Deutsche Börse:Warum immer weniger Firmen an der Börse sind

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Der Herr über den Dax: Theodor Weimer, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse AG, im Handelssaal der Wertpapierbörse. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Vor 20 Jahren waren in Deutschland noch mehr als 700 Unternehmen am Aktienmarkt notiert, jetzt sind es nur noch gut 430. Der Chef der Deutschen Börse, Theodor Weimer, kennt die Gründe.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Laut Lehrbuch spricht einiges für Börsengänge: Unternehmen können sich über den Aktienmarkt frisches Kapital besorgen - für Wachstum, und um sich unabhängiger zu machen von Bankkrediten. An ihrem Erfolg können auch weniger vermögende Bürger teilhaben, weil Aktien in der Regel auch schon für wenig Geld zu haben sind. Ausgerechnet aber Theodor Weimer, der Chef der Deutschen Börse - eine Firma, die selbst börsennotiert ist - mag offenbar nicht mehr so recht an die Vorteile von Börsengängen glauben. "Der Grundgedanke, man geht an die Börse, um Wachstumskapital zu bekommen, der ist zunehmend weniger wert", sagte Weimer am Montagabend im Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten (ICFW). "Unternehmen, die gut sind, die kriegen auch Privatkapital", so Weimer.

Privatkapital, das sind Finanzinvestoren, in der Fachsprache Private Equity. Diese Fonds kaufen aus ihrer Sicht unterbewertete Unternehmen und krempeln sie oft auf recht rabiate Weise um. Anders als an der Börse profitieren davon aber in der Regel vor allem vermögende Privatanleger. Und wenn es schlecht läuft, werden Finanzinvestoren zuweilen ungemütlich. Viele Unternehmer hielten Private Equity dennoch für attraktiver. "Wer heute ein Unternehmen an die Börse führt, der sagt: Was tue ich mir an? Mein Gehalt steht in der Presse, das ist alles hochreguliert, ich muss alle drei Monate Quartalsberichte abliefern", sagte Weimer. "Ich bin leider nicht der Marketingpapst für Börsengänge".

Tatsächlich erleben nicht nur Frankfurt, sondern viele Börsen weltweit, seit Jahren einen Rückgang der Börsennotierungen. Zuletzt waren in Deutschland rund 430 Unternehmen am Aktienmarkt notiert. 20 Jahre zuvor waren es noch mehr als 700. 2022 wurden nach Angaben der Deutschen Börse der Handel mit zwölf Aktien eingestellt. Dem standen nur vier Börsengänge gegenüber. Zuletzt machten etwa die Eigentümer des traditionsreichen hessischen Wärmepumpen-Spezialisten Viessmann von sich reden. Sie verkauften ihr Unternehmen lieber an einen amerikanischen Konkurrenten, statt schlichtweg Kapital über die Börse einzusammeln und dabei die Kontrolle der Firma zu behalten. Oder die Wiesbadener Immobilienbank Aareal, die gerade von US-Finanzinvestoren übernommen wurde und in Kürze wohl den Rückzug von der Börse antritt. Ein herber Rückschlag für den Frankfurter Finanzplatz war auch der Rückzug des wertvollsten Dax-Konzerns Linde, der ein Listing an der Wall Street vorzieht. Das Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech - bekannt für seinen Impfstoff gegen Corona - wählte für seinen Börsengang im Oktober 2019 direkt die Wall Street und machte einen Bogen um Frankfurt. Dort habe man besseren Zugang zu spezialisierten Investoren.

"Der eigentliche Treiber der Aktienkultur ist der Staat"

Er wolle sich natürlich nicht gegen Börsennotizen aussprechen, sagte Theodor Weimer, früher Chef der HypoVereinsbank und seit 2018 Chef der Deutschen Börse, aber er wisse aus unzähligen Gesprächen, wie schlecht die Position der Börse inzwischen sei. "Es gibt zu viel privates Kapital, und viele Firmen finden das netter". Noch dazu erzielten Unternehmen beim Verkauf an Private Equity oft höhere Bewertungen, ist sich Weimer sicher. Weniger Vermögende könnten dann aber nicht mehr teilhaben am Erfolg der Unternehmen. Denn wer in Private Equity investiert, muss dafür oft mehr als 200 000 Euro auf den Tisch legen. "Es ist eigentlich unglaublich, dass sich einige wenige die guten Deals zuschieben, und die 'Normalsterblichen' haben keinen Zugang", sagt Weimer, der Ende 2024 aus Altersgründen bei der Deutschen Börse aufhört.

Eine Hauptversammlung zu organisieren, sei übrigens noch das kleinste Problem für börsennotierte Unternehmen, sagte der Manager, der sich als Freund des umstrittenen neuen Formats der digitalen Hauptversammlung zu erkennen gab, das viele deutsche Investoren ablehnen. "Es ist nicht mein Job, für die Präsenz-Hauptversammlung zu werben", sagte er. Hauptversammlungen hätten mit Aktienkultur nicht viel zu tun. Länder wie die USA oder Großbritannien mit starker Aktienkultur würden auch keinen großen Wert auf Hauptversammlungen in Präsenz legen. "Die haben diesen Zinnober dort nicht", sagte Weimer. Der eigentliche Treiber einer Aktienkultur sei der Staat, wenn er sein Grundverständnis zur Rentenfinanzierung über den Kapitalmarkt ändere.

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