Er soll die letzte Instanz sein und nur dann einspringen, wenn die Euro-Zone zu implodieren droht. Er soll nur die ganz großen Banken retten, jene Geldhäuser also, die als systemrelevant gelten. Und vor allem: Er soll nur dann Millionen oder gar Milliarden bereitstellen, wenn die Banken auch tatsächlich überlebensfähig sind. So jedenfalls ist der Plan.
Fast ein ganzes Jahr hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble unermüdlich gekämpft, in endlos vielen und endlos langen Nacht- und Marathonsitzungen, um den Euro-Rettungsfonds ESM nicht zum Selbstbedienungstopf geschäftsuntüchtiger Banken werden zu lassen. Es sei "natürlich Unsinn" zu meinen, jede Bank könne direkt Kapital vom ESM bekommen, hatte Schäuble noch am vergangenen Freitag gesagt, als die Euro-Finanzminister sich in Luxemburg trafen.
Zumindest damit hat Schäuble sich durchgesetzt - und das ist prinzipiell erst mal eine gute Nachricht für die deutschen Steuerzahler. Denn letztlich setzt der ESM auch deren Geld aufs Spiel, wenn er notleidende Euro-Länder rettet und saniert (was seine wichtigste Aufgabe ist) oder wenn er klammen Banken frisches Kapital zur Verfügung stellt (was seine zweite wichtige Aufgabe ist).
Aber: Es ist nur ein Teil der Wahrheit.
Denn was die Finanzminister in Luxemburg zur Rekapitalisierung der Banken beschlossen haben, ist für den Steuerzahler ganz besonders risikoreich. Der ESM leiht den kranken, aber sanierungsfähigen Banken nicht bloß Geld. Sondern der Rettungsfonds erwirbt faktisch Anteile an diesen Banken. Dem ESM - und damit letztlich den Bürgern der Euro-Länder - gehören also am Ende womöglich Banken in Griechenland, Spanien oder Zypern.
Rating-Agenturen halten dies für riskant. Und zwar für so riskant, dass der ESM für jeden Euro, den er an notleidende Banken vergibt, zwei Euro an Sicherheiten zurücklegen muss. Das schränkt die Ausleihmöglichkeiten des ESM deutlich ein, wie der Rettungsfonds der Süddeutschen Zeitung nun auch selber bestätigt. Sollte der ESM die Obergrenze von 60 Milliarden Euro für direkte Bankenrekapitalisierung ausschöpfen, dann würde dies den Fonds nicht bloß 60 Milliarden Euro kosten - sondern, erklärt ein Sprecher des Rettungsfonds, "das würde die maximale Ausleihkapazität des ESM um etwa 180 Milliarden Euro absenken". Dies wiederum bedeutet: Von den 500 Milliarden Euro, die der europäische Rettungsfonds insgesamt ausgeben darf, blieben nach einer möglichen Rekapitalisierung der Banken nur noch 320 Milliarden Euro übrig, um klamme Staaten zu retten.
Zur Wahrheit gehört zudem, dass von diesen 320 Milliarden Euro bereits 109 Milliarden Euro verplant sind: Zypern hat neun Milliarden Euro zugesagt bekommen und Spanien 100 Milliarden Euro.
Der ESM-Sprecher betont zwar, dass sich die Ausleihkapazität des Fonds nur verringere, "wenn der ESM tatsächlich auf diesem Feld aktiv wird", also Banken rekapitalisiert. Faktisch ist es aber so, dass das wichtigste Instrument der Euro-Länder zur Stabilisierung der Währungsgemeinschaft von den geplanten 500 Milliarden Euro nur noch 211 Milliarden Euro frei verfügbar hat, mit denen Staaten finanziell geholfen werden kann.
Experten bezweifeln, ob diese finanzielle Feuerkraft ausreichen wird, um die größten Risiken zu decken. Die USA und Euro-Länder wie Frankreich hatten ursprünglich dafür plädiert, den ESM mit 1000 Milliarden Euro auszustatten. Das war am Widerstand aus Berlin gescheitert.
Es ist nicht das einzige Problem, mit dem der europäischen Rettungsfonds derzeit zu kämpfen hat. Denn bevor Banken direkt Geld aus dem ESM erhalten können, muss erst noch die zentrale Aufsicht über die Banken der Euro-Zone bei der Europäischen Zentralbank eingerichtet sein. Das wird frühstens im Herbst 2014 der Fall sein, also noch später als zuletzt erwartet.
Ein Grund dafür: Der Bundestag wird erst nach der Bundestagswahl über die Bedingungen für die direkte Rekapitalisierung der Banken abstimmen, und im Parlament gibt es gewichtige Bedenken gegen das Vorhaben. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, fürchtet angesichts der enormen Probleme der Geldhäuser in Europa, dass der Steuerzahler erneut für die Rettung zahlen muss. "Mit diesem Beschluss wird der ESM in einen Bankenhaftungsfonds umgewandelt", sagte er.
Als großes Risiko bezeichnete Schneider dabei, dass der ESM bereits bestehende Bankenrisiken übernehmen kann. Bislang sei dies ausgeschlossen worden. Schneider verwies auf die hohe Anzahl der notleidenden Kredite, die in Griechenland 24 Prozent ausmachten, in Spanien elf und in Portugal zehn Prozent. Er forderte eine zentrale Institution zur Abwicklung geschäftsuntüchtiger Banken und einen von den Banken finanzierten Fonds. Dieser Ansatz werde von Kanzlerin Angela Merkel blockiert. Die Auswirkungen für Steuerzahler seien beträchtlich. "Wenn der ESM seinen Anteil an einer maroden Bank abschreiben muss, haftet dafür unmittelbar der Bundeshaushalt", warnte Schneider Die SPD werde dabei nicht mitmachen.
An diesem Mittwoch wollen die Finanzminister auf einem Sondertreffen in Brüssel über das Problem der Banken-Abwicklung beraten und dazu gemeinsame Regeln beschließen. Schäuble fordert eine klare Reihenfolge in der Haftung: Danach sollen zuerst Anteilseigner, dann Gläubiger und Investoren und schließlich große Sparer an den Verlusten beteiligt werden. Ist der ESM zuvor bei einer solchen Bank als Anteilseigner eingestiegen, müsste also auch er seine Anteile und damit Steuergeld abschreiben. Der ESM-Sprecher bestätigte dies auf Nachfrage: Es seien keine Ausnahmen bei der Haftung vorgesehen. Allerdings müssten die Risiken für den ESM beschränkt werden. Unter anderem müsse der Euro-Staat, aus dem die Bank stamme, zuvor die Verluste der Vergangenheit übernommen haben.