Am Standort der Hypovereinsbank am Tucherpark in München wurde gerade eine Menge Desinfektionsmittel verbraucht. Ein Mitarbeiter eines Dienstleisters wurde positiv auf die Infektionskrankheit Covid-19 getestet. Deswegen wurde sein Büro desinfiziert und gesperrt. Alle Kollegen, die mit ihm Kontakt gehabt haben könnten, wurden in 14-tägige Selbstquarantäne geschickt.
Ein Coronavirusfall in der eigenen Belegschaft ist ein Albtraum für einen Konzern. Wenn große Teile der Mitarbeiter betroffen sind - sei es vom Virus selbst oder nur von vorbeugenden Quarantänemaßnahmen - kann das Geschäftsfähigkeit und Produktionszyklen gefährden. Oder anders ausgedrückt: Es kann verdammt teuer werden. Deshalb arbeiten Deutschlands Unternehmen gerade an Notfallplänen. Diese sollen sie durch die Coronavirus-Krise bringen - und diese könnten darüber hinaus die Arbeitskultur in Deutschland nachhaltig verändern.
Bei der nun betroffenen Hypovereinsbank hatte man schon vor mehreren Wochen Maßnahmen zum Schutz vor einer Coronavirus-Epidemie verordnet. Alle Dienstreisen, die nicht unbedingt notwendig seien, wurden abgesagt, Mitarbeiter, die aus Risikogebieten zurückgekommen sind, mussten zwei Wochen lang von zu Hause aus arbeiten. Wenn das nicht möglich war, erhielten sie bezahlten Urlaub - aber ins Büro kommen durften sie unter keinen Umständen. Verhindern konnte die Bank einen Infektionsfall unter den Mitarbeitern trotzdem nicht - andere Unternehmen hatten da bislang mehr Glück.
Bei Volkswagen zum Beispiel heißt es, es gebe derzeit keinen Verdachtsfall unter den Mitarbeitern. Dienstreisen nach China würden nur angetreten, wenn sie absolut notwendig seien. Mitarbeiter, die bereits in China tätig seien, habe man zu besonderer Vorsicht aufgerufen. So sei das Tragen eines Mundschutzes in China für alle Mitarbeiter verpflichtend, Türgriffe und Aufzugknöpfe würden ständig desinfiziert. Klimaanlagen blieben ausgeschaltet, und Besprechungen seien nur noch in Räumen erlaubt, die eineinhalb Meter Mindestabstand zwischen den einzelnen Gesprächsteilnehmern ermöglichten. Nach der Rückkehr aus China arbeiten die Mitarbeiter zwei Wochen lang von zu Hause aus.
Alle Lkw-Fahrer dürfen erst nach einem Gesundheitscheck aufs Betriebsgelände
Härtere Maßnahmen überlegt man offenbar im VW-Werk in Emden. Dort wird das neue Modell Arteon Shooting Brake gefertigt, aktuell braucht man dort also jeden Mitarbeiter. Deshalb kündigte der Werksleiter an, alle Lkw-Fahrer nur noch nach einem Gesundheitscheck aufs Gelände zu lassen - in Emden kommen täglich mehrere Hundert Lkws an. Von Ärzten, Sanitätern und Werksschutz in zwei eigens aufgestellten Containern direkt am Eingang war die Rede, was der Zentrale in Wolfsburg nicht gefällt: Man habe den Kollegen ausgerichtet, sie sollten "das lassen", heißt es.
Aufgeregt ist man offenkundig auch bei der Commerzbank: Hier hat man die Mannschaft in mehrere Teams aufgeteilt, eine Hälfte arbeitet wie üblich im Büro, die andere an einem Ausweichstandort im Frankfurter Umland. So wolle man sicherstellen, dass zumindest ein Team weiterhin einsatzfähig sei, wenn es zu einem Infektionsfall komme.
Beim Touristikkonzern Tui, dessen Mitarbeiter naturgemäß viel unterwegs sind, sollen vermeidbare Reisen gestrichen werden. Aber nicht aus Sorge vor einer Ansteckung, wie ein Konzernsprecher sagt. Vielmehr wolle man sichergehen, dass der Fokus auf dem "Management der aktuellen Situation rund um Corona" verbleibe.
Darüber hinaus haben alle Notfallmaßnahmen eines gemeinsam: Die Firmen "ermuntern" ihre Mitarbeiter nun zur Arbeit im Home-Office. Wer nicht kommt, kann eben auch niemanden anstecken.
Manche Firmen, neben Tui zum Beispiel auch beim Autozulieferer Continental, betonen, sie böten ihren Mitarbeitern ohnehin schon lange alternative Arbeitsformen an. Das sei nun also keine große Sache, weil die Arbeitsabläufe lange eingespielt seien. Bei anderen Unternehmen aber entdeckt man erst jetzt in der Coronavirus-Krise die Vorzüge des Home-Office. Es sei "interessant zu sehen", dass Produktion und Auslieferung trotzdem reibungslos funktionierten, sagt etwa Beiersdorf-Chef Stefan De Loecker. An den Standorten in besonders betroffenen Ländern China und Italien sei Arbeit im Home-Office nun "die absolute Regel".
Mit steigenden Infektionszahlen werden sich wohl immer mehr Unternehmen für diese Variante entscheiden - und in vielen Firmen ist zumindest die technisch notwendige Infrastruktur vorhanden. Trotzdem ist gerade in Deutschland die Präsenzkultur stark ausgeprägt: Denn über Home-Office und mobiles Arbeiten mag zwar viel geredet werden, aber viele Vorgesetzte bevorzugen immer noch die Möglichkeit, ihren Mitarbeitern auch tatsächlich bei der Arbeit zusehen zu können. Wird ausgerechnet ein Virus die Begeisterung für Anwesenheitspflicht verändern?
Klar ist jedenfalls: Niemand kann sich in Eigenregie die Arbeit daheim genehmigen. Auch Arbeitnehmer, die Sorge vor einer Ansteckung haben, müssen sich mit ihrem Unternehmen abstimmen, wenn sie lieber zu Hause arbeiten möchten. Einen Rechtsanspruch gibt es nicht - allerdings sind Arbeitgeber verpflichtet, sich um das Wohlergehen ihrer Leute zu kümmern. Und das kann eben auch bedeuten, sie nicht in einen Büroturm mit vielen Tausend Mitarbeitern zu beordern.
Für die Effizienz der Arbeitsabläufe bescheinigen Experten dem Arbeitsplatz daheim jedenfalls viele Pluspunkte: Schon dass der Arbeitsweg wegfalle, erhöhe die Produktivität oft deutlich. Zudem steigere die flexiblere Zeitplanung die Effizienz. Und nicht zu vergessen: Man darf die Jogginghose anbehalten und hat den eigenen Kühlschrank in der Nähe. Da arbeitet es sich doch gleich viel entspannter.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Covid-19 fälschlicherweise als Virus beschrieben. Covid-19 ist jedoch die Bezeichnung für die vom Virus Sars-CoV-2 (Coronavirus, Wuhan-Coronavirus, neuartiges Coronavirus 2019) ausgelöste Lungenkrankheit.