beim Weltwirtschaftsforum in Davos diskutieren Vertreter von Wirtschaft und Politik über die Probleme der Welt. Ein zentrales Thema: die Mittelschicht.
  • Ihre Sorgen und Probleme würden von der Politik nicht ernst genug genommen, so der Tenor.

Von Ulrich Schäfer, Davos

Für Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, ist die Sache klar: Die Mittelschicht in den westlichen Industrieländern steckt in einer tiefen Krise. "Es fehlt ihr an Vertrauen, an Hoffnung", sagt Lagarde. Sie hatte das Problem schon vor drei Jahren angesprochen, als sie das Weltwirtschaftsforum in Davos eröffnete. Doch damals verfing ihre Warnung nicht. Und so fügt sie nun hinzu: "Wenn die Politik die Signale diesmal nicht versteht, wird sie es niemals begreifen."

Die Krise der Mittelschicht ist eines der beherrschenden Themen beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos. Manager, Politiker und Ökonomen versuchen zu ergründen, warum die Ängste ausgerechnet in jener Schicht, die so sehr von der Globalisierung profitiert hat, derart groß sind. Sie versuchen zu verstehen, warum sich derzeit so viele Menschen in den westlichen Ländern den Populisten zuwenden. Die Debatte ist gekennzeichnet von großer Ratlosigkeit, denn es gibt, das räumt auch Lagarde ein, "keine silberne Kugel", mit der sich das Problem schnell lösen lässt. Ja, schlimmer noch: Lagarde treibt die Sorge um, dass es den Parteien in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden nicht gelingen wird, bis zu den Wahlen in wenigen Monaten jene Menschen zu erreichen, deren Vertrauen sie verloren haben.

Ein Problem, das auch der italienische Ökonom Pier Carlo Padoan sieht, der als Finanzminister der alten und nun auch der neuen Regierung in Rom angehört: "Es gibt in Europa praktisch kein Land, in dem nicht eine hohe Unzufriedenheit zu finden ist." Viele Menschen in der Mittelschicht seien "desillusioniert über die Zukunft, über die Jobperspektiven für ihre Kinder und die Sicherheit". Das sei bitter, denn eigentlich habe Europas Integration ja mal als die richtige Antwort auf den entfesselten Kapitalismus gegolten.

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Larry Summers, einst amerikanischer Finanzminister unter Bill Clinton und danach Präsident der Harvard-Universität, sieht die Ursachen für die Vertrauenskrise in einer falschen Politik. Die Menschen in der Mittelschicht hätten den Eindruck, "dass die Politik für jeden kämpft, für die Armen, für die Reichen, für die Einwanderer oder die Menschen in den Entwicklungsländern - aber nicht für sie."

Es gibt nicht wenige Menschen in Davos, die den Populismus als größte Herausforderung für die Weltwirtschaft sehen. So geht es auch Ray Dalio, dem Gründer des Hegdefonds Bridgewater. Er fasst die wachsende Kluft zwischen dem, was die globale Elite diese Woche in den Schweizer Bergen verhandelt, und dem, was viele Menschen in der Mittelschicht umtreibt, in einem Satz zusammen: "Wir haben es mit einem Anti-Davos zu tun."

Auch über das Grundeinkommen wird diskutiert

Wie aber soll die Politik reagieren? Keinesfalls, indem sie den Populismus einfach verdammt, rät Italiens Finanzminister Padoan: "Die Populisten sind keine schlechten Menschen, sondern gute Menschen. Sie sprechen berechtigte Sorgen an." Allerdings seien die Antworten falsch, die sie liefern, fügt er hinzu.

Larry Summers, der stets für einen stärkeren Staat plädiert hat, fordert eine dreigeteilte Antwort: Die Politik müsse mehr tun für Bildung und Infrastruktur, sie müsse die Aufstiegschancen verbessern und zugleich dafür sorgen, dass Steuerparadiese den Industrienationen nicht das dringend benötigte Geld entziehen.

Und noch eine Antwort wird in diesem Jahr in Davos diskutiert, wie schon im vergangenen Jahr: das bedingungslose Grundeinkommen. Auf mehreren Podien ist es ein Thema, auch namhafte Firmenchefs sprechen sich dafür aus, beispielsweise Marc Benioff, der Gründer und Vorstandsvorsitzende der kalifornischen Softwarefirma Salesforce. "Eine bessere Bildung allein wird nicht ausreichen, um die Probleme der Menschen zu lösen. Wir müssen mehr tun", sagt Benioff. Das Grundeinkommen sei eine gute Möglichkeit, diejenigen aufzufangen, die durch Globalisierung und Digitalisierung ihren Job verlieren. Es sei daher gut, dass immer mehr Länder, wie jetzt auch Finnland, damit experimentieren

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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