DGB-Studie zum Ausbildungsmarkt:Viele Hauptschüler müssen draußen bleiben

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Im manchen Handwerksberufen können auch Hauptschüler erfolgreich sein. Der DGB beklagt, dass viele Firmen ihnen zu wenig Chancen bieten (Symbolbild) (Foto: dpa)
  • Fast zwei von drei offenen Azubi-Stellen bei der IHK-Lehrstellenbörse sind für Jugendliche mit niedriger Schulbildung verschlossen. Das ergab eine Auswertung des DGB.
  • Von knapp 44.000 offenen Stellen der Lehrstellenbörse waren 61,6 Prozent von vornherein Jugendlichen mit niedriger Schulbildung verschlossen.
  • Der DGB untersuchte Ende März 2015 die offenen Ausbildungsplätze des bundesweiten Onlineportals der 80 Industrie- und Handelskammern.

Von Thomas Öchsner, Berlin

"Du hast Spaß am Umgang mit Menschen aus verschiedenen Nationen und verfügst über gute Englischkenntnisse sowie ein gut entwickeltes Zahlenverständnis." Das verlangt eine Hotelkette von neuen Auszubildenden, die Hotelfachmann/-frau werden wollen. Der geforderte Schulabschluss: "Mittlere Reife oder vergleichbar." Ein Restaurant in der Hamburger Hafen-City sucht einen jungen Menschen, der Koch lernen will und Lust zur "Ausbildung auf höchstem Niveau" hat. Auch hier geht ohne Mittlere Reife nichts. Ein Werkzeugstahl-Unternehmen möchte gern einen Azubi, der mit Computern umgehen kann, stellt aber nur einen mit "gutem Realschulabschluss" ein.

Alle Angebote finden sich auf der einzigen bundesweiten Lehrstellenbörse (www.ihk-lehrstellenboerse.de) der 80 Industrie- und Handelskammern und sie haben eines gemeinsam: Für Hauptschüler gibt es mit ihrem Abschluss hier keinen Anschluss. Sie brauchen ihre Bewerbung erst gar nicht abzuschicken, trotz der Klagen der Wirtschaft über Zehntausende unbesetzte Ausbildungsplätze und den Mangel an Fachkräften.

Besonders häufig klagt die Hotel- und Gastronomiebranche über unbesetzte Lehrstellen

Die Liste mit den Beispielen ließe sich endlos fortsetzen. Das zeigt eine Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) der IHK-Lehrstellenbörse, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Dabei wurden die Ende März 2015 knapp 44 000 offenen Ausbildungsplätze des Onlineportals untersucht. Fast zwei von drei angebotenen Plätzen waren dabei den Jugendlichen mit einem Hauptschulabschluss von vornherein verwehrt. Wer ganz ohne Schulabschluss ist, geht erst recht leer aus. Nur knapp vier Prozent der Stellenausschreibungen sind für diese Jugendlichen überhaupt offen.

Besonders häufig klagt die Hotel- und Gastronomiebranche über unbesetzte Lehrstellen. Trotzdem sind viele Unternehmen selbst dort wählerisch: Etwa 60 Prozent der Ausschreibungen bei den Hotelfachkräften sind so formuliert, dass Jugendliche mit Hauptschulabschluss draußen bleiben müssen. Bei den Restaurantfachkräften gilt dies immerhin noch für 40 Prozent der Angebote.

Auch im gewerblich-technischen Bereich werden diese jungen Leute oft ausgegrenzt. Fast jeder zweite zukünftige Zerspanungsmechaniker soll zum Beispiel kein Hauptschulabsolvent sein. Bei den Bank- und Büroberufen gehen die Chancen dieser Schulabgänger sowieso gegen null. Ob im Büromanagement, im Groß- und Außenhandel oder bei den Industriekaufleuten - hier liegt die Ausschlussquote bei mehr als 90 Prozent.

Für Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, ist deshalb klar: "Das passt nicht zu den ewigen Klagen über den vermeintlichen Fachkräftemangel. Zu viele Betriebe setzen immer noch auf eine Bestenauslese." Wer künftig seinen Fachkräftenachwuchs sichern will, müsse verstärkt Jugendlichen mit Hauptschulabschluss eine Chance geben.

Es stellt sich aber die Frage, wie die Auswahlpraxis der Betriebe mit der schwindenden Zahl der Hauptschüler zusammenhängt. Erstens gibt es infolge des Geburtenrückgangs weniger Schulabgänger. Zweitens tun viele Eltern alles, um zu verhindern, dass ihre Kinder in der Hauptschule enden. Drittens gibt es das, was manche den "Akademisierungswahn" nennen: Immer mehr junge Leute wollen Abitur machen und studieren. "Jugendliche in Deutschland streben nach höheren Bildungsabschlüssen", sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).

Er weist darauf hin, dass die Anzahl der Hauptschüler in den vergangenen zehn Jahren um 35 Prozent zurückgegangen ist und nur noch 17 Prozent aller Schüler eines Jahrgangs die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen. Deren Ausbildungschancen aber seien hervorragend und "werden immer besser". Mittlerweile könnten 75 Prozent von ihnen eine Ausbildung beginnen. In anspruchsvollen Ausbildungsberufen reiche ein Hauptschulabschluss jedoch leider nicht aus.

Bildungsforscher sehen dies nicht ganz so euphorisch. Im Nationalen Bildungsbericht 2012 heißt es: "Die Hoffnung, dass sich durch den demografisch bedingten Rückgang in der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen (. . .) die Übergangssituation der Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss verbessern würde, hat sich bisher nicht erfüllt." Die Autoren sehen sogar eine "faktische Abschottung" bei annähernd der Hälfte der Ausbildungsberufe für junge Leute.

Zukunft des dualen Systems in Frage

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) konstatiert hingegen, dass sich die Chancen von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss, eine duale Ausbildung zu beginnen, "relativ gesehen leicht verbessert" habe. Doch für die Zukunft des dualen Systems, also der Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule, sei es entscheidend, dass davon mehr Jugendliche mit Hauptschulabschluss als bisher profitierten. Die Betriebe müssten diese jungen Leute stärker als bisher "als Zielgruppe ihrer Rekrutierungsstrategien entdecken". Der Zugang zu vielen Ausbildungsberufen sei für sie aber erschwert, weil sich "kognitive Anforderungen" erhöhten. Dies verenge die beruflichen Aussichten für Jugendliche mit einem niedrigen Schulbildungsniveau.

Die besten Chancen hätten Hauptschulabsolventen noch im Handwerk, in Kleinbetrieben und in Firmen, die Probleme mit der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen hätten. Der Anteil der Jugendlichen im dualen System mit Hauptschulabschluss bleibt laut Berufsbildungsbericht allerdings rückläufig: 2003 lag die Quote noch bei 35 Prozent, 2013 rutschte der Wert erstmals unter 30 Prozent.

Dabei sind die Betriebe, die Hauptschulabsolventen eine Chance geben, mit ihrem Nachwuchs durchaus zufrieden. Das ergab eine Umfrage des Berufsbildungsinstituts. Oft brauchen sie aber Hilfe. Deshalb gibt es die "assistierte Ausbildung". Hier unterstützt ein Coach leistungsschwächere Jugendliche in den Lehrjahren. In der Allianz für Aus- und Weiterbildung wurde nun, auf Drängen des DGB, vereinbart, für 10 000 Ausbildungsplätze im Ausbildungsjahr 2015/2016 solche Helfer zur Verfügung zu stellen. DGB-Vorstandsmitglied Hannack fordert die Spitzenverbände der Wirtschaft auf, bei den Unternehmen für das Angebot zu werben.

Sie sagt: "Wir brauchen in Zukunft mehr und nicht weniger Jugendliche in betrieblicher Ausbildung."

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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