Cum-Ex:Die Musik spielte einfach weiter

Cum-Ex: Sonnenaufgang über dem Frankfurter Bankenviertel: Auch nach 2012 soll es Handelsstrategien mit ähnlichen Mustern wie Cum-Ex gegeben haben.

Sonnenaufgang über dem Frankfurter Bankenviertel: Auch nach 2012 soll es Handelsstrategien mit ähnlichen Mustern wie Cum-Ex gegeben haben.

(Foto: Michael Probst/AP)
  • Es war offenbar nicht zu Ende mit Cum-Ex, nachdem das Bundesfinanzministerium den Handelsmustern im Jahr 2012 einen Riegel vorgeschoben hatte.
  • Zwei jetzt angeklagte Händler haben diesen Verdacht erhärtet.
  • Sie werden im Herbst sehr wahrscheinlich auf der Anklagebank am Landgericht Bonn Platz nehmen, im ersten Strafprozess im Cum-Ex-Skandal, der die deutschen Steuerzahler mehr als zehn Milliarden Euro gekostet haben soll.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Die Party muss gut gewesen sein. Prince trat auf, im Publikum waren prominente Gäste, Martin S. kannte viele Gesichter. Er sei überrascht gewesen, gab er bei den Strafermittlern zu Protokoll, wie viele Menschen aus dem Aktiengeschäft dabei gewesen seien, Leute, die er aus seinem Alltag in der Londoner Finanzszene kannte. Im Frühjahr 2014 war das. Damals hatte der auf Aktiengeschäfte zulasten diverser Staatskassen spezialisierte Sanjay Shah mal wieder Freunde und Geschäftspartner um sich versammelt: zu einem exklusiven Prince-Konzert, mit dem er Geld einzusammeln wollte für seine Charity-Organisation "Autism Rocks". Es war ein Stelldichein einiger der cleversten Händler der Londoner City.

Martin S. war einer dieser Händler, erst in Diensten der Hypo-Vereinsbank, später als Teilhaber der Ballance-Gruppe, einem Konstrukt aus Fondsfirmen, die systematisch den deutschen Fiskus um Geld erleichtert haben sollen. In den vergangenen Jahren saß S. aber nicht mehr am Handelstisch, sondern regelmäßig Ermittlern gegenüber, die den größten deutschen Steuerskandal ausleuchten. In mehr als 30 Vernehmungen hat er ausgesagt, hat andere Verdächtige und beteiligte Banken massiv belastet; er hat den Ermittlern immer wieder aufgemalt, nach welchen Mustern die mutmaßlichen Steuerbetrüger vorgingen: Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag, so komplex, dass selbst erfahrenste Finanzbeamte sie nicht mehr durchschauten. Darauf ausgelegt, sich viel mehr Kapitalertragsteuer erstatten zu lassen, als man zuvor gezahlt hatte. Rendite, allein mit Steuergutschriften.

Was S. im Frühjahr vor einem Jahr schilderte, soll die Ermittler besonders elektrisiert haben, denn er lieferte wichtige Hinweise auf einen lange gehegten Verdacht: Es war offenbar nicht zu Ende mit Cum-Ex, nachdem das Bundesfinanzministerium den Handelsmustern im Jahr 2012 einen Riegel vorgeschoben hatte. Die Händler hatten nur ihre Pläne geändert. Soweit er wisse, sagte S. bei einer Vernehmung am 7. März 2018, habe es danach weitere Handelsstrategien mit ähnlichen Mustern wie Cum-Ex gegeben. In Gegenwart von vier Beamten zeichnete er drei Skizzen. Mit der ersten zeigte er schematisch, wie es bis einschließlich 2011 gelaufen sei. Mit zwei weiteren zeichnete er Handelsverläufe von 2012 an nach, als Cum-Ex-Deals zu Lasten des Fiskus in Deutschland nicht mehr möglich gewesen sein sollen.

Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wollte von ihm wissen, was an der dritten Skizze wirtschaftlich so interessant sei. S. brachte daraufhin noch eine weitere Zeichnung zu Papier, der er die Nummer 3a gab. Darin ging es um steuerbefreite Anlagefonds und deren Geschäfte mit Banken, um einen geringen Kapitaleinsatz und hohe Gewinne. Mit Skizze Nummer 4 erhärtete S. endgültig den Verdacht, dass es nach 2012 weiterging mit dem Anzapfen der Staatskasse. Er beschrieb eine Strategie, die mit Hilfe einer gemeinnützigen, von S. namentlich genannten deutschen Stiftung umgesetzt worden sei, als Reaktion auf ein deutsches Finanzgerichtsurteil aus dem Jahr 2014. Sogar in 2015 bis 2017 sei diese Stiftung noch für Handelsstrategien benutzt worden, sagte er bei einer anderen Vernehmung. Und zwar von Sanjay Shahs Firmengruppe. Shah, der Wohltäter, lebt seit Jahren in Dubai und streitet stets vehement ab, sich je strafbar gemacht zu haben.

Deutschlandweit inzwischen fast 500 Beschuldigte

S. und sein damaliger Geschäftspartner, der auch ausgepackt hat, werden im Herbst sehr wahrscheinlich auf der Anklagebank am Landgericht Bonn Platz nehmen, im ersten Strafprozess im Cum-Ex-Skandal, der die deutschen Steuerzahler mehr als zehn Milliarden Euro gekostet haben soll. Im Verfahren gegen die beiden geht die Kölner Staatsanwaltschaft von einer Schadenssumme von 440 Millionen Euro aus. Die Anklageschrift umfasst mehr als 600 Seiten, es geht um schwere Steuerhinterziehung in 33 Fällen und einen Fall der versuchten Steuerhinterziehung. Und es geht in diesem Fall darum, schon im ersten Prozess den ganzen Cum-Ex-Komplex auszuleuchten, der Ermittler und Gerichte mit seinen deutschlandweit inzwischen fast 500 Beschuldigten wahrscheinlich auf Jahre hinaus beschäftigen wird.

Es läuft, das lässt sich anhand von Ermittlungsakten vorhersagen, auf einen Musterprozess hinaus: Erstmals würde im Verfahren gegen die beiden früheren Banker geklärt, ob und inwiefern Cum-Ex-Geschäfte strafbar gewesen sind. Der Ausgang des Verfahrens hat Signalwirkung für alles, was in Sachen Cum-Ex noch folgt - und für die Aufarbeitung der Jahre nach 2012.

Die Fakten sind in diesem ersten Gerichtsverfahren unstreitig, sie liegen nach insgesamt fast 50 Vernehmungen der beiden Verdächtigen auf dem Tisch. Aber kann die Anklage Vorsatz nachweisen und das Gericht vom Verdacht der schweren Steuerhinterziehung überzeugen? Stellungnahmen der Frankfurter Anwältin Hellen Schilling, die S. verteidigt, deuten ein juristisches Tauziehen an. S. habe bis 2012 nie gedacht, dass Cum-Ex-Geschäfte strafbar gewesen sein könnten, heißt es in einem ihrer Schriftsätze vom Herbst 2018. Von vorsätzlicher Steuerhinterziehung könne - so der Stand damals - keine Rede sein. Ein vorgezogenes Plädoyer war das aber nicht: Das Ziel ist anscheinend, sich offen auf das Verfahren einzulassen.

Manchmal setzte sich S. nach einer langen Vernehmung noch hin und lieferte Hinweise

Unabhängig davon, wie der Prozess ausgeht, dürfte das Gericht die umfangreichen Aussagen berücksichtigen. Denn die beiden haben den Ermittlern entscheidend geholfen. Sie erzählten etwa, wie eng die Hamburger Privatbank Warburg mit Ballance zusammengearbeitet habe. S. beschrieb diverse Treffen mit Warburg-Verantwortlichen, bei denen es um Cum-Ex-Geschäfte gegangen sei. So findet es sich stellenweise auch in der Anklage gegen die beiden wieder. Warburg weist den Verdacht zurück, man habe Cum-Ex-Deals zu Lasten des Fiskus betrieben und schiebt der Deutschen Bank die Schuld zu. Die weist die Vorwürfe zurück. Wobei die enge Geschäftsbeziehung der Bank zu diversen Ballance-Tochterfirmen gut dokumentiert ist. Ballance war Kunde im Prime-Brokerage, einer Art Rundum-Service für Fondsfirmen der Deutschen Bank in London. Standard-Satz der Bank dazu: Sie habe an einem organisierten Cum-Ex-Markt weder als Leerverkäuferin noch als Cum-Ex-Erwerberin teilgenommen, sei aber "teilweise in Cum-Ex-Geschäfte von Kunden eingebunden gewesen".

Manchmal setzte sich S. auch nach den langen, vermutlich anstrengenden Vernehmungen noch hin und lieferte den Ermittlern weitere Hinweise. So wie am 7. März 2018, nachdem er die Fortsetzung von Cum-Ex mit anderen Mitteln umschrieben hatte. Er beschrieb in einer Notiz, wie deutsche und britische Banken über eine Luxemburger Holding Steuererträge erzielt hätten. Alles wieder sehr kompliziert, und mit demselben Ergebnis wie bei Cum-Ex: eine auf Dividendenerlöse bezahlte Steuer, zwei Bescheinigungen für die einmal gezahlte Steuer, anschließend die Steuererstattungen, in Deutschland und in Großbritannien. Das alte Muster in immer neuer Gestalt.

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