Coronavirus:Regierung einigt sich auf Tracing-App - und Kritiker sind begeistert

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In Singapur wird das Corona-Tracing bereits genutzt. (Foto: AFP)

Lange hat die Regierung um eine Lösung für die Tracing-App gerungen, nun stimmen auch Gesundheitsminister und Kanzleramt einer Lösung zu, die Kontakte dezentral speichert. Opposition und Experten loben die Kehrtwende überschwänglich.

Von Daniel Brössler und Simon Hurtz, Berlin, Berlin/München

Nach wochenlangem Ringen will die Bundesregierung mit einer Kehrtwende den Weg für eine deutsche Anti-Corona-App frei machen. Man setze nun auf eine "dezentrale Softwarearchitektur", teilten Kanzleramtsminister Helge Braun und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) am Sonntag mit. Bei diesem Modell kommunizieren die Geräte der Nutzer in erster Linie untereinander.

Bislang hatte sich Deutschland für eine Lösung mit zentralem Server ausgesprochen. Die App soll Kontaktpersonen von Covid-19-Infizierten warnen und könnte ein wichtiges Hilfsmittel sein, um Risikogruppen gezielt zu testen und Infektionsketten zu unterbrechen. Da die Kontaktbeschränkungen bereits gelockert würden, solle die Tracing-App "sehr bald einsatzbereit" sein, erklärten Braun und Spahn, ohne sich auf ein konkretes Datum festzulegen.

Die Entscheidung könnte einen erbitterten Streit zwischen Wissenschaftlern, Politikern und den Tech-Konzernen Apple und Google beenden. Dabei ähneln sich beide Systeme stark: Sie teilen jedem Gerät eine zufällig generierte, pseudonyme Identifikationsnummer (ID) zu, die sich regelmäßig ändert. Befinden sich zwei Smartphones länger als 15 Minuten in höchstens zwei Meter Nähe, wird die fremde ID, zunächst lokal, in einer Kontaktliste gespeichert. Wer positiv auf Covid-19 getestet wird, kann so die in den vergangenen 14 Tagen gespeicherten IDs freigeben. Die Kontaktpersonen werden dann gewarnt und aufgefordert, sich testen zu lassen.

"Ich bin positiv überrascht", sagt die Linke Domscheit-Berg der SZ

An dieser Stelle aber unterscheiden sich die Systeme: Bei dem dezentralen Ansatz übermitteln Nutzer nur die IDs ihres eigenen Smartphones auf einen Server. Alle anderen Geräte laden die Liste herunter und prüfen selbst, ob sich eine der IDs in ihrem Kontakttagebuch befindet. Die zentrale Lösung speichert dagegen auch die IDs der Kontaktpersonen in einer Datenbank. Wissenschaftler können die Informationen für epidemiologische Erkenntnisse nutzen. Jedoch müssen Nutzer darauf vertrauen, dass der Serverbetreiber die Daten vor Angriffen schützt und nicht missbraucht.

Für ihre Kehrtwende erhält die Bundesregierung Lob aus der Opposition. "Ich bin positiv überrascht", sagte die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Anke Domscheit-Berg, der Süddeutschen Zeitung. Gesundheitsminister Spahn gehe "gerade sehr vorbildlich" mit dem Thema um. Spahn habe gezeigt, dass er Fehler einräumen und korrigieren kann. "Das ringt mir schon Respekt ab", sagte Domscheit-Berg. Der Minister habe verstanden, dass die Akzeptanz der App und damit ihr Erfolg gefährdet sei, "was eins zu eins bedeutet hätte, dass mehr Menschen sterben werden". Auch die FDP signalisierte Zustimmung. "Ich bin froh, dass es jetzt etwas mehr Tempo zu geben scheint", sagte der Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Manuel Höferlin (FDP). Nun komme es auf eine schnelle Umsetzung an. "Sonst haben wir früher einen Impfstoff als eine Corona-App."

In den vergangenen Wochen hatten sich immer mehr Wissenschaftler von dem europäischen Projekt Pepp-PT abgewandt, dessen Unterstützer für Deutschland eine zentrale Lösung anstreben. Der Konflikt eskalierte, als mehr als 300 Forscher in einem Brief vor "beispielloser Überwachung" warnten und einen dezentralen Ansatz empfahlen, wie ihn die Initiative DP-3T anstrebt. Am Freitag appellierten sechs Bürgerrechtsorganisationen und Verbände, darunter der Chaos Computer Club (CCC) und die Gesellschaft für Informatik, an die Bundesregierung. Mit dem zentralen Ansatz sei sie "auf dem Holzweg" und gehe ein hohes Datenschutzrisiko ein.

Nun habe die Regierung "genau die richtige Entscheidung" getroffen, sagte CCC-Sprecher Linus Neumann. Nutzerinnen und Nutzer könnten freiwillig bestimmen, ob sie mehr Daten zur Verfügung stellen. So gehe man "mit mündigen Bürgern um". Zur Entscheidung der Bundesregierung dürfte auch beigetragen haben, dass Google und vor allem Apple ihre Betriebssysteme nur für dezentrale Apps öffnen wollen. Aus Verhandlungskreisen hieß es, das Apple-Votum sei maßgeblich dafür, dass sich die Entwicklung verzögere. Beide Konzerne dominieren den Markt für mobile Betriebssysteme und können deshalb zu einem gewissen Grad diktieren, wie Apps auszusehen haben.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie tritt an diesem Montag nahezu deutschlandweit eine Maskenpflicht in Kraft. Weitgehend einheitlich gilt, dass in Bussen, Bahnen und beim Einkaufen Mund und Nase bedeckt sein sollen. Bis Sonntag wurden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts mehr als 154 000 Infizierte registriert.

© SZ vom 27.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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