Entweder, EU-Kommissarin Margrethe Vestager ist ehrlich begeistert - oder eine gute Schauspielerin. "Herausragend" sei die Arbeit der Abgeordneten, sie sei "wirklich beeindruckt". Und obwohl die Plenardebatte des EU-Parlaments am Montagabend per Videokonferenz stattfand, der Saal also praktisch leer war, habe sich "die Energie und der Enthusiasmus" deutlich übertragen.
Sanftes Misstrauen ist bei Vestagers Reaktion angebracht. Denn worüber die Digitalkommissarin da so jubelt, wird im Brüsseler Politikbetrieb sonst eher pflichtschuldig zur Kenntnis genommen: In den vergangenen Monaten haben die Abgeordneten Vorschläge erarbeitet, was ihrer Meinung nach drin stehen sollte in einem künftigen "Gesetz für digitale Dienste". Mit dem Gesetz sollen die Regeln für Internetplattformen grundsätzlich überarbeitet werden. Bis jetzt gilt für sie noch vor allem die sogenannte "E-Commerce-Richtlinie" aus dem Jahr 2000.
Vestager ist gerade dabei, ihren Vorschlag für so ein Gesetz auszuarbeiten, den sie am 2. Dezember präsentieren will, das Gesetzgebungsverfahren hat also noch nicht einmal richtig begonnen. In dieser Phase hat das EU-Parlament formell noch nicht allzu viel zu sagen, und mit der Manpower, mit der in der Kommission an solchen Themen gearbeitet wird, kann es auch nicht mithalten - weswegen solche frühen Ideen der Abgeordneten oft eher belächelt werden. Trotzdem hält Alexandra Geese Vestagers Begeisterung für echt: "Ich glaube, sie ist erleichtert, dass das, was wir wollen, in dieselbe Richtung geht, wie ihre eigenen Pläne", sagt die grüne Abgeordnete.
Die Grüne hat im Binnenmarktausschuss an einem von drei Berichten mit Ideen für das Gesetz mitgearbeitet - die Abgeordneten verabschieden in dieser Woche gleich mehrere Eingaben an die Kommission, weil sich verschiedene Ausschüsse mit dem Thema beschäftigen wollten. Inhaltlich liegen die drei Berichte aber recht nah beieinander. "Aktuell entscheiden Plattformen auf eigene Faust, wie sie mit illegalen Inhalten umgehen, solange Rechtsverletzungen schnell beseitigt werden. Das schafft zu viele Unsicherheiten und bietet keinen ausreichenden Schutz für die Meinungsfreiheit der Nutzerinnen und Nutzer", sagt etwa Tiemo Wölken von der SPD, der den Bericht des Rechtsausschusses verantwortet hat. Darum sei es wichtig, dass das neue Gesetz vor allem den Umgang mit illegalen Inhalten regele - und nicht automatisch für alles gelte, was irgendwie schädlich oder unerwünscht sei. "Sonst entscheidet am Ende Mark Zuckerberg, was wir sehen, und was nicht", sagt auch Alexandra Geese.
Interessanterweise sehen das die Plattformen selbst genauso. "Bei Inhalten, die schädlich, aber nicht illegal sind, obliegt es oft dem Anbieter, zu unterscheiden, wo die Linie zwischen Meinungs- und Informationsfreiheit und möglichen Schäden für Nutzer zu ziehen ist", heißt es in einer Stellungnahme des Branchenverbands Edima. Gerade wenn es darum gehe, Inhalte von den Plattformen zu entfernen, sorge eine sichere rechtliche Grundlage für Klarheit. Darum "schlagen wir vor, dass das Regelwerk sich zunächst auf Inhalte oder Aktivitäten konzentriert, die in der EU bereits als illegal definiert sind."
Im EU-Parlament hofft man aber auch für solche Inhalte für neue Regeln, die nicht verboten, aber trotzdem gefährlich sind, etwa für reißerische Fake News. "Die gehen auch deswegen oft viral, weil die Plattformen damit viel Geld verdienen", sagt Wölken - wenn die Beiträge von der Meinungsfreiheit gedeckt wären, könne man sie aber nicht einfach löschen. Der Abgeordnete setzt sich dafür ein, dass Nutzer zumindest mehr Einfluss darauf bekommen, nach welchen Kriterien ihnen Inhalte angezeigt werden oder eben nicht. Ihm zufolge sollten Nutzer sich sogar ganz gegen solches Kuratieren durch die Plattformen entscheiden können.
"Das Nicht-Durchsetzen von Regeln darf in der EU nicht zum Standortvorteil werden"
Gerade beim umstrittenen Thema der personalisierten Werbung dürfte es aber auch innerhalb des EU-Parlaments noch Debatten geben. "Aufmerksamkeitsheischender Content hat immer schon mehr Reichweite bekommen als langweiliger Content", sagt etwa Moritz Körner von der FDP. Ihm ist wichtig, dass mit den neuen Regeln ein System aufgesetzt wird, um diese dann auch durchzusetzen. "Die Datenschutzgrundverordnung zum Beispiel ist genau an dieser Stelle gescheitert", sagt der Abgeordnete. Beim Datenschutz ist grundsätzlich der Mitgliedstaat für die Durchsetzung zuständig, in dem die entsprechende Plattform ihren Sitz hat - Experten werfen der irischen Behörde jedoch vor, im Umgang mit Facebook viel zu lax zu sein. "Das Nicht-Durchsetzen von Regeln darf in der EU nicht zum Standortvorteil werden", sagt Körner.
Trotz aller Warnungen - ein positives Ergebnis hat die Debatte im EU-Parlament ihm zufolge bereits jetzt gebracht: Alle drei Berichte sprächen sich gegen eine grundsätzliche Pflicht für Plattformen aus, Inhalte auf ihren Seiten zu überwachen. Auch die Kommission hat bereits signalisiert, an diesem Grundsatz aus der alten E-Commerce-Richtlinie festhalten zu wollen. Einen großflächigen Einsatz von Uploadfiltern macht das eher unwahrscheinlich, um die bei der Urheberrechtsdebatte im vergangenen Jahr so heftig gestritten wurde - auch wenn an den Beschlüssen zum Copyright selbst nicht mehr gerüttelt werden soll. Ein gutes Signal sei das für all jene, die im vergangenen Frühjahr gegen solche Filter demonstriert haben, sagt Körner: "Das zeigt, dass es eben doch etwas bringt, sich in die Debatte einzumischen."