Die Deutsche Bank will bestimmte Fonds mit Agrarrohstoffen nicht mehr anbieten. Was steckt dahinter? Ein PR-Gag, oder ein echter Sinneswandel? Die Süddeutsche Zeitung hat einen Kritiker und einen Befürworter der Agrarspekulation gefragt, wie ernst es die Bank mit dem Thema meint.
Vor einigen Wochen waren Heiner Flassbeck, ehemaliger Chef der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (Unctad), und Ingo Pies, Wirtschaftsprofessor an der Universität Halle, Teilnehmer einer geheimen Konferenz der Deutschen Bank. Das Institut hatte Wissenschaftler, Nichtregierungsorganisationen und Spekulationsgegner eingeladen, mit ihr über Investitionen in Agrarrohstoffe zu diskutieren. Was dabei gesprochen wurde, blieb allerdings unter Verschluss - die Teilnehmer haben sich zu einer gewissen Geheimhaltung verpflichtet, Medienvertreter wurden nicht eingelassen.
Flassbeck und Pies antworteten schriftlich auf die gleichen Fragen der SZ und berichten so aus ihren unterschiedlichen Blickwinkeln, wie sich die Deutsche Bank in der Debatte verhält.
SZ: Die Deutsche Bank hat bekannt gegeben, künftig auf Nahrungsmittelfonds mit einer sogenannten Momentum-Strategie zu verzichten. Diese soll im Verdacht stehen, Preise zu treiben. Lenkt die Bank nun also tatsächlich ein, oder ist das ein PR-Gag?
Ingo Pies: Im Zentrum der Spekulationskritik stehen Indexfonds. Die aber verfolgen schon allein aufgrund ihrer Konstruktion keine Momentum-Strategie. Insofern sehe ich hier keinen Politik-Wechsel der Deutschen Bank, sondern eine Bekräftigung der bisherigen Politik, auch zukünftig auf Indexfonds zu setzen. Im Gegensatz zu manchen Kritikern halte ich das für unbedenklich, weil Indexfonds aufgrund ihrer speziellen Bauart zur Stabilisierung der Agrarmärkte beitragen. Für die öffentliche Debatte würde ich mir wünschen, dass man nicht einfach der Suggestiv-Wirkung des Spekulationsbegriffs erliegt, sondern sich die Mühe macht, mit größerer Sachkunde und folglich differenzierter zu argumentieren.
Heiner Flassbeck: Ich kann nicht beurteilen, wie wichtig das für die Gesamtaktivität und die Strategie der Deutschen Bank im Bereich der Rohstoffinvestments ist. Ich denke, dass es Teil des Herdenverhaltens ist, das diese Märkte kennzeichnet und sie ineffizient macht. Jedenfalls ist es ein Schritt in die richtige Richtung, weil es genau solche Aktivitäten sind, die zum Überschießen von Preisen führen und damit zu falschen Preisen. Genau dies kann es eigentlich nach Auffassung der Verteidiger der Spekulation nicht geben. Insofern ist das ein schöner Beweis für die Richtigkeit meiner Thesen.
War das Geheimtreffen der Deutschen Bank zur Agrarspekulation eine gute Idee?
Pies: Ja. Als Wirtschaftsethiker begrüße ich es generell sehr, wenn Unternehmen sich mit ihren Kritikern zusammensetzen und beide Seiten von Monolog auf Dialog umschalten. Dass die Teilnehmer zu einer genau umrissenen Verschwiegenheit verpflichtet wurden, war sinnvoll, weil Organisationsvertreter nur durch diese gezielte Einschränkung der Transparenz dazu veranlasst werden können, sich inhaltlich aufeinander einzulassen, anstatt juristisch vorbereitete Statements abzugeben.
Flassbeck: Ob geheim oder nicht, jedes Aufeinandertreffen unterschiedlicher Positionen in einer so kontroversen Frage ist sinnvoll. Regeln zu Verschwiegenheit sind durchaus üblich und bedeuten gerade nicht "Geheimkonferenz". Es ist ja auch schon eine Menge über die Konferenz geschrieben und gesagt worden.
Wo lagen die Hauptstreitpunkte bei der Konferenz?
Flassbeck: Die wichtigste Frage ist, wie sich die Investments in Rohstoffderivate auf die Preisbildung auswirken, das wird von vielen immer noch nicht verstanden oder sie wollen es nicht verstehen. Man ignoriert zum Beispiel Herdenverhalten an den Finanzmärkten und über verschiedene Finanzmärkte hinweg, das man eindeutig empirisch nachweisen kann. Herdenverhalten ist genau das Gegenteil von effizientem Marktverhalten und führt immer zu falschen Preisen. Das wird von den Befürwortern vollkommen ignoriert. Man arbeitet generell mit sehr primitiven Vorstellungen über Finanzmärkte, in denen beispielsweise der Hochfrequenzhandel mit seinen Folgen für Preisfluktuationen überhaupt nicht vorkommt.
Pies: Zunächst einmal gab es wichtige Gemeinsamkeiten - alle Teilnehmer waren sich darin einig, dass eine wirksame Bekämpfung des globalen Hungers bessere Governance-Strukturen in Entwicklungsländern und zudem eine nachhaltige Steigerung der weltweiten landwirtschaftlichen Produktion erfordert. Der weltweite Agrarsektor ist gegenwärtig unterfinanziert und benötigt dringend privates Kapital, vor allem für Infrastrukturinvestitionen, mit denen die eigentlich zuständigen Staaten überfordert wären. Hier können Banken eine außerordentliche konstruktive Rolle spielen. Strittig hingegen blieb die Rolle der Finanzspekulation.
Kann ein Spekulationsverbot den Hunger in der Welt beenden, oder zumindest das Problem abmildern?
Flassbeck: Das ist genau die falsche Frage! Es geht um die Frage, ob man falsche Preise an den Rohstoffmärkten, auch überschießende Preise verhindern kann, indem man die Portfolio-Investments an den Rohstoffmärkten eindämmt. Das allein wird den Hunger nicht aus der Welt bringen. Es wird aber die Gefahren für die Ärmsten deutlich vermindern, wie 2008 in einer Phase falscher Preise unter die Räder zu geraten. Kein vernünftiger Mensch will übrigens die klassische Spekulation oder Absicherungsgeschäfte generell verbieten, diese Form der Spekulation wird von den Verteidigern "freier Märkte" absichtlich mit der neuen Form des Rohstoffinvestments durcheinandergeworfen, um vom Marktversagen bei den Portfolio-Investments abzulenken.
Pies: Spekulationsverbote bedienen Emotionen. Aber sie lösen das Hungerproblem nicht, sondern verschärfen es eher. Deshalb warnen Agrarökonomen vor der Gefahr, die Funktionsweise der Terminmärkte regulatorisch zu beeinträchtigen: Die Finanzspekulation entlastet landwirtschaftliche Produzenten von Preisrisiken. Sie übernimmt damit die Aufgabe einer Versicherung. Das ist nicht unmoralisch, sondern moralisch. Das Versicherungsangebot der Finanzspekulanten lässt sich deshalb auch als institutionalisierte Solidarität beschreiben. Das ist gut für die Agrarproduktion und trägt folglich dazu bei, den Hunger zu bekämpfen.
Hat die Diskussion dazu geführt, dass die eine oder die andere Seite ihre Meinung geändert hat - vielleicht in einzelnen Punkten?
Flassbeck: Das hoffe ich doch. Mein Eindruck war, dass einige Teilnehmer gut zuhörten und neue Argumente und neue empirische Ergebnisse zur Kenntnis genommen wurden. Es gibt allerdings immer noch die Tendenz bei einigen, die wenig eigene Einblicke in die Funktionsweise der Märkte haben, die "Wissenschaft" vorzuschieben in dem Versuch, die Effizienz der Märkte zu verteidigen. Das ist lächerlich, hat doch die "Wissenschaft" geradezu kläglich versagt beim Verständnis dessen, was an den Finanzmärkten passiert und in der Vergangenheit passiert ist. Seit dreißig Jahren ignoriert die Mehrheit in der "Wissenschaft" die eindeutigen Belege für falsche Preise an den Devisenmärkten, weil sie ihr Dogma vom effizienten Finanzmarkt verteidigen will. Wer dort "Beweise" sucht, wir niemals fündig werden.
Pies: Die zivilgesellschaftlichen Organisationen waren 2011 mit der vollmundigen Erklärung gestartet, es gebe "erdrückende Belege" für die hungermachende Wirkung von Indexfonds. Von dem Nachweis, dass diese angebliche Wirkung in den letzten Jahren tatsächlich eingetreten ist, haben sie sich mittlerweile weitgehend verabschiedet. In der Öffentlichkeit ist diese argumentative Rückzugsbewegung freilich bislang kaum wahrgenommen worden.