Dijsselbloem-Interview im Wortlaut:"Zypern hat uns einen Schock versetzt"

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Jeroen Dijsselbloem will Wirtschaftsreformen über eine Änderung des Stabilitätspakets erzwingen. (Foto: Francois Lenoir/Reuters)

Seine Worte werden genau verfolgt, besonders von den Problemländern Europas wie Griechenland und Portugal. Jeroen Dijsselbloem, Finanzminister der Niederlande und seit Januar Vorsitzender der Euro-Gruppe, spricht im SZ-Interview über die Kontrolle von Banken, Milliarden-Hilfen - und darüber, was Europa am meisten umtreibt.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

SZ: Herr Dijsselbloem, wird jetzt bei Europas Banken richtig sauber gemacht?

Jeroen Dijsselbloem: Nun, wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Im Jahr 2011 haben wir Banken getestet, einige haben bestanden, waren aber kurz danach in riesigen Schwierigkeiten. Jetzt wird die Europäische Zentralbank ganz tief in alle Bilanzen schauen und auswärtigen, unabhängigen Sachverstand einbeziehen. Der EZB ist völlig klar, dass ihre Glaubwürdigkeit beschädigt wird, wenn sie nicht genau prüft. Denn sobald die EZB die zentrale Aufsicht über Europas Banken übernimmt, ist sie verantwortlich.

Müssen sich die Bürger darauf einrichten, weitere Milliarden zu zahlen, falls die Aufseher herausfinden, dass einige Banken zu viele faule Papiere haben?

Zuallererst sind die Banken in der Verantwortung. Genau das ist meine wichtigste Botschaft. Wir haben unseren Ansatz geändert, wie wir mit maroden Banken umgehen, wer die Rechnung bezahlen muss . . .

. . . nämlich?

Die Banken können Kapital zeichnen, Töchter verkaufen oder fusionieren. Anteilseigner und Gläubiger müssen sich an den Kosten beteiligen. Wenn es einen nationalen Abwicklungsfonds gibt, kann dieser benutzt werden. Erst ganz am Ende, wenn auch die Regierung nicht helfen kann, weil neue Kredite deren Schulden unverhältnismäßig erhöhen würden, steht der Euro-Rettungsfonds ESM bereit. Der kann ein Bankenprogramm auflegen, wie wir es für Spanien haben. Oder später direkt Geld an den nationalen Abwicklungsfonds leihen.

Wie viele Milliarden Euro wird das Großreinemachen kosten?

Ich weiß es nicht. Auch wenn ich mit Bankern, Zentralbankern und Kollegen rede, ergibt sich kein klares Bild. Genau diese Unklarheit bestätigt noch einmal, wie dringend notwendig es ist, die Bilanzen der Banken einzeln durchzuschauen. Und ob Banken zumachen, können wir erst entscheiden, wenn wir wissen, wie deren Bilanzen aussehen.

Viele Regierungen sind hochverschuldet, andererseits brauchen Banken Geld. Sind die 60 Milliarden Euro , die im Euro-Rettungsfonds ESM dafür bereit liegen, nicht zu wenig?

Ganz allgemein gilt: Ob das Geld im Rettungsfonds ausreichen wird, ist ganz einfach nicht vorauszusagen. Diese Summe ist eher ein politisches Signal: ,Seht her, wir haben ein finanzielles Netz für den allergrößten Notfall. Wirklich nur dafür'. Wir haben zu lange das Prinzip verfolgt, zuerst ein öffentlich finanziertes Netz aufzuspannen. Das ist vorbei. Jetzt stehen private Investoren in der Pflicht.

Wann können Regierungen direkte Finanzhilfen für ihre Banken beantragen?

Voraussichtlich vom Herbst 2014 an.

Wird das Großreinemachen bei den Banken Investoren überzeugen, wieder nach Europa statt nach Amerika zu gehen?

Die wirtschaftliche Erholung in Europa braucht länger als gedacht. Teilweise liegt das an ökonomischen Kennziffern, teilweise ist es Psychologie. Wir Europäer glauben zu wenig an uns selbst. Dabei haben wir eine starke Basis und funktionierende Regierungen. Ich stimme nicht ein in den Chor, dass Europa vorbei ist.

Ihre Regierung in Den Haag ist anderer Meinung. Sie sagt, Brüssel solle sich nicht überall einmischen . . .

Wir sortieren halt gern aus, was regional, national oder europäisch zu entscheiden ist. Natürlich glauben wir an die Ideale Europas. Aber die EU-Kommission sollte nicht jeden Aspekt des Lebens regulieren.

Schauen wir nach Athen. In der Euro-Gruppe gibt es die Idee, Griechenlands Schulden zu reduzieren, indem man die 50 Milliarden Euro, die schon an die Banken geflossen sind, sozusagen nachträglich aus dem Rettungsfonds nimmt?

Es ist grundsätzlich möglich, Banken rückwirkend direkt aus dem Rettungsfonds zu kapitalisieren. Die Regeln dafür sind verabschiedet. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, spätestens Ende 2014, können die Programmländer das beantragen. Ich sehe aber derzeit nicht die nötige politische Unterstützung aus den Mitgliedsstaaten, einen solchen Beschluss zu fassen.

Allgemein oder speziell für Griechenland?

Allgemein. Wenn das alle Länder wollen, wären das massive Forderungen an den Rettungsfonds. Die verfügbaren Mittel des ESM wären schnell aufgebraucht.

Dennoch bleibt es ein Weg, den griechischen Schuldenberg tragbar zu machen?

Wir versuchen die ganze Zeit, den Schuldenberg erträglich zu machen. Griechenland wird lange brauchen, um sich zu erholen. Das jetzige Programm läuft bis Ende 2014. Nächstes Jahr im April werden wir prüfen, wo wir stehen, ob die griechische Regierung alle Verpflichtungen erfüllt, ob sie einen Nettoüberschuss erwirtschaftet hat und wie die Banken dastehen. Wir sind bereit für weitere Hilfen.

Planen Sie einen zweiten Schuldenerlass?

Wir werden im April entscheiden, was zu tun ist. Ich verstehe die Bedenken. Griechenland ist weiterhin ein harter Fall. Wir alle sorgen uns. Aber schauen Sie, was sie schon alles erreicht haben. Ich finde das bewundernswert.

IWF-Chefin Lagarde hat Athen unerwartet deutlich weitere Hilfe zugesichert. Weil sie weiß, dass die Euro-Länder einen Teil der Schulden erlassen werden?

Wir freuen uns, dass der IWF an Bord bleibt. Es ist falsch zu glauben, dass der IWF schon mit einem Schuldenschnitt rechnet. Wir können Zinsen reduzieren und Laufzeiten verlängern. Ich verstehe, dass es Athen gefallen würde, die Schulden abzuschreiben. Aber am Ende muss Griechenland das Vertrauen in die eigene Kraft wieder herstellen, und das geht nur, wenn sich das Land modernisiert. Ein Schuldenerlass wäre kein so überzeugender Start.

Warum?

Schauen Sie in die Zukunft. Die Euro-Länder, die einander Geld leihen, müssen sicher sein, dass es zurückkommt. Vielleicht erst nach vielen Jahren, aber es muss zurückgezahlt werden. Die Niederlande haben Griechenland Geld geliehen, unterstützt von den Bürgern und dem Parlament, weil Griechenland versprochen hat, es zurückzuzahlen. Wir wollen unser Geld zurückhaben.

Sprechen wir über die anderen Sorgenkinder: Irland soll im Dezember aus dem Kreditprogramm entlassen werden. Wird das Land einen finanziellen Krückstock bekommen?

Das ist möglich. In der Euro-Gruppe haben wir schon besprochen, dass wir Irland in der Übergangszeit finanziell helfen, dass das Land eine Art vorsorgende Versicherung bekommt. Wir werden die Details nach der Sommerpause beschließen.

Auch Portugals Hilfsprogramm endet im April 2014. Ist das Land schon stabil genug, um auf eigenen Füßen zu stehen?

Es ist zu früh, um sagen zu können, dass Portugal das Programm beenden kann. Nach den letzten Monaten und den politischen Turbulenzen und den daraus resultierenden Unruhen an den Finanzmärkten ist derzeit jeder ein bisschen mehr vorsichtig, das vorauszusagen. Irland hat derzeit eine stärkere Perspektive als Portugal, das Programm verlassen zu können.

Für Zypern hat die Euro-Gruppe erstmals beschlossen, dass Gläubiger und Sparer für Verluste der Banken haften müssen, Sie haben das später als Vorbild für weitere Fälle bezeichnet - und viel Kritik einstecken müssen.

Zypern war eine sehr harsche Operation, ein hartes Beispiel, wie private Gläubiger für Verluste haften müssen. Aber wenn wir Zypern nur Geld gegeben hätten, wäre deren Schuldenberg untragbar geworden. Die private Haftung war unvermeidlich und politisch auch gewollt.

Warum hat man Sie dann so kritisiert?

Einige Minister und Reporter waren der Meinung, Zypern als Vorbild zu bezeichnen, das würde die Märkte verunsichern. Das war die größte Kritik, dieses ,Oh mein Gott, was wird jetzt passieren'? Aber in Brüssel haben wir damals längst darüber geredet, dass künftig Eigentümer und Gläubiger statt Steuerzahler haften sollen, nur die Welt außerhalb hatte das noch nicht gehört. Zypern hat diese Leute in einen Schock versetzt. Aber letztendlich war es ein guter Weg. Wir haben einen fundamentalen Wechsel im Umgang mit den Banken eingeleitet.

Deutschland und Frankreich wollen einen permanenten Vorsitzenden. Sie erledigen den Job bisher in Teilzeit. Wäre eine volle Stelle in Brüssel wünschenswert?

Ich bin da ganz entspannt. Man hat mich gefragt, ob ich den Vorsitz der Euro-Gruppe übernehmen will, so wie er ist, das hat mich gefreut und geehrt. Wenn man das ändern will, stehe ich dem nicht im Weg.

Unterstützt Den Haag den deutsch-französischen Vorschlag?

Als Finanzminister kann ich sagen, dass wir genaue Vorstellungen haben, wie der Job aussehen könnte. Wir wollen keinen ständigen Euro-Gruppen-Präsidenten. Einfach, weil wir keine neue Institution und nicht noch mehr Präsidenten brauchen.

Kürzlich wurde kritisiert, dass Sie als Euro-Gruppen-Chef regelmäßig dem niederländischen Parlament berichten. Erfahren die anderen 16 Parlamente nichts?

Ich bin als niederländischer Finanzminister vor und nach jedem Treffen der Euro-Gruppe ins Parlament gegangen, und ich mache das auch jetzt, wo ich zusätzlich Chef der Euro-Gruppe bin. Wenn ich das nicht mehr dürfte, würde ich zurücktreten. Und ich würde jeden in die Schranken weisen, der mir was anderes vorschreiben will. Ich jedenfalls würde niemals eine Meinung dazu äußern, was der Bundestag darf und was nicht.

Wie geht die Währungsgemeinschaft in die Sommerpause?

Ich komme aus dem Norden und wurde zu einer Zeit Präsident der Euro-Gruppe, als alle Probleme im Süden zu liegen schienen. Meine Analyse ist, dass die Lage sich in vielen Ländern ähnelt. Alle Länder müssen Strukturreformen durchführen, das betrifft die Arbeitsmärkte, die Banken, das Pensionsalter und die Kosten des Gesundheitssystems. Europa altert, wir wachsen nicht wie andere Regionen. Aber wenn wir unsere sozialen Standards aufrechterhalten wollen, wenn wir die Werte Europas bewahren wollen, müssen wir Geld verdienen und wettbewerbsfähiger werden. Deshalb müssen wir überall die Strukturen prüfen, selbst in Deutschland.

Das Interview mit Dijsselbloem erfolgte gemeinsam mit dem Guardian , dem Figaro , El País und Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 11.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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