Debatte um die Quote:Wenn Frauen scheitern, ist das ein Privatproblem

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Von 2003 bis 2007 war Thomas Sattelberger Personalvorstand beim Autozulieferer Continental, anschließend arbeitete er in gleicher Funktion bis 2012 für die Deutsche Telekom. (Foto: Jakob Berr)

17 Frauen hatten es in kurzer Zeit in die Vorstände von Dax-Konzernen geschafft - ein Hoch auf die Gleichberechtigung! Doch inzwischen sind acht von ihnen wieder ausgeschieden, die Symbolpolitik an der Spitze ist gescheitert. Fünf Thesen zur Erklärung.

Gastbeitrag von Thomas Sattelberger

Was war Deutschlands Wirtschaft stolz darauf: Sage und schreibe 17 Frauen hatten sich in nur drei Jahren ihren Weg in den Vorstand eines Dax-Unternehmens gebahnt. Heute sind acht von ihnen, also knapp jede zweite, nicht mehr in ihren Positionen. Unternehmensführer reagieren gereizt und angegriffen, die Medien gelangweilt, die Politik schweigt. Das ist schäbig. Es muss näher betrachtet werden, warum weibliche Vorstände so schnell und in großer Zahl ausgeschieden und von der Bildfläche verschwunden sind. Dazu fünf Thesen:

Es gab Symbolpolitik ohne Kulturpolitik: Anstatt Vielfalt über Jahre, wie von den Arbeitgebern in der Selbstverpflichtung von 2001 zugesichert, von unten zu entwickeln und auf diese Weise systematisch und langfristig Kulturen zu verändern, passierte mehr als ein Jahrzehnt lang nichts. Dann plötzlich wurden einzelne Frauen als Spitze einer fehlenden Bewegung eingesetzt. Diese Symbolpolitik sollte eine versäumte Kulturpolitik ersetzen. Das Ergebnis überzeugte nur vordergründig. Vorstandsfrauen blieben Fremdkörper in Männerdomänen. Im Hintergrund mobilisierte das Immunsystem der Unternehmen die Abwehrfront: kulturell gegen Andersartigkeit, real gegen "Quotenfrauen".

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Es wurde geschaut, wie es die anderen machen: Bei Entwicklungen, die geballt auftreten, sollte man sich immer die Frage stellen, wer davon profitiert. In diesem Fall hat das gehäufte Ausscheiden all denjenigen genützt, die schon immer gegen eine feste Frauenquote im Vorstand gekämpft haben. Ohne dass man sich abgesprochen hätte, hat sich in den Top-Kadern börsennotierter Konzerne eine Meinung herausgebildet, die da hieß: Wir lassen uns nicht in unsere Suppe spucken. Natürlich passte das Ausscheiden der weiblichen Vorstände voll ins Konzept. Immer wenn eine weitere Vorständin einigermaßen geräuschlos ging, verbesserte dies die kommunikative Situation der Dax-Konzerne. Mehr und mehr wurde die Frage gestellt: Sind an all dem nicht die Frauen selbst schuld?

Scheitern wurde individualisiert: Interessant ist, dass die Fehlersuche in der öffentlichen Diskussion immer und umgehend bei den Frauen angesetzt hat. War ihre Qualifikation wirklich ausreichend? Hat sie die Komplexität der Aufgabe nicht schlichtweg unterschätzt? Diese Individualisierung des Themas steht im Gegensatz zu den Zahlen. Jeder Statistiker weiß, dass systemisch irgendetwas schiefläuft, wenn acht von insgesamt 17 weiblichen Vorständen nach nicht mal der Hälfte ihrer Vorstandsperiode ausscheiden. Neueste Studien zeigen, dass weibliche Vorstände durchschnittlich nach etwa drei Jahren aus ihrem Amt scheiden, während Männer acht Jahre verweilen - und damit fast drei Mal so lang. Ein mit Einzelfällen nicht erklärbares Muster.

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Sachlichkeit wurde Frauen zum Verhängnis: Fast jede der Kolleginnen hat mit hoher sachlicher Analytik und Präzision ihre Themen vorangetrieben. Die Frauen setzten auf Rationalität. In Entscheidungsgremien gilt aber oft eine andere Logik. Hier spielen die Regeln eines levantinischen Verhandlungsbasars mit. Vielleicht hat den Vorständinnen das Training in der hohen Schule der betriebsinternen Mikropolitik gefehlt. Vielleicht wären Unternehmen aber ohne diese männlichen Rituale und mit etwas mehr Sachlichkeit besser dran.

In den Vorständen gab es Machtkämpfe: Wie in antiken Tragödien spielt sich in Entscheidungsgremien großer Firmen häufig eine Triadenauseinandersetzung ab. Machtlogik gegen Sachlogik oder auch Hardlining gegen Konsensorientierung, gekoppelt mit dem Druck auf den Vorstandsvorsitzenden, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. In den jüngsten Fällen tat er das fast immer zugunsten der harten Machtlogik. Dies ging zulasten der Frauen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Symbolpolitik an der Spitze ist gescheitert. Das Betrüblichste daran ist, dass das Thema nicht als Muster erkannt, sondern individualisiert wurde und dass aus der Koalition derer, die sich sonst lautstark für die Rechte der Frauen einsetzen, bisher kein Wort der Solidarität zu vernehmen war. Stattdessen liegt ein Mantel des Schweigens über dem Thema. Selbst die quotenorientierten Frauenorganisationen haben bislang kein solidarisches Wort verlauten lassen. Wie traurig! Aber ohne eine Erweiterung ihrer politischen Agenda um all die wichtigen Diversity-Themen jenseits der Quote kann Frauenförderung nicht erfolgreich sein.

Und jetzt? Die Situation ist verfahren und angespannt: Die Frauen haben ein gutes Stück ihrer Courage eingebüßt. Weibliche Führungskräfte in Unternehmen haben das Signal verstanden: Gehorsam und Anpassung sind angesagt. Die Herren Unternehmensführer wollen von dem Thema am liebsten nichts mehr hören. Aber Wegducken ändert nichts.

Unternehmen müssen nun in drei Handlungsfeldern aktiv werden: Gebraucht wird zuerst eine faire Personalpolitik mit Blick auf die Geschlechter entlang der gesamten Talentpyramide. Das war in der freiwilligen Selbstverpflichtung zur Frauenförderung von 2001 angelegt - und ist heute noch genauso nötig, aber immer noch keine Realität. Sie muss eben auch Arbeitszeitregime und Karrierekulturen verändern. Nur wenn Unternehmen Arbeitszeiten souveräner, Führungskulturen fairer und Karrieremuster jenseits der schnellen Jungmännerkarrieren denken, können wir es schaffen. Leider haben Personalbereiche hier bisher kläglich versagt.

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Zweitens geht es nicht ohne eine Quote. Die Dax-30-Konzerne halten die feste Quote im Aufsichtsrat für beherrschbar. Die Unternehmensleitungen müssen sich jetzt für einen konstruktiven Umgang mit der flexiblen Quote für den Vorstand und für die zwei Ebenen darunter öffnen. Dazu gehört auch ein Verzicht auf Tricksereien, wie zum Beispiel Funktionsebenen mit Berichtsebenen zu verwechseln (à la: Plötzlich zählt auch die Sekretärin als Direct Report zum Vorstand). Auch ein Tabu: die Expertenlaufbahn zu missbrauchen und die dort beförderten machtlosen Frauen einzuberechnen, um die Zahlen schönzufärben.

Drittens ist ein gesellschaftlicher Diskurs nötig. Politik und wichtige wirtschaftliche sowie zivilgesellschaftliche Akteure müssen darüber debattieren, warum Deutschland in Fragen der Arbeitswelt und Chancenfairness 20 bis 30 Jahre hinter vielen europäischen Nachbarn hinterherhinkt. Der Diskurs kann beispielsweise Einsichten in tradierte deutsche Rollenstereotype liefern - von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis zur Adenauer-Restauration. Und sie kann Einblicke in die Frage geben, was Führung in Deutschland derzeit bedeutet, nämlich Innovationsarmut, Effizienzfetischismus und psychische Belastung. Und Wege zeigen, wohin sie sich entwickeln soll.

© SZ vom 18.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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