Mobilität:So beliebt ist das Deutschlandticket

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Anders als beim Neun-Euro-Ticket kam es beim Deutschlandticket nicht zu einem großen Ansturm auf den ÖPNV. Voll sind die Regionalzüge oft trotzdem. (Foto: imago stock&people/imago stock&people)

50 Tage gibt es das Angebot, jetzt ziehen die Verkehrsunternehmen eine erste Bilanz. Und in den Sommerferien fürchten manche überfüllte Züge und fehlende Waggons.

Von Simon Sales Prado, Leipzig

Es sollte zugänglich, unkompliziert, einheitlich werden. Wie eine kleine Revolution für den Nahverkehr hatte die Politik das Deutschlandticket immer wieder beschrieben. Dann verzögerte sich die Einführung monatelang, Sozialverbände kritisierten den Preis, Umweltverbände waren skeptisch, ob man Menschen wirklich zum Umstieg auf Busse und Bahnen bewegen würde. Volker Wissing, der Verkehrsminister von der FDP, sprach zur Einführung trotzdem von einer Transformation der Mobilität. Deutschlandticket, das klingt groß.

Jetzt, rund 50 Tage nach Einführung des Angebots, drängen sich also Fragen auf: Konnte das Ticket seine Versprechen einlösen? Wer fährt damit? Wer nicht? Und ist das jetzt gut so?

Auf seiner Jahrestagung in Leipzig hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eine erste Bilanz zum Deutschlandticket gezogen. Mit dem Angebot, das sich bereits millionenfach verkauft hat, kann für 49 Euro im Monat deutschlandweit der Nahverkehr genutzt werden. Bei den Verkehrsunternehmen ist man eigentlich stolz darauf. Doch sie erkennen auch regionale Unterschiede bei Angebotsdichte und Qualität des ÖPNV. Denn das Deutschlandticket ist, je nachdem wo man wohnt, nicht gleich Deutschlandticket. Oder wie Ingo Wortmann, Präsident des Verbands, den Ausbaubedarf formuliert: "Wir müssen das passende Angebot zum Ticket haben."

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Bisher wurden rund elf Millionen Abonnements verkauft. Der überwiegende Teil dieser Verkäufe ging an zwei Gruppen: Erstens an die Stammkunden der Bahn, also Kundinnen und Kunden, die bereits andere Abos hatten und auf das günstigere Angebot umgestellt haben. Sie machen etwas weniger als die Hälfte der Gesamtverkäufe aus. Die zweite Gruppe besteht aus Abonnentinnen und Abonnenten, die den ÖPNV in der Vergangenheit hin und wieder genutzt haben und aus teureren - und damit auch einnahmestarken - Ticketangeboten nun in das günstige Abo wechseln. Nur etwas weniger als ein Zehntel der verkauften Deutschlandtickets gingen an Neukundinnen und Neukunden, die bisher kaum Bus und Bahn gefahren sind.

Nun fragen sich natürlich einige, ob das Deutschlandticket den erhofften Umstieg auf Bus und Bahn womöglich nicht schafft. Wie es eben einige Kritiker befürchtet hatten. Grundsätzlich, erklärt Ingo Wortmann, wirke das Ticket in zwei Richtungen: Zum einen bewege es zur häufigeren Nutzung des ÖPNV, zum anderen sorge es bei Pendlerinnen und Pendlern für finanzielle Entlastung. "Wenn sich die Nachfrage weiter so entwickelt, dann werden wir die von der Branche prognostizierten Verkaufszahlen in der nächsten Zeit erreichen", so der VDV-Präsident.

Das Ticket gibt es in der App, im Chipkartenformat oder auf Papier. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Schon zum Verkaufsstart hatten der VDV und die Deutsche Bahn erklärt, dass sie weder von einem schlagartigen Anstieg an Neukunden noch von plötzlich überfüllten Zügen ausgehen. Anders als etwa beim Neun-Euro-Ticket war das Deutschlandticket von Beginn an auf Dauer angelegt. Derzeit steigen die Verkäufe, man rechnet zudem mit weiteren Abonnements etwa unter Studierenden, den Effekten von Mund-zu-Mund Propaganda und Fluktuationen. So bereite man sich ab Oktober auf eine Welle neuer Abos vor, weil viele dann für Herbst und Winter vom Fahrrad auf den ÖPNV umsteigen. Umgekehrt rechne man dann mit Kündigungen von April an. Perspektivisch sollen rund 17 Millionen Menschen in Deutschland den Tarif nutzen, so die Prognose des VDV und der Bahn im Mai.

Zu den Gründen für den Kauf des Deutschlandtickets zählten bisher vor allem die bundesweite Gültigkeit und der Preis. Das geht aus den ersten Zahlen einer bundesweit begleitenden Marktforschung des VDV im Auftrag von Bund und Ländern hervor. Rund ein Fünftel nannten als Kaufgrund den Umweltschutz. Etwas weniger gaben außerdem an, mit dem Ticket bewusst auf Autofahrten zu verzichten.

Etwa ein Zehntel derjenigen, die sich kein Deutschlandticket gekauft haben, haben das aufgrund des Preises nicht getan. Sechs Prozent gaben an, sich die 49 Euro nicht leisten zu können. Das häufigste Argument gegen den Kauf aber ist der fehlende Bedarf: Für viele dieser Menschen scheint sich das Ticket nicht zu lohnen. Etwa, weil sie im ländlichen Raum wohnen.

"Auf dem Land wird das Ticket teilweise kaum genutzt", sagt Wortmann, der auch Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ist. Aus dem ländlichen Raum in Bayern höre er immer wieder den Vorwurf, das Deutschlandticket sei ein Angebot für Münchner, Würzburger, Nürnberger. Um neue Kundinnen und Kunden auf dem Land zu gewinnen, braucht es laut VDV neben einem Preisimpuls auch ein erweitertes Angebot, in ländlichen Gebieten wie in Städten.

Bis 2025 habe man kein Geld, um den ÖPNV auszubauen

Dafür braucht es mehr Geld. Genauer gesagt: 48 Milliarden Euro. Das ist die Summe, die Nahverkehrsunternehmen einem Gutachten zufolge bis 2030 brauchen, um Fahrzeuge, Personal und Infrastruktur zu modernisieren und so die EU-Klimaziele zu erreichen. Mittlerweile dürften die Kosten durch die Inflation weit höher sein. Wegen der Pandemie und wegen des Krieges in der Ukraine sind die Investitionen in den Nahverkehr derzeit ohnehin keine Priorität mehr. Die Bundesregierung will sie laut VDV erst im kommenden Jahr diskutieren.

"Wir haben in München sämtliche Ausbauszenarien bis 2025 zurückgestellt, weil wir bis dahin schlichtweg kein Geld haben, um den ÖPNV auszubauen", so Wortmann. Das sei bei vielen Verkehrsbetrieben so. Manche denken sogar über einen Angebotsabbau nach. "Wir können nicht ein neues Ticket anbieten und aus Geldmangel das Angebot abbauen."

Was das für die Zukunft des Angebots bedeutet, ist noch unklar. Nur so viel: Es gibt einen Grund, dass der Verkehrsminister von einem Deutschlandticket spricht und nicht von einem 49-Euro-Ticket - bei Letzterem müsste man den Namen ändern, wenn die Kosten erhöht werden würden. Auf eine Kostensteigerung werde in der Regel mit einer Tarifsteigerung reagiert, sagt Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des VDV. Der aktuell gültige Einführungspreis könne zwar gesteigert werden, Wolff geht davon zunächst allerdings nicht aus.

Derzeit ist die Finanzierung des Deutschlandtickets nur bis Ende des Jahres gesichert, sagt Wortmann. Man wisse nicht, ob man das Ticket ab dem kommenden Jahr anbieten könne. Man wolle das, sagt Wortmann. Nun brauche man verlässliche Zusagen der Politik.

Der Fahrgastverband Pro Bahn hatte noch ein anderes Bedenken: In der Berliner Morgenpost wies er darauf hin, dass im Sommer viele das Deutschlandticket nutzen, um während der Ferien ans Meer und in die Berge zu fahren - und dann sehr viele Züge überfüllt sein könnten. Eine Lösung dafür gebe es nicht: "Die Bahn kann ihre Verbindungen nicht ausbauen, da es sowohl an Waggons und Personal fehlt, zudem würden die Bahnsteige für längere Züge nicht ausreichen", sagte Pro-Bahn-Vorsitzender Karl-Peter Naumann.

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