Kommentar:Wahlkampf gewonnen, Zukunft verspielt

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Helmut Martin-Jung (Foto: Bernd Schifferdecker)

Digitalisierung? Im Kandidaten-Triell kam das kaum vor. Das verheißt nichts Gutes für die Zukunft Deutschlands.

Von Helmut Martin-Jung

Digitalisierung, war da eigentlich was? Die drei jedenfalls, die Ende September die Regierung anführen wollen, haben beim ersten ihrer TV-Trielle kaum etwas dazu gesagt. Warum das so ist, darüber braucht man nicht lange zu rätseln: Mit dem Thema, heißt es seit Jahren aus den Parteien, ließen sich eben keine Wahlen gewinnen. Wenn es nur das wäre: Die Wirtschaftsmacht Deutschland verhält sich auch so, dass sie Gefahr läuft, darüber die Zukunft zu verspielen.

Die Entwicklung hin zum Digitalen ist unaufhaltsam. Sie wird weitergehen, egal ob Deutschland dabei vorne dran ist oder hinterherhinkt. Mit jedem Jahr, in dem es aus vielerlei Gründen wieder kaum weitergeht hierzulande, wird es schwieriger, diese Entwicklung mitzugestalten. Es wächst vielmehr die Gefahr, einfach überrollt zu werden - wie es zum Beispiel bei sozialen Netzwerken längst der Fall ist.

Aber ist es denn alles wirklich so schlimm? Leider ja. Wohin man auch sieht, überall tun sich schwerwiegende Versäumnisse auf. Das beginnt bei der Grundvoraussetzung, dem Netzausbau. Der Fehler von Ex-Postminister Schwarz-Schilling, auf Kupferkabel statt auf Glasfaser zu setzen, wurde erst vor wenigen Jahren korrigiert - dabei hatte sich zum Beispiel eine japanische Zeitung schon damals, also vor Jahrzehnten, gefragt, warum eine Wirtschaftsnation wie Deutschland auf eine nicht zukunftsträchtige Technik baue. Das Ergebnis baden heute Unternehmen aus, die irgendwo auf dem Land sitzen und kaum ein Angebot verschicken können, weil das Netz so lahm ist.

Das setzt sich fort bei Projekten, die spektakulär scheiterten oder ein Nischendasein führen. Da wäre zum Beispiel der digitale Personalausweis - eigentlich ein sehr sicheres Mittel, sich auch online zu identifizieren. Doch Möglichkeiten, ihn dafür auch einzusetzen, gibt es kaum. Zu teuer, zu kompliziert. Oder die digitale Gesundheitskarte. Geplant bereits seit 2001, gelang es einfach nicht, dafür Vertrauen zu schaffen, die Gesundheitsdaten denjenigen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen. Auch die dafür entwickelte Infrastruktur ist teuer und kompliziert.

Leider ist es nicht so einfach, Verantwortliche festzumachen. Natürlich hat die Politik versagt. Es gibt zwar kompetente Digitalexperten in den Parteien. Die Entscheidungen aber fällten dann offenbar die Internetausdrucker und Fax-Liebhaber. Zudem stehen auch strukturelle Probleme dem Wunsch entgegen, Dinge wie etwa Bildungswesen und Verwaltung mit sinnvollen digitalen Anwendungen auszustatten.

Es fließt zu viel Geld an externe Berater

Bildung etwa ist Ländersache, die Schulen aber wiederum sind in verschiedener Trägerschaft - viel zu viel Energie verpufft in Koordinationsaufgaben und oft genug kommt am Ende eine suboptimale Lösung heraus. Die eigentlich sinnvolle Idee, im Kleinen zu lösen, was dort gelöst werden kann, zeigt dabei deutlich ihre Nachteile. Viele Länderverwaltungen sind ganz offenbar überfordert mit diesen Aufgaben. Deshalb fließt auch viel Geld, zu viel Geld, an externe Berater.

Aber wenn jedes Land eigene Berater einsetzt, kommen am Ende auch wieder verschiedene Lösungen heraus - das Ergebnis ist das vorherrschende Durcheinander von Software, die nicht vernünftig miteinander verknüpft werden kann. Und das sieht dann zum Beispiel so aus, dass Mitarbeiter in Gesundheitsämtern oder dem Robert-Koch-Institut Daten von Faxen in IT-Systeme übertragen müssen.

Ein Digitalministerium, das dürfte mittlerweile hinreichend klar sein, kann das Problem auch nicht lösen. Das fügte dem Ganzen bloß eine weitere Schicht hinzu. Vielmehr müssen die Hindernisse angegangen werden, die derzeit alles ausbremsen. Das sind vor allem die strukturellen Probleme, und die zu beheben, kann nur Chefsache sein.

Dass übrigens die FDP derzeit einen Höhenflug in den Umfragen erlebt, könnte auch damit zusammenhängen, dass sie in den Augen vieler noch am ehesten für Digitalisierung eintritt. Viele nervt es zunehmend, wie schlecht Deutschland hier dasteht. Die Zeiten, in denen sich kaum jemand für das Thema interessiert, gehen zu Ende.

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