Ende der Abwrackprämie:Die ganz große Illusion

Lesezeit: 3 min

Angela Keynes: Der Politik ist mit der Abwrackprämie ein kleines Wunder gelungen. Doch die Regierung hat sich nur ein wenig Zeit erkauft.

Ulrich Schäfer

Politik ist immer auch die Kunst der Illusion. Diese Kunst besteht darin, dem Volk eine Wirklichkeit vorzugaukeln, die es so nicht gibt; sie besteht darin, die Welt besser erscheinen zu lassen, als sie ist. Bunter, farbiger, adretter. Nur wenige verstehen sich auf diese Kunst so vortrefflich wie Angela Merkel. Die Kanzlerin hat es mit ihrem Bündnis aus Union und SPD geschafft, die Ära der großen Arbeitslosigkeit, die unweigerlich kommen wird, auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu vertagen. Merkel und Steinmeier ist es gelungen, den Abschwung milder erscheinen zu lassen, als er ist. Rezession? Depression? Ach was. Massenarbeitslosigkeit? Zukunftsangst? Gibt es nicht. Vorerst jedenfalls.

Endstation Schrottplatz: Die Abwrackprämie wirkt und kurbelt den Autoverkauf an - zur Freude der Hersteller. Doch das böse Erwachen wird folgen - garantiert. (Foto: Foto: dpa)

Die Großkoalitionäre haben dazu die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit ein wenig geschönt, so wie es noch jede Regierung vor einer Wahl getan hat. Sie haben ein Konjunkturpaket geschaffen, welches geradezu perfekt getimt ist. Sie haben Milliarden ausgegeben, um die Schmerzen der Krise zu mildern. Dank der Hilfen aus Berlin arbeiten nun 1,4 Millionen Menschen kurz, anstatt stempeln zu gehen. Wer sich bei den Personalchefs großer Unternehmen umhört, erfährt allerdings auch, dass viele Unternehmen ihre Entlassungen bloß verschoben haben - auf die Zeit nach der Wahl. Die Regierung hat die Probleme abgemildert, aber sie nicht wirklich gelöst.

Die ganz hohe Kunst der Illusion war die Abwrackprämie: jener Zuschuss von 2500 Euro, der die Deutschen in den vergangenen acht Monaten in ein Volk von Autokäufern verwandelt hat. Diese Prämie hat dafür gesorgt, dass die Wirtschaft in der schlimmsten Krise seit Jahrzehnten nicht ganz so stark abgestürzt ist, wie Regierung und Ökonomen befürchtet haben. Aus Angela Merkel, der neoliberalen Reformerin von Leipzig, ist so klammheimlich eine Anhängerin von John Maynard Keynes geworden. Den Namen dieses Ökonomen durfte man in Deutschland jahrelang nicht in den Mund nehmen, weil er - anders als CDU und CSU - daran glaubte, dass der Staat die Konjunktur beeinflussen kann.

Genau diese Beeinflussung der Konjunktur scheint mit der Abwrackprämie gelungen zu sein. Denn man hat es ja fast schon vergessen: Die Autoindustrie, von Opel bis BMW, von Volkswagen bis Mercedes, stand noch im Januar vor einem beispiellosen Niedergang. Die Fabriken waren zu groß, die Lager zu voll, die Verkaufsräume zu großzügig. Und dann verschwand diese Krise über Nacht: Kaum dass es die Abwrackprämie gab, stürmten die Kunden die Autohäuser. Sie kauften Polos, Astras und Dacias, die sie vorher verschmäht hatten. Sie wrackten ihre alten Autos, die sie liebgewonnen hatten, einfach ab. Und so beglückten auch andere Politiker ihr Volk mit solchen Prämien, Nicolas Sarkozy etwa oder Barack Obama, der den Amerikanern "Cash for Clunkers" gewährte.

Die Bundesregierung hat sich mit der Abwrackprämie vor allem Zeit erkauft. Der Koalition ist es - ganz im Sinne von Ludwig Erhards Maßgabe, dass Wirtschaftspolitik zur Hälfte auch eine Frage der Psychologie ist - gelungen, die Stimmung im Land zu drehen. Ausgerechnet die Deutschen, die jahrelang als Konsummuffel galten, kauften frohgemut ein.

Andererseits sind solche Phänomene wie der Abwrackrausch immer wieder zu beobachten, wenn der Staat mit üppigen Anreizen lockt. Nach der Wiedervereinigung etwa steckte jeder halbwegs betuchte Wessi sein Geld in Bürohäuser, Gewerbeparks und Einkaufszentren im Osten, weil der Bundesfinanzminister mit großzügigen Sonderabschreibungen lockte. Den bayerischen Finanzminister Erwin Huber veranlasste dies später zu der Bemerkung, dass der Steuerspartrieb der Deutschen noch ausgeprägter sei als ihr Sexualtrieb. Dem steuerbegünstigten Aufschwung Ost folgte bekanntlich ziemlich schnell der Absturz Ost, auch die Steuerersparnis der Investoren war rasch aufgezehrt, weil viele der Neubauten im Osten leerstanden.

Und so dürfte auch dem Abwrackaufschwung schon bald ein neuerlicher Absturz der Autoindustrie folgen. Denn jene Deutschen, die nun eilig ein neues Auto gekauft haben, hätten sich ja andernfalls in den nächsten Jahren einen anderen Wagen gegönnt; sie fallen als potentielle Käufer nun aus. Die Zahl der Autofabriken und Autohersteller ist aber so hoch wie eh und je. Überkapazitäten von gut 30 Prozent gebe es in der Autoindustrie weltweit, hatten Experten vor dem Abwrackhype gewarnt. Dieses Überangebot wird nun bald wieder zu einer Last werden, Händler werden schließen müssen, Zehntausende Mitarbeiter in den Fabriken gehen müssen.

Die Frage, ob der Staat Opel, Chrysler, General Motors oder andere retten soll, dürfte in den nächsten Monaten deshalb wieder in einem anderen Licht erscheinen. Und ebenso die Frage, ob die Förderung einer solchen Branche sich wirklich mit dem Klimaschutz verträgt.

Insofern hat die Abwrackprämie zwar ihren kurzfristigen Zweck erfüllt, aber die Krise der Autoindustrie ist damit keineswegs beseitigt. Im Gegenteil: Diese Krise wird in den nächsten Monaten umso deutlicher zu Tage treten und damit nicht nur den Herstellern zu schaffen machen, sondern auch der Politik. Die Zeit der großen Illusion ist vorbei.

© SZ vom 03.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: