Spanien:Dieses Unternehmen baut die Züge für die Deutsche Bahn

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ICE-Züge der Deutschen Bahn stellt unter anderem Siemens her. Für die anderen ging nun ein Großauftrag an den spanischen Hersteller Talgo. (Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Die Bahn hat 23 Fernzüge beim spanischen Hersteller Talgo bestellt - mit der Option, den Auftrag auf 100 Züge aufzustocken.
  • Von 2023 an sollen die Züge mit bis zu 230 Stundenkilometern auf jenen deutschen Strecken verkehren, auf denen keine ICE fahren.
  • Spanische Ingenieure erbringen seit langem Spitzenleistungen in der Schienentechnik.

Von Thomas Urban, Madrid

Für die spanische Wirtschaftspresse bedeutet der jüngste Vertragsabschluss des Eisenbahnbauers Talgo mehr als nur eine Nachricht über einen Kurssprung des Unternehmens und über gesicherte Arbeitsplätze. Talgo baut 23 Fernzüge für die Deutsche Bahn, mit der Option, das Auftragsvolumen auf 100 Züge aufzustocken. Das ist ein Triumph für die Spanier, dass sie im Lande der Ingenieure und Technikkonzerne - im wörtlichen Sinn - zum Zuge kommen. Zwar verfügt Spanien über das längste Netz für Hochgeschwindigkeitszüge in Europa, das auch noch das zweitlängste der Welt (nach China) ist, doch dass die spanischen Ingenieure seit Langem Spitzenleistungen in der Schienentechnik erbringen, ist nördlich der Pyrenäen wenig bekannt.

Dabei ist Talgo längst weltweit aktiv, in fast 40 Ländern auf vier Kontinenten fahren derzeit Züge des Konzerns, der im Madrider Vorort Las Matas ansässig ist. Der deutsche Markt ist dabei besonders begehrt, nirgendwo in Europa werden mehr Züge gebraucht. Die fest bestellten 23 Gliederzüge sollen mit bis zu 230 Stundenkilometern von 2023 an zum Einsatz kommen, insgesamt 550 Millionen Euro will die Deutsche Bahn dafür ausgeben. Sie werden nicht dem ICE Konkurrenz machen, sondern für sie sind Strecken vorgesehen, auf denen dieser nicht fährt, darunter Berlin-Amsterdam, Köln-Westerland auf Sylt und Hamburg-Oberstdorf. Für Talgo bedeutet es auch einen Kraftakt; im vergangenen Jahr hatte die Zentrale in Las Matas mit Gesamtumsatz mit 800 Millionen Euro angegeben; es müssen also Kapazitäten ausgebaut werden.

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Bis 2024 will die Bahn mehr als 200 neue Züge auf die Gleise setzen. Damit will sie steigende Fahrgastzahlen bewältigen.

Talgo gehört zu den spanischen Technikkonzernen, deren Ursprung in der frühen Franco-Zeit liegt, als ein breites Programm zum Ausbau der Infrastruktur darauf abzielte, die Volkswirtschaft nach dem verheerenden Bürgerkrieg (1936-1939) wieder zum Laufen zu bringen. Der Firmenname ist eine Abkürzung für Tren articulado ligero Goicoechea Oriol (Gliederzug in Leichtbauweise nach Goicoechea und Oriol). Es war ein neues Konzept, wie es auch in anderen Ländern ausprobiert wurde: Nicht schwere Lokomotiven zogen eine Wagenreihe, sondern Triebköpfe vorn und hinten schlossen die Waggons ein und bildeten eine Einheit mit ihnen.

Der Ingenieur Alejandro Goicoechea und der Betriebswirt José Luís Oriol gründeten gemeinsam das Unternehmen, das 1942 mit Zügen für den Madrider Vorortbetrieb begann. Der Baske Goicoechea hatte da bewegte Jahre hinter sich. Zu Beginn des Bürgerkriegs war er der Chefplaner beim Bau der Befestigungsanlagen von Bilbao, mit denen sich die Basken vor den Truppen des Rebellengenerals Franco schützen wollten. Doch hat er nach Meinung mancher Historiker die Seiten gewechselt und den Einheiten Francos die Schwächen der von ihm selbst konzipierten Anlagen offenbart. Ob er die Angaben freiwillig gemacht hat oder dazu gezwungen wurde, ist allerdings nicht klar. Unumstritten ist dagegen, dass Talgo seinen Anteil am ersten Wirtschaftsboom unter Franco hatte und seine Stellung, wie die meisten Infrastrukturunternehmen, in der spanischen Demokratie weiter ausbauen konnte.

Heute erreichen auf den drei Rennstrecken des spanischen Netzes von Madrid nach Sevilla, nach Barcelona sowie nach Valencia die Hochgeschwindigkeitszüge phasenweise eine Reisegeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern und bringen somit Pendler zwischen den Stadtzentren schneller zum Ziel als die Fluggesellschaften. Die staatliche spanische Eisenbahngesellschaft Renfe war jahrzehntelang der Hauptabnehmer der Talgo-Züge. Mit der spanischen Wirtschaftskrise, die vor elf Jahren mit dem Platzen einer Immobilienblase ausbrach, musste Talgo allerdings neue Märkte erschließen. Für einen Moment schien der Konzern selbst in Schieflage geraten zu sein, da ein Teil der Erben seine Anteile an einen Fonds der Lehman-Bank verkauft hatte. Doch dieser Fonds, der heute Trilantic heißt, stabilisierte sich. Ihm gehören 59 Prozent der Anteile, knapp 21 Prozent sind in den Händen der Oriols, die auch traditionell den Vorstandsvorsitzenden stellen.

Das Unternehmen ging 2015 an die Börse, doch innerhalb des ersten Jahres sackte der Kurs vom Ausgabepreis von neun Euro auf 3,30 Euro ab. Danach gab es ein Auf und Ab, indes mit klarer Aufwärtstendenz. Am Vorabend des Vertragsabschlusses mit der Deutschen Bahn wurde die Aktie mit 5,40 Euro notiert.

Auch an der Strecke zwischen Mekka und Medina sind die Spanier beteiligt

Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist es der Geschäftsführung gelungen, ihre Züge weltweit zu vertreiben. Sogar der US-Anbieter Amtrak kaufte bei den Spaniern ein. Aufhorchen ließen sie auch, als sie bei der Ausschreibung der russischen Staatsbahn für den Nachfolger des ruhmreichen "roten Pfeils", des Expresses zwischen Moskau und St. Petersburg, das Rennen machten. Ebenso sind Züge von Talgo als Ost-West-Express zwischen Berlin und Moskau unterwegs.

Den Spaniern kommt dabei zugute, dass sie große Erfahrung mit der Anpassung von Achsen an unterschiedliche Spurbreiten haben. Denn auch zu Francos Zeiten waren die Schienen breiter, so wie traditionell in Russland. Erst mit dem Beitritt Spaniens zur damaligen Europäischen Gemeinschaft wurde schrittweise die europäische Norm eingeführt; doch für die Übergangszeit mussten Fahrwerke entwickelt werden, in denen der Abstand der Räder schnell und unkompliziert angepasst werden konnte.

Während an der sowjetisch-polnischen Grenze früher ganze Wagengestelle ausgetauscht wurden, hat Talgo ein automatisches Konzept zur Anpassung der Spurbreite direkt an der Achse entwickelt. Auch in den weiten Steppen Kasachstans hat sich Talgo etabliert. Die Strecke zwischen der alten Hauptstadt Almaty und der neuen Astana bestreiten überwiegend die Züge aus Kastilien. Auch in Usbekistan haben sie einen Teil der Ausschreibungen gewonnen. Ebenso sind die Spanier an der 450 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen den saudi-arabischen Pilgerorten Mekka und Medina beteiligt. Die Milliardeninvestition hat der damalige spanische König Juan Carlos mit den saudischen Herrschern ausgehandelt.

Der deutsche Markt ist kein Neuland für Talgo: Von 1994 an waren sechs Talgo-Züge nachts mit bis zu 160 Stundenkilometern auf deutschen Schienen unterwegs, zwischen Berlin, München und Hamburg. Doch da der Unterhalt dieser eigens konzipierten Nachtzüge zu teuer war, wurden sie nach 15 Jahren aus dem Fahrplan gestrichen und durch herkömmliche Liegewagen ersetzt. Die neuen Züge indes sollen im normalen Tagesbetrieb zum Einsatz kommen.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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