Debatte über Online-Identität:Das Netz muss Anonymität zulassen

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Wird das Internet ein besserer Ort, wenn wir alle nur noch mit unserem echten Namen unterwegs sind? Die Welt von Facebook und Google Plus verheißt einen friedlicheren Diskurs im Netz - tatsächlich aber ist ein Online-Universum ohne Pseudonyme eine gefährliche Vision.

Johannes Kuhn

Das Internet als Tal der Fremden, in dem Verbalhooligans unter Pseudonymen ihr Unwesen treiben und Entgleisungen an der Tagesordnung sind - kaum eine Kritik am Wesen des Netzes ist älter, und kaum eine evidenter: Das nächste Anti-Islam-Blog, das nächste Mobbing-Portal, der nächste ätzende Nutzerkommentar sind nur einen Mausklick entfernt, so scheint es.

Motiv des Street-Art-Künstlers "Alias": Es gibt Gründe dafür, seine Identität im Netz zu verbergen. (Foto: dpa)

Die Debatte um die Identität im Netz wird auch in diesem Sommer wieder geführt, die Forderungen allerdings klingen diesmal endgültig: "Ich glaube, Anonymität im Internet muss verschwinden", verkündete vergangene Woche Randi Zuckerberg, ihres Zeichens Schwester von Mark Zuckerberg und Marketing-Chefin bei Facebook. Wer mit seinem echten Namen auftrete, sei weniger bereit, andere Menschen online zu beleidigen.

Konkurrent Google sieht dies offenbar ähnlich - wie Facebook löscht das Unternehmen bei seinem sozialen Netzwerk Google Plus Nutzer, die erkennbar Pseudonyme verwenden. Bereits vor einem Jahr hatte der damalige Google-Chef Eric Schmidt erklärt, es sei "zu gefährlich", wenn Internetnutzer nicht identifizierbar seien.

Dass zwei Unternehmen, die gerade darum kämpfen das Identitätszentrum des digitalen Menschen zu werden, Klarnamen propagieren, ist kaum verwunderlich. Zu groß ist ihre Angst, bei der Verwendung von Pseudonymen die Bindung zwischen ihren Nutzern zu schwächen und damit zu einem nächsten MySpace zu werden, wie Medienwandel-Apostel Jeff Jarvis anmerkt. Doch die Abschaffung der Anonymität zur allgemeingültigen Forderung zu erheben, ist schlicht gefährlich.

So ist die Theorie, wonach Klarnamen automatisch zu einem zivilisierteren Diskurs führen würden, kaum verifizierbar. Hier der glänzende Facebook-Salon, in dem die Menschen höflich zueinander sind; dort das Web als anonyme, dunkle Hafenspelunke, in der zwischen Fremden ständig neue Verbalschlägereien ausbrechen - ein Blick auf die Plattform selbst genügt, um diesen Mythos zu entlarven. Ob die Todesdrohungen gegen Atheisten auf der Facebook-Präsenz von Fox News oder die Beleidigungen gegen Nationaltorwart Manuel Neuer auf dessen Facebook-Fanseite nach seinem Transfer: Klarnamen verhindern im Zweifelsfall keine verbalen Entgleisungen.

Leichtsinnige Versprechen

Umgekehrt können Pseudonyme sogar Schutz bieten: Foren für Missbrauchsopfer oder Opfer seltener Krankheiten könnten nach der Zuckerberg-Logik dicht machen, Beamte und Angestellte in Foren jede berechtigte Kritik an ihrem Arbeitgeber unterlassen, regimekritische Blogger in Unrechtsstaaten sich gleich freiwillig bei der Polizei melden. Die Internet-Bürgerrechtsorganisation "Electronic Frontier Foundation", der Entrepreneur Jyri Engeström und Flickr-Gründerin Caterina Fake nennen Beispiele, in denen eine freie Meinungsäußerung im Netz ohne Pseudonym gefährlich wäre. Eine Studie zur Gesichtserkennung ( pdf hier) zeigt, dass wir unsere Identität ohnehin kaum schützen können, sobald ein Foto von uns im Netz existiert - wieso sollten wir also dazu verpflichtet werden, gleich alle Informationen über uns preiszugeben?

Dies alles bedeutet nicht, dass alle Internetportale zwangsläufig die Nutzung von Pseudonymen anbieten müssen oder keinen echten Namen bei der Registrierung mehr verlangen dürfen. Auch heißt das nicht, dass wir Online-Mobbing, Beleidigungen und Hassbeiträge als gegeben hinnehmen sollten.

Doch so unbefriedigend der öffentliche Internet-Diskurs an vielen Stellen sein mag: Wir sollten uns davor hüten, für komplexe Probleme einfache Lösungen zu suchen. Ein höflicher Umgangston ist wie in jedem öffentlichen Raum auch im Netz nicht selbstverständlich, er benötigt Regeln und Diskurspflege. Darüber gilt es zu reden - nicht über das leichtsinnige Versprechen, die digitale Welt mit ein bisschen mehr echter Welt zu einem besseren Ort machen zu können.

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