Was machen Sie eigentlich?
Innosabi entwickelt Software für das Crowdsourcing. So können Unternehmen schon in einer frühen Phase der Produktentwicklung mit ihren Kunden zusammenzuarbeiten, beispielsweise über soziale Netzwerke. So lässt sich auch die Floprate senken. Das spart auch Geld, denn die Produktentwicklung ist teuer.
So eine Art Marktforschung über Facebook, Twitter und Co.?
Das kann ein Aspekt sein. Die Unternehmen zapfen die Crowd an, um Probleme zu lösen und Ideen einzusammeln. Sie nutzen die Intelligenz der Masse.
Ein Beispiel, bitte?
Ein aktuelles Beispiel ist der blaue Goldbär von Haribo. Es wurde ja schon lange darüber diskutiert, warum es keinen blauen Bären gibt. Schon in den 70er Jahren ging eine "Sendung mit der Maus" der Frage nach.
War Ihnen das Problem bewusst?
Ja, weil ich an in München Technologie- und Management-orientierte BWL studiert und mich auf Innovation und Marketing in der Lebensmittelindustrie spezialisiert habe.
Gut, Sie wussten, dass es keinen blauen Goldbären gibt, aber haben Sie ihn auch vermisst?
Ich fand die Diskussion spannend, vor allem mit welcher Emotionalität Kunden den blauen Goldbären gefordert haben.
Warum gab es denn keinen?
Weil es keinen Farbstoff natürlicher Herkunft gab, der ein ordentliches Blau lieferte.
Den gibt es jetzt?
Ja, er lässt sich aus Algen gewinnen. Aber Haribo hat den blauen Bären nicht einfach so auf den Markt gebracht, sondern seine Kunden befragt, welche sechs neuen Sorten sie sich wünschen und daraus eine Fan-Edition gemacht. Jede Woche wurde zwischen je zwei Sorten abgestimmt. Das war ganz clever. Haribo hätte ja auf einen Schlag alle zwölf Sorten zur Abstimmung stellen können. So wurden die Internetnutzer sechs Wochen lang auf die Seite geführt und die Spannung stieg.
Wo fand denn die Abstimmung statt?
Auf der Internetseite Goldbären-Fan-Edition.de und über Facebook. Die Technologie für Abstimmung und Auswertung stammt von uns. Der Betreiber der Seite ist Haribo.
Welcher Bär hat es nicht geschafft?
Granatapfel hat gegen den blauen Bären verloren, zum Beispiel.
Wie kam Haribo auf Innosabi?
Wir sind zwar noch klein, aber im Crowdsourcing haben wir uns schon einen Namen gemacht. Viele unserer Wettbewerber sind nur in der Ideengenerierung unterwegs. Wir begleiten unsere Kunden bis zum markreifen Produkt. Wir haben DM geholfen ein neues Duschgel der Eigenmarke Balea auf den Markt zu bringen, und Görtz hat mit uns Tücher entwickelt.
Wie lange dauert so ein Projekt?
Eine einmalige Aktion wie die Gummibärchen nur ein paar Monate. Es gibt aber auch dauerhafte Plattformen, über die etwa Continental ermittelt, welche Steuerung sich die Kunden für neue Traktoren wünschen. Das kann dann Jahre gehen.
Wie viele Menschen haben sich an der 'wichtigen Entscheidung' über die neuen Goldbären beteiligt?
Die genauen Zahlen veröffentlicht Haribo nicht. Wir dürfen sagen, es war eine sechsstellige Zahl. Das war eine der erfolgreichsten Kampagnen im deutschsprachigen Raum. In den USA gibt es Projekte mit deutlich mehr Teilnehmern, zum Beispiel den Chips-Konfigurator von Lay's. Es gibt auch Firmen, die schreiben Preisgelder in Millionenhöhe aus, da ist die Beteiligung natürlich höher. Bei Haribo gab es jede Menge Gummibärchen zu gewinnen.
Repräsentativ ist diese Art der Volksabstimmung nicht!
Den Anspruch hat sie auch gar nicht. Es ist eher eine Art Kanal für die Unternehmen, in den Dialog mit ihren Kunden zu treten.
Werden Sie pro abgegebene Stimme oder für das Projekt vergütet?
Keines von beiden; die Kunden zahlen für die Miete der Software-Lizenz. Die Software bildet Prozesse aus dem Innovationsmanagement ab. Nur im klassischen Innovationsmanagement habe ich vielleicht 100 Mitarbeiter in der Marketingabteilung, mit der Software kann ich mehrere Tausend Menschen in den Prozess einbeziehen. Der Prozess und die Werkzeuge sind aber immer die gleichen.
Der Haribo-Fall war trotzdem recht einfach: blau oder rot, Heidelbeere oder Granatapfel. Wie läuft denn ein komplexerer Prozess ab?
Da geht es um schwierige Fragen, zum Beispiel wie die Wärmeisolierung einer Outdoor-Jacke aussehen soll, welchen Hochdruckreiniger sich Kunden in Japan wünschen oder welchen Nagellack Frauen wollen. Letztes Jahr haben wir mit Manhattan die Community Colours auf den Markt gebracht, dieses Jahr die Birthday Colours. Die Firma hat in der Produktentwicklung Schritt für Schritt neue Fragen gestellt.
Zum Beispiel?
Welche Themenwelt die Kollektion widerspiegeln soll. In welchen Trend sich die Farben einbetten sollen. Die Leute konnten erst einmal alles äußern, was sie wollen. Die Software ermittelt dann, welches die beliebtesten Looks sind. Dann bewerteten die Kunden in einem zweiten Schritt, welche Looks sie mögen. Aus dem Ergebnis hat Manhattan ausgewählt, was zur Firma passt und umsetzbar ist. Das ist dann die Grundlage für die nächste Frage zu Farbe, Name oder Verpackung. An etwa tausend Mitentwickler hat Manhattan auch Prototypen verschickt mit Klarlack und Pigmenten, so dass die Kunden zuhause ihren eigenen Lack mischen konnten. In solchen Tests kommen dann auch ganz andere Wünsche der Kundinnen an ihren Nagellack zu Tage, an die gar keiner vorher dachte.
Was für welche?
Die Deckkraft ist wichtig. Der Lack soll sich leicht entfernen lassen. Eine Kundin berichtete aus den USA, dass Frauen erst weißen Bastelkleber auf den Nagel schmieren und dann den Lack, dann lässt er sich abziehen wie ein Aufkleber. Misslyn, eine Lackmarke von Artdeco, hat ein ähnliches Projekt mit uns gemacht, die hatten einen Lack-Konfigurator.
Aber in beiden Fällen ging es um Nagellack? Führten beide Projekte zum gleichen Ergebnis?
Nein, zu ganz unterschiedlichen. Die Kollektion für Misslyn hatte knalligere Farben.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Artdeco hatte das Thema Sweet Summer vorgeben, das führt einfach zu sommerlicheren Farben. Es hängt auch von der Marke ab. Von Manhattan erwartet die Kundin andere Farben.
Die Firmen sagen Ja.
Warum?
Ich habe zwei Erklärungen. Wenn ich Nutzer involviere, schaffe ich Produkte, die näher an ihnen dran sind. Wenn ich als Kunde mitentscheiden darf, wünsche ich mir Dinge, die es noch nicht gibt. Ein klassisches Kirschrot wünschten sich weder die Mitentwickler von Manhattan noch die von Artdeco. Die Beziehung zum Kunden ändert sich, früher lief die über den Händler, jetzt ist sie direkt. Die Produkte erzeugen schon Aufmerksamkeit, bevor sie im Laden sind, das ist die zweite Erklärung. Manhattan hatte im Vorfeld der Markteinführung ein paar Hundert Einträge von Beauty-Bloggern.
Gibt es denn einen Beleg, dass die Floprate crowdgesourcter Produkte geringer ist?
Der japanische Händler Muji hat mal berichtet, wenn Produkte im gleichen Regal liegen, verkaufen sich die besser, die von den Kunden mitentwickelten wurden - die Information kommt aus einer wissenschaftlichen Studie, gilt aber natürlich hier erst mal nur für das eine Unternehmen.
Heißt im Umkehrschluss, die Produktentwickler in den Firmen wissen gar nicht so richtig, was der Kunde will?
Das kennt man doch von sich selber: Man sieht irgendwann vor lauter Wald die Bäume nicht mehr. Es ist wichtig, beide Perspektiven zusammenzubringen.
War Haribo die erfolgreichste Crowdsourcing-Kampagne?
Die mit Lidl sind auch ziemlich erfolgreich. Im vergangenen Winter hat Lidl von seinen Facebook-Fans einen Joghurt entwickeln lassen, den "Fanghurt" Bratapfel-Marzipan. Dieses Jahr gab es den "Fanoothie", die Fans wollten auch den Namen. Aber der Erfolg bemisst sich nicht nur an den Teilnehmerzahlen, es geht auch darum, die richtigen Leute zu finden. Es geht bei Crowdsourcing nicht nur um Nagellack.
Sondern?
Um Innovationen, mit denen man gesünder und länger leben kann. Wenn es um das eigene Leben geht, werden Leute sehr kreativ. Patienten seltener Krankheiten sind besonders erfinderisch, weil sie für die Pharma- und Medizintechnik-Unternehmen nicht spannend sind. Der Markt ist zu klein, es lohnt sich nicht. Das hat ein Professor der Católica-Lissabon School of Business and Economics herausgefunden. Auf deren Seite Patient-Innovation läuft unsere Software. Da tauschen sich Patienten über Innovationen aus. Das ist auch eine Form von Crowdsourcing. Da geht es um Erfindungen, die den Alltag erleichtern. Da wird Wissen zusammengeführt und weiterentwickelt.
Wie viel Kunden hat Innosabi schon?
Ich muss nachdenken. 2011 wollten wir unser Geschäftsmodell auf kleine Firmen ausdehnen. Da hätten dann die Kunden des Pizzabäckers entscheiden können, was die Pizza der Woche ist. Da kommt man ganz schnell auf ein paar Hundert Kunden. Aber der Pizzabäcker braucht uns gar nicht so dringend, der redet sowieso jeden Tag mit seinen Kunden. Deshalb konzentrieren wir uns auf größere Kunden, von denen haben wir etwa 50 bis 60.
Wie kamen Sie auf den Namen Innosabi?
Wir haben lange überlegt. Wir haben nachgedacht wie wir sein wollen: innovativ, frisch, jung. Das haben wir dann mit Sachen wie Chili oder Wasabi assoziiert. Über die Wortkreationen haben wir über die Plattform Mechanical Turk von Amazon die Masse befragt. Ob der Name eine Bedeutung in ihrer Sprache hat? Welchen Namen sie gut finden? Gewinner der Befragung war Innosabi.
Welche Konkurrenten fürchten Sie?
Eigentlich keinen. Wir waren mit die ersten am Markt. Internationale Wettbewerber sind bloß schneller gewachsen, weil sie sich Risikokapitalgeber ins Haus geholt haben.
Das hätten Sie auch tun können!
Wir wollten uns erst einmal als Team finden. Wir waren sehr jung, als wir gegründet haben, Anfang 20. Ich habe in den vergangenen Jahren das Bauchgefühl schätzen gelernt. Wir wollen wachsen, aber nicht um jeden Preis. Wir wollen mit unseren Kunden und dem Produkt wachsen. Man hat ja nicht von Anfang das, was der Markt braucht, es entwickelt sich in Schritten. Heute haben wir ein ausgereiftes Produkt. Jetzt denken wir darüber nach, wie wir das, was wir erschaffen haben, richtig skalieren.
Heißt, jetzt wären Sie bereit für Risikokapitalgeber?
Eher. Das käme auf die Art des Deals an.
Gibt es denn Interessenten?
Wir haben viele Fallbeispiele gesammelt, das blieb nicht unbemerkt.
Können Sie sich einen Verkauf vorstellen? Sie wären dann mit um die 30 relativ reich und könnten sich, falls Sie sich langweilen, einem gemütlichen Job im Konzern zuwenden?
Als Gründer steckt man sein Herzblut in die Firma und steckt Privates zurück. Die Firma macht Gewinn und wir zahlen uns als Gründer trotzdem kleine Gehälter. Das Geld stecken wir wieder in die Firma, weil wir das Potenzial sehen. Irgendwann soll es sich für uns lohnen.
Wann?
Als Mensch ist man doch meistens nur gut in einer Sache. Als Gründer ist man kreativ und gut im Schaffen von Neuem. Irgendwann ist die Firma sicher in einem größeren Konstrukt besser aufgehoben. Es ist eine Option, die Firma irgendwann abzugeben, aber dieser Gedanke bestimmt nicht unser tägliches Handeln. Ziel Nummer eins muss sein, wie können wir den größten Wert für unsere Kunden schaffen.
Haben Sie einen Zeithorizont?
Es wird keine 20 Jahre mehr dauern.
Und dann?
Wieder gründen, wir sprudeln vor Ideen. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben noch einmal angestellt arbeiten werde.
Wieso?
Eine eigene Firma zu gründen ermöglicht es einem, Entscheidungen so zu treffen, wie man sie für richtig hält. Und auch so zu leben. Die Termine, die ich heute mache, würde ich im Konzern für meinen Chef machen. Gründen ist das Kreativste, was man tun kann. Da kann man sich ausleben. Man sieht sofort, wie Dinge, die man sich ausdenkt, einen Wert schaffen. Man ist nicht ein kleines Rädchen im Getriebe.
Fühlten Sie sich denn so, als Sie noch für Osram gearbeitet haben?
Ist das in großen Organisationen nicht automatisch der Fall? In meiner Firma bin ich selbstbestimmt.
Was fürchten Sie am meisten?
Ich merke, dass man als Gründer nicht unbedingt auf seinen Körper hört, gerade weil man für seine Idee brennt. Ich fürchte, dass ich die Grenzen der Belastbarkeit nicht erkenne.
Sagen das Ihnen nicht Ihre Mitgründer?
Wir sind alle so.