Der deutsche Innenminister ahnt, was er tut. "Ich weiß, dass mir das in der Netzgemeinde wüste Beschimpfungen einbringen wird", sagt Hans-Peter Friedrich dem Spiegel in seiner neuen Ausgabe und fragt: "Warum müssen Fjordman und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren? Normalerweise stehen Menschen mit ihren Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet?" Fjordman ist der rechtspopulistische norwegische Blogger, der Anders Behring Breivik inspiriert hat und sich gerade enttarnt hat.
Die Union hat sich in der Internet-Debatte nach Breiviks Massenmord meist nicht durch Sachkenntnis hervorgetan. Die drei Sätze des CSU-Ministers zur Anonymität im Netz sind der neueste Beitrag. Sie werden die Bilanz kaum verbessern.
Friedrich argumentiert nicht mal undifferenziert. "Politisch motivierte Täter wie Breivik finden heute vor allem im Internet jede Menge radikaler, undifferenzierter Thesen, sie können sich dort von Blog zu Blog hangeln und bewegen sich nur noch in dieser geistigen Sauce", sagt er. "Irgendwann kann sich das zu einem geschlossenen Weltbild zusammenfügen." Das ist richtig. Niemand kann das mögen. Dass sich Menschen in ihr Computerzimmer einigeln, sich von der Welt beeindruckend wie befremdlich weit entfernen - das ist nicht gut für sie. (Ob auch für die Gesellschaft, ist eine andere Frage, es wird ja nicht gleich jeder Killerspieler zu einem Breivik.) Dass das, was Islamophobe im Internet giften, allerdings auch an bayerischen Stammtischen gepoltert wird, wo die CSU gerne die Lufthoheit beansprucht - das ist ebenso richtig. Undifferenzierte Thesen und geistige Sauce sind kein Alleinstellungsmerkmal von Bloggern.
Klarnamen-Zwang auch für Polizisten?
Der Unterschied zwischen dem virtuellen und dem realen Stammtisch ist erstens, dass wirre Geister im Internet tendenziell stärker um sich kreisen und, vor allem, dabei tatsächlich N.N. bleiben können. Zweitens allerdings ist das, was sie sagen, in der Regel öffentlich, im Gegensatz zum Hinterzimmerstammtisch. Drittens tun sich staatliche Ermittler deshalb mit ihnen viel leichter. Die Radikalen im Netz zu finden, ist eine Frage von Klick- und Suchkunst. Sie im wahren Leben aufzustöbern, ist ungleich schwieriger.
Wenn sich eine Terrorzelle in der deutschen Provinz bildet, kann man das nicht verhindern, indem man Klarnamen statt Anonymität verordnet. Man muss im Gegenteil sogar darauf hoffen, dass sich die Gruppe im Gefühl vermeintlicher Sicherheit mit Hilfe des Internets organisiert, um ihre Planungen mitlesen zu können. So geschehen 2007 bei der Sauerland-Zelle.
Im realen Leben starten Ermittler Lauschangriffe, hören Telefone ab, beschatten und bespitzeln Leute. In der virtuellen Welt haben sie leichteres Handwerk, denn die Leute verraten dort freiwillig oder zufällig mehr, als der Staat in der realen Welt ohne richterliche Zustimmung wissen darf. Natürlich nutzen Polizisten zum Beispiel gefälschte Facebook-Profile, um in sozialen Netzen zu recherchieren. (Es ist nicht anzunehmen, dass Friedrich für sie einen Klarnamen-Zwang einführen möchte.)
Die Fähigkeit des US-Nachrichtendienstes NSA, Konversationen im virtuellen Raum mitzulesen, ist legendär. Die digitalen Agenten des Staates profitieren gerade davon, dass sich ihre Widersacher in der Anonymität des Internets sicher fühlen. Sie wollen daran nichts ändern. Sie wollen Vorratsdaten speichern, um Spuren zu sichern, aber das ist ein anderes Thema.
Der Verfassungsminister müsste es besser wissen
Wenn es also sicherheitspolitisch rational ist, dass sich Radikale im Netz unerkannt und damit unangreifbar wähnen, bleibt nur die Frage, ob uns gefällt, was wir von ihnen unter dem Deckmantel des Pseudonyms lesen. Natürlich gefällt es uns nicht, ist bei Fjordman die Antwort. Wären seine Texte allerdings illegal, hätte der Staat seine Ermittler losschicken müssen, als sie erschienen sind.
Tatsächlich fanden gerade Konservative in Deutschland noch vor kurzem wenig Grund, gegen die als "Islamkritiker" verharmlosten Aufwiegler und Schlichtgemüter vorzugehen. Bemerkenswert ist, dass Friedrich jetzt ausgerechnet die platte Sarrazin-Debatte vor einem Jahr dafür lobt, sie habe die Islamphobie im Land sichtbar gemacht. Wer es vergessen hat: Friedrich war es, der im März im Gegensatz zum Bundespräsidenten behauptet hat, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Dies war sein erster Profilierungsversuch im Amt. Er zielte nicht auf eine Versachlichung der Debatte.
Natürlich ist es feige, dass Fjordman nicht mit seinem echten Namen zu jenen Thesen stand, die unter anderem Breivik aufgewiegelt haben. Aber diese Flucht ins Pseudonym zu geißeln, ist höchstens ein Thema für den Privatmann Friedrich, keines für den Innen- und Verfassungsminister. Letzterer muss wissen, dass der Staat Anonymität nicht zu verbieten hat.
Kurt Tucholsky hatte viele Pseudonyme. Aus gutem Grund. Es macht ihn nicht zu einem schlechteren Denker.
Ende der Anonymität - wie soll das aussehen?
Wie soll das geforderte "Ende der Anonymität" überhaupt funktionieren, über die existierende Impressumspflicht für Blogs hinaus? Im Internet darf nur noch kommentieren, wer sich bei einem neuen Bundesnetzschreiberzentralregister eingetragen hat - mit mindestens PostIdent-Verfahren und Lichtbildkontrolle? Kontrollphantasien, die nicht mal China hat.
Bürgerrechtler in China, im Iran oder Revolutionäre in der arabischen Welt sehen Anonymität im Internet sehr anders als die jeweiligen staatlichen Sicherheitsstellen. Internet-Aktivisten streiten aus diesem und anderen Gründen selbst gerade darüber, ob Facebook und Google+ Pseudonyme zulassen oder bekämpfen sollten. Will man zum Beispiel Missbrauchsopfern die Möglichkeit verweigern, sich durch Falschnamen vor digitalen Nachstellungen ihrer Peiniger zu schützen? Derlei Begründungen für Pseudonyme gibt es zuhauf, siehe hier, und darüber hinaus intelligente Kampagnen wie my.nameis.me. Dass im Übrigen "wüste Beschimpfungen" (wie Friedrich sie fürchtet) in Internetforen ausbleiben, sobald man den Nutzern Klarnamen abverlangt, darf am Beispiel Facebook inzwischen leider als widerlegt gelten. Siehe hier und hier.
"Die Grundsätze unserer Rechtsordnung müssen auch im Netz gelten", sagt Friedrich in dem Interview. (Als würde das jemand bestreiten - aber wir wollen nicht über die unsinnige These vom Internet als angeblich rechtsfreien Raum reden.) Man muss ihn da beim Wort nehmen. Die Meinungsfreiheit schützt jeden, der Dinge sagt, die nicht strafbar sind. Welchen Namen er dabei benutzt, ist und war in einer Demokratie immer seine Sache, nicht die des Staates.
So einfach ist das. Ob einem das Gesagte gefällt oder nicht.
Der Autor hat kein Pseudonym im Netz und debattiert unter twitter.com/ploechinger oder gplus.to/ploechinger.
Linktipp: Friedrichs Vorstoß juristisch dekodiert - von Lawblogger Udo Vetter