Wären die Zeiten normal, dann hätten Deutschlands Ruheständler Grund zur Freude. Millionen Rentner, so verkündete das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) von SPD-Ressortchef Hubertus Heil, können von Juli an mit kräftig steigenden Bezügen rechnen: in Westdeutschland mit plus 3,45 Prozent, im Osten gar mit 4,2 Prozent mehr als 2019. Grund ist vor allem der Lohnanstieg in West und Ost im vorigen Jahr.
Doch in der Corona-Krise dürfte Millionen Rentner und Beitragszahler der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) eine ganz andere Frage brennend interessieren: Wie hart trifft es die staatliche Rentenkasse, wenn Deutschland in eine scharfe Rezession stürzt, wie das Bundesbank und namhafte Ökonomen inzwischen erwarten?
Franz Ruland, der zu den angesehensten Rentenexperten des Landes zählt, zeigt sich zuversichtlich. Grund ist vor allem das Kurzarbeitergeld, mit dem die Bundesregierung die Wirtschaft - wie schon zu Zeiten der Finanzkrise 2008 - in großem Stil stabilisieren will: Derzeit rechnet die Regierung mit 2,15 Millionen Fällen von konjunkturellem Kurzarbeitergeld, was Kosten von etwa zehn Milliarden Euro entspricht.
Ruland hält das für richtig. Auch in der Finanzkrise habe "die Rentenversicherung natürlich Einbußen bei den Beiträgen hinnehmen müssen". Diese hätten sich aber in "Grenzen gehalten, weil das Kurzarbeitergeld den Arbeitnehmern nicht nur die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt verschafft hat, sondern weil auch die Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind". Das werde auch diesmal "wieder helfen", glaubt Ruland. Er kennt die Rentenkasse wie kaum ein Zweiter: Von 1992 bis 2005 war er Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, von 2009 bis 2013 Chef des Sozialbeirats der Bundesregierung.
Warum ist das Kurzarbeitergeld so wichtig? Während des Bezugs von Kurzarbeitergeld, so das BMAS, sind Arbeitnehmer weiterhin rentenversichert. Für das geringere Entgelt, das sie während der Kurzarbeit verdienen, führen Arbeitnehmer und Arbeitgeber weiterhin je zur Hälfte Beiträge ab. Für den Teil der Arbeitszeit, der durch die Kurzarbeit wegfällt, verringern sich die Sozialversicherungsbeiträge auf 80 Prozent. Diese führt der Arbeitgeber ab, getragen werden sie aber von der Bundesagentur für Arbeit. Ein Zahlenbeispiel der DRV Bund illustriert, wie sich das auf die Rente auswirkt: Ein Arbeitnehmer verdiente bisher monatlich 3000 Euro brutto. Während der Kurzarbeit reduziert sich sein Verdienst auf 1500 Euro brutto. Ein Jahr Beschäftigung ohne Kurzarbeit ergäbe für ihn einen Rentenanspruch von knapp 29,40 Euro monatlich. Nun, mit Kurzarbeit, sind es aktuell etwa 26,40 Euro. Der Unterschied beträgt drei Euro im Monat.
Aber da ist ein zweiter Grund, den Ruland beruhigend findet: Kursstürze an der Börse treffen die Rentenkasse nicht. Die eingezahlten Beiträge werden sofort wieder zur Finanzierung der Renten ausgegeben. Die DRV Bund, so ihr Sprecher Dirk von der Heide, verfügt aber über eine "hohe Rücklage von derzeit knapp 40 Milliarden Euro", was dem 1,7-fachen ihrer Monatsausgaben entspricht. Diese Rücklage werde "sicher und liquide" angelegt. 2018 waren dafür Negativzinsen von 0,018 Prozent fällig, etwa 54 Millionen Euro.
Für Ruland "zeigt sich auch jetzt wieder in der Krise, dass die Umlageversicherung für die Rentenversicherung das sicherste Verfahren ist". Alles gut, also?
Der aktuelle Rentenwert darf nicht sinken, auch nicht bei geringeren Löhnen
Für Rentner womöglich, aber weniger für Beitragszahler. Wieso das? Am Montagabend veröffentlichten der Münchner Rentenexperte Axel Börsch-Supan und sein "Munich Center for the Economics of Aging" eine aktuelle Studie zu den Folgen der Corona-Krise. Das überraschende und wohl auch brisante Ergebnis ist: Die Pandemie wird, ähnlich wie die Finanzkrise 2008, "deutliche Spuren in der gesetzlichen Rentenversicherung hinterlassen." Aufgrund der geltenden Rentenanpassungsformel werden die Folgen aber erst "mit ein bis zwei Jahren Verzögerung eintreten" - dann aber "asymmetrisch zugunsten der Rentenempfänger", während die Beitragszahler stärker belastet würden.
Das liegt auch an einer wenig bekannten Schutzklausel im Rentenrecht - der sogenannten "Rentengarantie". Sie legt fest, dass der aktuelle Rentenwert nicht sinken darf, auch nicht bei sinkenden Löhnen. Weil wegen der Corona-Krise aber sinkende Jahreslöhne zu erwarten seien, bedeute dies, so prognostizieren die Forscher um Börsch-Supan, "dass das Sicherungsniveau der Renten 2021 deutlich ansteigen wird, und zwar um so mehr, je tiefer die Rezession ausfällt". Fazit der Münchner Experten: "Rentenempfänger werden also finanziell weniger von der Corona-Krise betroffen sein als die Erwerbsbevölkerung."