EU-Kommission:Vorsingen in Brüssel

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Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist ein Star in Brüssel – doch gibt es Kritik an ihrer Doppelfunktion. (Foto: Aris Oikonomou/AFP)

Drei Exekutiv-Vizepräsidenten stehen künftig für die EU-Themen Klimawandel, Digitalisierung und Wirtschaft.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Auf dieses Trio kommt es an: Ursula von der Leyen, die designierte Präsidentin der EU-Kommission, hat drei Exekutiv-Vizepräsidenten viel Macht gegeben, damit diese ressortübergreifende Themen vorantreiben. Der Sozialdemokrat Frans Timmermans soll den Kampf gegen den Klimawandel koordinieren, die Liberale Margrethe Vestager Europa für den digitalen Wandel rüsten und der lettische Christdemokrat Valdis Dombrovskis sich Europas Wirtschaft widmen. Die Prioritäten für die kommenden fünf Jahre sind damit gesetzt, und die zuständigen Ausschüsse des EU-Parlaments hatten alle drei am Dienstag zu Befragungen in Brüssel vorgeladen. Dort zeigten sich drei versierte Politiker mit ehrgeizigen Visionen - und unterschiedlichen Charakteren und Auftreten.

Bevor es losgeht, wartet Margrethe Vestager im Sitzungssaal an der roten Kordel, die das Podium abtrennt, und posiert für Selfies. Die Dänin ist ein Star in Brüssel und hat sich als Wettbewerbskommissarin den Ruf erarbeitet, eine eiserne Streiterin für Steuerzahler und Verbraucher zu sein. Bei Dombrovskis hingegen steht niemand Schlange. Der etwas dröge wirkende Lette verschränkt die Hände vor dem Bauch und wartet, bis sein Verhör beginnt.

Timmermans, dem seit seiner Spitzenkandidatur bei der Europawahl ein stattlicher Vollbart gewachsen ist, versprüht wie stets Tatendrang und Schlagfertigkeit. Als der Ausschussvorsitzende Pascal Canfin die Mahnung "Mit großer Macht kommt große Verantwortung" des Ziehvaters des Superhelden Spider-Man zitiert, entgegnet der Niederländer sofort: "Ich möchte aber nicht enden wie Onkel Ben, der am Anfang des Films getötet wird."

In den vorbereiteten Statements verkünden die drei keine Sensationen, sondern nennen bekannte Initiativen. Timmermans wird als Verantwortlicher für den "European Green New Deal" in den ersten 100 Tagen ein Klimaschutzgesetz vorschlagen, das das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gesetzgeberisch verankert. Vestager bringt einige schmissige Formulierungen unter. So sagt sie, es gebe heute nur zwei Arten von Branchen: "Jene, die schon digital sind, und jene, die es bald sein werden." Zur Frage, wie und warum die EU neue Regeln für Digitalkonzerne und künstliche Intelligenz (KI) entwickeln sollte, erklärt sie: "Manche sagen, China hat alle Daten und die USA haben das ganze Geld." Aber wir in Europa hätten die richtigen Ziele im Blick. KI solle das Leben der Bürger verbessern.

Kritik äußern Parlamentarier an ihrer Doppelfunktion: Die Liberale bleibt Wettbewerbskommissarin und könnte also Verfahren gegen mächtige Internetkonzerne wie Google führen. Zugleich soll sie als Vizepräsidentin für Digitalstrategie die Branche fördern, eben genau in Zusammenarbeit mit solchen Unternehmen. Vestager versichert, die zuständigen Abteilungen der Kommission blieben getrennt - trotz ihrer Doppelrolle.

Liberale und Christdemokraten fordern von Timmermans, der in seinen Antworten zwischen Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch hin und her wechselt, nicht nur auf Regulierung zu setzen, sondern auch Innovationen zu fördern. Timmermans sichert dies zu und entgegnet, dass die EU den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 bereits heute um 22 Prozent reduziert habe - bei einem Wirtschaftswachstum von 58 Prozent. "Wir haben gezeigt, dass der Kampf gegen den Klimawandel der europäischen Wirtschaft nicht schadet", sagt er. Sein Ziel sei kein autofreies Europa, angestrebt würden emissionsfreie Autos in Europa. Für Timmermans ist klar: Die Bevölkerung muss mitgenommen werden.

Die Chancen seien gut, denn Umfragen signalisieren Rückendeckung für ambitionierte Schritte: "Mehr als 90 Prozent der Europäer wollen, dass wir handeln." Der Sozialdemokrat betont, dass der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft sozial gerecht vollzogen werden müsse. So sollten Sozialwohnungen mit Förderprogrammen modernisiert werden, wodurch Heizkosten sinken und neben der Umwelt auch die Bürger profitieren würden.

Das passt zum Slogan "Eine Wirtschaft, die den Menschen nützt", den Valdis Dombrovskis in seiner Eingangsrede am Anfang und ganz am Ende unterbringt. Von der Leyen hat seinen Job mit diesem wolkigen Titel umrissen. Er soll wie bisher für den Euro und Finanzmärkte zuständig sein sowie für Soziales. Er will prüfen, ob es einen Konsens für Reformen beim Stabilitätspakt gibt, den Haushaltsregeln für Eurostaaten. Er kündigt an, den Kampf gegen Steuervermeidung der Konzerne fortzusetzen und Regeln für Facebooks umstrittene Kryptowährung Libra zu entwickeln.

Viel Raum nimmt auch bei ihm der Klimaschutz ein, denn als Finanzmann ist Dombrovskis für den angekündigten Klima-Investmentplan zuständig. Eine Billion Euro soll dieser für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft aufbringen. Die Grünen zeigen sich angetan. Deren Europa-Abgeordneter Bas Eickhout aus den Niederlanden sagt, Dombrovskis habe "den Weg geöffnet, die Wirtschaft grüner zu machen". Von Timmermans fordert er konkretere Pläne, wie der CO₂-Ausstoß gesenkt werden soll. Es bestehe das Risiko, dass der "Green Deal" eine Sammlung unverbindlicher Strategien bleibe.

Dass alle Exekutiv-Vizepräsidenten die Anhörungen problemlos meistern, verwundert ebenso wenig wie ihre Beteuerungen, zusammenarbeiten zu wollen. Dieser Wille muss im Alltag erst bewiesen werden. Offen ist auch, wie die Kooperation mit von der Leyen sein wird. Schließlich wollten Vestager und Timmermans explizit ihren Job, den sie sich fraglos zutrauen. Durch die Beförderung ihres Parteifreunds Dombrovskis hat von der Leyen Machtwillen gezeigt: Die Staats- und Regierungschefs hatten beim EU-Gipfel im Juli eine solche Position nur für die Liberale und den Sozialdemokraten vorgesehen. Die Wut in Teilen des EU-Parlaments hat sich inzwischen gelegt, denn alle proeuropäischen Fraktionen hoffen, dass Vestager, Dombrovskis und Timmermans künftig engen Kontakt zu ihren Fraktionen halten und als Scharniere fungieren. Denn alle wissen, dass die Zeit drängt und alle EU-Institutionen liefern müssen, um die Unterstützung der Bürger zu behalten.

© SZ vom 10.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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