Digitale Tagelöhner:"Davon kann niemand leben"

Unternehmen können Aufträge heute weltweit ausschreiben, sich die besten Talente sichern und auch noch Lohnkosten sparen. Auf Online-Plattformen schreiben sie Gelegenheitsjobs aus. Für viele Selbständige ist das eine einfache und bequeme Möglichkeit, Geld zu verdienen. Doch es gibt auch Schattenseiten.

Von Caspar Dohmen, Köln

Seine Nebenjobs kann Daniel bequem auf dem Sofa erledigen. Dann loggt er sich bei der Onlineplattform Clickworker ein und schaut, ob ihn einer der dort ausgeschriebenen Jobs wie Adressrecherchen, Textarbeiten oder Übersetzungen interessiert. "Für mich ist es eine simple Möglichkeit, Geld zu verdienen", sagt der 38-Jährige, mit schwarzer Designerbrille, Jeans und dunklem Hemd. Jetzt sitzt der junge Mann, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, in einem Berliner Café und erzählt: Seine Frau arbeite Vollzeit, er studiere neuerdings wieder, Sozialarbeit, und er kümmere sich um den Haushalt und den zweieinhalbjährigen Sohn. Dazwischen bleibe wenig Zeit für Nebentätigkeiten, deswegen jobbe er bei Clickworker. "Das kann ich machen, wann ich will und wie viel ich will", schwärmt er. Dann aber beschreibt er auch die Schattenseiten dieser Art der Arbeit.

"Jeder ist sein eigener Unternehmer, Freiberufler, dass hört sich toll an - und so werden einem solche Jobs ja auch schmackhaft gemacht", sagt Daniel. Er hat schon einmal studiert, in den Neunzigerjahren, Sozialwissenschaften an der Kölner Fachhochschule. Damals kellnerte er in Szenekneipen, später gab er Seminare für das Rote Kreuz. Verdient hat er dort mehr als heute bei Clickworker, wo er zuletzt Produktbeschreibungen für das Onlineauktionshaus Ebay schrieb.

Verlangt waren je 1500 Worte und die Berücksichtigung einiger Schlüsselwörter. Dafür gab es 50 Euro, ein vergleichsweise lukrativer Job auf der Plattform, sagt er, aber er brauche eben auch einige Stunden. Im Schnitt komme er bei Clickworker auf einen Stundenlohn von fünf bis zehn Euro, sagt er. Im Monat seien es hundert bis zweihundert Euro, ein schönes "Taschengeld", seinen kompletten Lebensunterhalt auf diese Weise zu bestreiten, das kann er sich nicht vorstellen.

Massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen

Genau das versuchen jedoch immer mehr Selbständige, die sich als digitale Tagelöhner verdingen. Schon einige Millionen Nutzer sind auf Plattformen wie Freelancer.com, Amazon Mechanical Turk oder Guru gemeldet. Alleine bei der US-Plattform TopCoder haben etwa 480.000 Softwareentwickler, Mediengestalter und sonstige Spezialisten ihr Profil hinterlegt, mehr als jeder Zweite aus Asien. Fett hervorgehoben ist auf der Internetseite der Hinweis an die Kunden, niemand müsse angestellt werden. Auf solchen Plattformen können Unternehmen mit einem offenen Aufruf Aufträge vergeben. Wer sich meldet, der hilft dabei, die Aufgabe zu lösen - unabhängig von den anderen.

Der Auftraggeber sucht sich zum Schluss eine Lösung aus. Es drohe die massenhafte Vernichtung guter, sicherer und hochqualifizierter Arbeitsplätze und eine verheerende Konkurrenz von Arbeitskräften, warnt Bert Stach, bei der Gewerkschaft Verdi für IT-Unternehmen zuständig. "Das Prinzip der Verlagerung von Arbeit kann einen Großteil der Stellen der knapp 900.000 Beschäftigten der IKT-Branche in Deutschland treffen", warnen in dem Berliner Crowdsourcing-Cloudworking-Papier Arbeitnehmervertreter, unter anderem von HP, T-Systems, SAP und IBM Deutschland.

Die Globalisierung verändert die Arbeitswelt, wieder einmal: Textilfabriken wanderten schon in den Sechzigerjahren von Europa und den USA in den Süden, später folgten andere Industrien. Heute stehen dort die Werkbänke für viele Produkte. Seit den Neunzigern verlagerten Unternehmen dann auch Dienstleistungen wie die Entwicklung von Software, die Betreuung von IT-Netzen oder Callcentertätigkeiten in den Süden. Sie ersetzten festangestellte Belegschaften im Norden durch solche im Süden oder vergaben Aufträge an Subunternehmer mit festen Belegschaften. Bei der Auslagerung über spezielle Internetplattformen werden dagegen Teile der Kernbelegschaften ersetzt durch einzelne Selbständige, die im Wettbewerb stehen - das ist neu. Jeder Einzelne kämpft um Aufträge, ob aus Johannesburg, Frankfurt oder São Paulo. Es drohe ein Unterbietungswettbewerb, warnt Stach. Etwa 145 Dollar habe ein Einzelner bei Freelancer.com im Schnitt in den vergangenen fünf Jahren verdient, also knapp 30 Dollar im Jahr, "davon kann niemand leben", sagt er.

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