Eigenbedarf:Wenn der Vermieter seine Wohnung braucht

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Eigenbedarfskündigungen nehmen vor allem in Großstädten zu. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Eigentümer von Wohnungen dürfen nicht kündigen, wenn ein Umzug die Gesundheit des Mieters gefährden würde, hat der Bundesgerichtshof entschieden. Gesetze zum Eigenbedarf sind umstritten - ein Überblick.

Von Wolfgang Janisch und Benedikt Müller

Wer durch den Auszug aus seiner Mietwohnung erhebliche gesundheitliche Nachteile erleiden würde, muss die Kündigung nicht hinnehmen. Er kann sich auf die sogenannte Sozialklausel berufen - auch wenn der Vermieter wegen Eigenbedarfs für sich selbst oder für Verwandte gekündigt hat. Über einen dieser Fälle hat am Mittwoch der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Einziehen wollte die vierköpfige Vermieterfamilie, die derzeit über dem Mieter wohnt und mehr Platz benötigt. Doch das Mieterpaar macht eine besondere Härte geltend, denn der Mann, Jahrgang 1930, leide an Demenz und dürfe nicht aus der gewohnten Umgebung gerissen werden. Ein Pflegeheim sei keine Alternative, weil die Frau - jünger und rüstiger als er - zu Hause bleiben wolle. Wie die Sache ausgeht, wird nun das Landgericht Baden-Baden klären: Es muss sich mit Hilfe eines Gutachters ein klares Bild von der angeblichen Krankheit machen, die vom Vermieter in Zweifel gezogen wird.

In welchen Fällen greift die Sozialklausel ?

Hohes Alter allein schließt eine Kündigung nicht aus, ebenso wenig genügt die Berufung auf eine lange Mietdauer. Ausschlaggebend ist eher der Gesundheitszustand. Die Sozialklausel setzt eine besondere "Härte" voraus - die übrigens auch dann vorliegt, wenn keine Wohnung zu zumutbaren Bedingungen zu finden ist. Hier sind die Voraussetzungen allerdings streng: Zumutbar sind auch Mietpreise oberhalb der ortsüblichen Miete. Aufschub gewähren die Gerichte zudem bei Schwangerschaft oder Examensstress - aber nur, bis sich die Situation normalisiert hat.

Häufen sich Eigenbedarfsfälle derzeit?

Mietervereine beraten ihre Mitglieder immer häufiger zu Eigenbedarfskündigungen. "Vor allem in Großstädten, Hochschulstädten und Ballungsgebieten steigen die Fallzahlen", sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes (DMB). Zum einen wollen tatsächlich mehr Vermieter in ihre eigenen Wohnungen ziehen - oder benötigen den Wohnraum für ihre Verwandten, weil sie keine günstigen Alternativen finden. Andererseits nutzen Eigentümer in Einzelfällen den Eigenbedarf als Vorwand, damit sie eine Wohnung teurer vermieten oder verkaufen können. Der DMB-Rechtsschutzversicherung zufolge machen Eigenbedarfsfälle fünf Prozent aller Mietrechtsprozesse aus. Hochgerechnet bedeutet dies, dass Gerichte bundesweit etwa 12 000 Mal pro Jahr über Kündigungen und Räumungsklagen wegen Eigenbedarfs verhandeln.

Urteilen die Gerichte beim Thema Eigenbedarf mieterfreundlich?

Eher nicht. Insbesondere der BGH hat den Kreis derjenigen nach und nach ausgeweitet, zu deren Gunsten der Vermieter Eigenbedarf geltend machen kann. Dazu gehört nicht nur die engere Familie, sondern auch der getrennt lebende Ehegatte sowie entfernte Verwandte wie etwa eine Nichte.

Vergangenes Jahr hat der BGH zudem eine Eigenbedarfskündigung durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts akzeptiert, der eine Fünf-Zimmer-Wohnung in München gehörte - und zwar zugunsten der Tochter eines Mitgesellschafters. Zudem darf man auch dann kündigen, wenn es nicht nur ums eigentliche Wohnen geht. So wird beispielsweise der Raumbedarf für ein Au-Pair-Mädchen anerkannt. Das Landgericht Berlin hat sogar die Kündigung durch einen Chefarzt gebilligt, der die Wohnung benötigte, um seine Tochter gelegentlich in Berlin zu besuchen. Auch berufliche Zwecke reichen aus, etwa, wenn man die Räume für die Einrichtung einer Anwaltskanzlei benötigt.

Plant die Politik, die Regeln zu ändern?

Die SPD kritisiert, die Rechtsprechung habe den Begriff des Eigenbedarfs zu stark erweitert. "Deshalb wollen wir die Definition gesetzlich klarstellen, damit der soziale Kündigungsschutz nicht umgangen werden kann", sagt Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er fordert, Vermieter sollten künftig keinen Eigenbedarf für ein entferntes Familienmitglied oder für einen Gewerbebetrieb anmelden dürfen. Auch wenn dem Eigentümer noch eine andere Wohnung im gleichen Haus zur Verfügung stehe, sollten die Kündigungen unzulässig sein. Zudem spricht sich die SPD dafür aus, künftig sollten nur noch private Vermieter Eigenbedarf anmelden dürfen - nicht mehr Personengesellschaften.

Doch die Union lehnt Verschärfungen ab. "Kündigungsschutz und Eigentumsrecht müssen fair austariert werden", sagt CDU-Mietrechtspolitiker Jan-Marco Luczak, "gerade im Interesse der vielen Kleinvermieter in Deutschland, für das Wohneigentum oft die Altersvorsorge ist." Es gebe bereits heute einen umfassenden Kündigungsschutz zugunsten der Mieter.

Strengere Regeln zum Eigenbedarf wären daher höchstens von einer möglichen rot-rot-grünen Regierung nach der Bundestagswahl zu erwarten. Denn auch Die Linke fordert mieterfreundlichere Regeln.

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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