DGB-Chef Michael Sommer:Wie man das Unregierbare regiert

Lesezeit: 6 min

Recht bekommen - statt nur Recht haben wollen: DGB-Chef Sommer kämpft darum, den Gewerkschaftsbund schlagkräftiger zu machen.

Detlef Esslinger

Das ist eine der Fragen, die jeden Menschen interessiert: Wie sieht eigentlich heute das Haus aus, in dem ich geboren wurde?

"Wir waren gesellschaftlich geächtet" (Foto: Foto: ddp)

Michael Sommer nimmt sein iPhone in die Hand, er hielt gestern Abend vor diesem Haus und hat es fotografiert. Altrosa Anstrich, Vorbau, Erker, ein Unternehmer wohnt jetzt darin. Die Genossen vom SPD-Ortsverein Meerbusch-Büderich, die ihn eingeladen hatten, waren schwer beeindruckt. Sommer hat noch im Ohr, wie einer sagte: "Mensch, das ist ja jetzt in der Schlossallee." Sommer lacht. Heute kann er darüber lachen.

Aber Schlossallee? Als Michael Sommer am 17. Januar 1952 zur Welt kam, war die Villa von heute ein Haus für gefallene Mädchen; so nannte man das damals. Der Junge: ein uneheliches Kind, sein Erzeuger war Beamter in Düsseldorf, und nur unter der Bedingung, dass die Mutter ihr Kind auf der anderen Rheinseite austrug, im anderen Regierungsbezirk, erklärte er sich bereit, die Vaterschaft anzuerkennen. Daher Büderich. Michael Sommer startete eher in einer Badstraße ins Leben, der billigsten auf dem Monopoly-Feld.

Man kann natürlich finden, dass sich das für einen späteren Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) genau so gehört. Man sollte aber nicht vergessen, dass jeder Mensch auch durch seine Anfänge geprägt ist - und dass im Fall von Michael Sommer die Mutter in einer Bar arbeitete, um ihn und zwei ältere Schwestern durchzubringen, die sie noch vom im Krieg vermissten Ehemann hatte. Dass der Junge zeitweise im Heim lebte und die Mutter im Jahr 1956 mit ihm nach Berlin zog, weil dort seine Schwester mit 14 Jahren gestorben war und sie nah am Grab sein wollte. Eine alleinerziehende Mutter, die nach Westberlin kommt, als dort noch Wohnungsnot ist - Michael Sommer sagt: "Wir waren gesellschaftlich geächtet."

Er hat nun zwei Wahlperioden als Vorsitzender hinter sich. Auf dem DGB-Kongress, der am Sonntag in Berlin beginnt, will er wiedergewählt werden. Er war unter den Seinen nie unumstritten, und trotzdem: Drei Amtszeiten wurden bisher nur einem Vorgänger gewährt, Heinz-Oskar Vetter, der von 1969 bis 1982 an der Spitze stand.

In der Öffentlichkeit wurde Sommer bekannt, als er zornig und mit immer ausgestrecktem Zeigefinger gegen die Agenda 2010 des Bundeskanzlers Schröder polterte und kämpfte wie einer, der nicht Recht bekommen, sondern haben wollte. Sieht er das selber inzwischen auch so?

Michael Sommer atmet durch, bevor er antwortet. "Ja." Pause. "Ja. Kann schon sein. An der Beobachtung ist was dran. Man braucht ja auch immer Zeit, um in einem Amt anzukommen."

Unmöglicher Posten

Der DGB-Vorsitz ist im Grunde ein unmöglicher Posten. Der Gewerkschaftsbund besteht aus acht Mitgliedern: IG Metall, Verdi, IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), IG Bau, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Transnet, Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) sowie Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Sie vereinen 6,3 Millionen Mitglieder, aber allein auf die IG Metall entfallen 2,3 Millionen; sie und die etwas kleinere Schwester Verdi brauchen einen Dachverband im Grunde nicht - während es für eine aus 200 000 Mitgliedern bestehende NGG erst der Dachverband ist, der ihr wirklich Einfluss verschafft.

Zudem muss eine Gewerkschaft wie Verdi, die viele Mitglieder in Branchen mit schlechten Arbeitsbedingungen hat, viel mehr Wert auf politische Agitation legen als eine IG BCE, die Arbeitgeber vor allem als Sozialpartner erlebt. All diese Ansprüche muss ein DGB-Vorsitzender in sich vereinen, und im Kampf gegen die Agenda 2010 war Sommer den einen zu heftig, während andere fanden, er hätte Rot-Grün noch härter anfassen müssen. Die Folge: Bei der Wiederwahl vor vier Jahren rutschte er von 94 auf 78 Prozent ab. "Der DGB ist ein Spiegelbild der Gewerkschaften", sagt er.

Seither hat Sommer sein Amtsverständnis geändert. Er versucht nun lieber, Recht zu bekommen - was aber auch viel mit dem Wechsel von Schröder zu Merkel zu tun hat. Ein Außenstehender mag vielleicht staunen, wieso ein DGB-Chef, der zudem seit fast dreißig Jahren SPD-Mitglied ist, so gut mit der CDU-Kanzlerin kann.

Es ist aber wie immer im Leben: Ob zwei Menschen miteinander auskommen oder nicht, entscheidet sich an Formen, weniger an Inhalten. Sommer sagt, ihm liege es, mit jemandem wie Merkel zu verhandeln: "Es geht da viel rationaler zu, da ist weniger Machtattitüde oder Basta."

Schröders Umgangsformen hingegen? Einmal gehörte Sommer der Delegation an, die mit dem Kanzler durch Afrika fuhr. Beim Staatsbankett in Südafrika wurde er an den Präsidententisch gebeten, und er hat noch im Ohr, wie Schröder ihn dem Gastgeber Thabo Mbeki vorstellte: "Das ist der, der mich in Deutschland immer ärgert. Sei froh, dass du den nicht hier hast."

Das ist wahrscheinlich die Methode, wie man aus einem harten Gegner einen unerbittlichen macht: mal eben dessen Kindheitstrauma, die Ächtung, mobilisieren. Michael Sommer sagt, sein Verhältnis zu Gerhard Schröder sei geklärt, "ein für allemal".

Er fügt eine andere Anekdote hinzu, eine ganz andere. Neulich in Berlin, er wartete an der Siegessäule darauf, dass es grün wurde - und wen entdeckte er in dem Audi neben ihm? Westerwelle. "Da lächelt man sich schon freundlich zu und zeigt mit dem Finger rüber: Oh, neuer Dienstwagen? Tolles Auto."

"Unglaubliche Vorwürfe"

Der DGB-Chef suchte den Kontakt zum FDP-Vorsitzenden, als der noch in der Opposition war. "Unglaubliche Vorwürfe" aus den eigenen Reihen musste er sich anhören. "Ich habe gesagt: Leute, es ist meine Aufgabe, wenigstens einen Gesprächsfaden zu knüpfen. Eines Tages werden die an der Regierung sein, und ihr werdet fragen: Hast du wenigstens eine argumentative Basis zu denen?"

Gemurre gehört zum DGB wie Guido zum Westerwelle; Sommer hat versucht, es mit Essen halbwegs in den Griff zu kriegen. Einmal im Monat tagt der DGB-Bundesvorstand. Sommer führte ein, dass er sich am Vortag mit den Chefs der Einzelgewerkschaften zum Abendessen trifft. Zur Folklore des DGB gehört es nämlich, dass die Einzelgewerkschaften nicht unbedingt ihre stärksten Figuren in dessen Vorstand entsenden; mit der Folge, dass in dem Gremium oft Beschlüsse gefasst wurden, in denen sich die Gewerkschaftsbosse gelinde gesagt, kaum wiederfanden. Seit es die Abendessen gibt, hat Sommer sein Verhältnis zu ihnen entspannt. Für ihn selbst haben sie zudem den Vorteil, dass er anderntags mit einem hübschen Informationsvorsprung in seinen Vorstand ziehen kann. Und faktisch war es diese Runde, der er nun die dritte Wahlperiode verdankt.

Michael Sommer stammt aus der früheren Postgewerkschaft. Die Mutter und die Hans-Böckler-Stiftung hatten ihm das Politikstudium an der Freien Universität in Berlin ermöglicht, er jobbte in der Paketzustellung und entschied sich nach dem Examen für die Gewerkschaftskarriere. Bei der Postgewerkschaft brachte er es bis zum stellvertretenden Vorsitzenden, und als die vor neun Jahren in Verdi aufging, wurde er auch dort Vize. Sommer gehört also zum Stall von Frank Bsirske, und der überrumpelte vor einem Jahr, im Frühjahr 2009, seine Kollegen beim Essen mit einer als Frage getarnten Feststellung: "Wie ist es, wir wählen den Michael doch noch mal?"

Das war ein bisschen unverschämt, denn so herausragend wirkte dieser Vorsitzende nicht, dass die Auszeichnung mit einer dritten Amtszeit unvermeidlich war. Sein Kurs bei der Agenda 2010 und der Kontakt zu Westerwelle waren ja nicht die einzigen Dinge, die kritisiert wurden. Die Strukturreform des DGB kam lange Zeit nicht voran, ein Thema, das der Öffentlichkeit unwesentlich vorkommen mag - intern aber stellte vor allem die IG Metall den Bund zur Disposition, sollte es nicht zu Straffungen und besserer Abstimmung kommen. Und schließlich stören sich wiederum Metaller, aber auch Chemiker an Sommers Motto, Gewerkschaften seien für die "Schwachen", für die "kleinen Leute" da. Angesichts seiner Herkunft mag das verständlich sein. Ihr Lebensgefühl aber ist das nicht; damit, finden sie, gewinnt man keine Mitglieder. Doch nun hatte Bsirske die Frage gestellt, niemandem war nach Grundsatzdebatte, und nun tritt Sommer noch mal an, um den DGB "zukunftsfest" zu machen.

Alle fünf Vorstandsmitglieder stehen in Berlin zur Wiederwahl; neben Sommer noch die Damen Buntenbach und Sehrbrock sowie die Herren Hexel und Matecki. Vier Vorstände sind das, von denen es keiner in seinem Fachgebiet zur Kapazität gebracht hat. In der Öffentlichkeit sind sie etwas bekannter als die Ersatzspieler vom FC Augsburg, und abgesehen von Buntenbach erreichen sie in den kommenden vier Jahren alle das 65.Lebensjahr. Auch Sommer sagt, dass er 2014, mit 62 Jahren, endgültig nicht mehr antreten will. Er sagt, "dann werde ich Rentner" - worauf intern schon Vorwürfe kommen, wie kann er nur: sich jetzt schon zur lahmen Ente machen!

Auf seinem iPhone sind noch mehr Fotos. Die Tochter studiert, Sommer und seine Frau teilen sich das Haus im Südwesten der Hauptstadt mit zwei Doggen. Der Hund reckt seinen Hals Richtung Kamera, über das Gesicht des Herrchens legt sich ein seliges Hundsvater-Lächeln, als er das Bild auf dem Touchscreen hat. So wie die Dogge schaut, ist die Botschaft klar: Schlossallee erwischt. Was immer der DGB-Vorsitzende tut oder lässt, dem Tier kann er es recht machen.

© SZ vom 14.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: