Pandemie in England:Warum streicht Johnson alle Corona-Regeln?

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Boris Johnson im britischen Parlament: Vor allem die Tories drängen auf die Operation "Freedom Day". (Foto: Jessica Taylor/AFP)

Der Druck der englischen Wirtschaft auf den Premier ist groß. Aber noch mehr treiben ihn andere zu den Lockerungen.

Von Alexander Mühlauer, London

Boris Johnson hat den kommenden Montag zum "Freedom Day" erkoren, einen Tag der Freiheit, an dem alle Corona-Beschränkungen fallen, zumindest in England. Der Premier verspricht eine Rückkehr zur Normalität, und zwar unwiderruflich. Doch angesichts der stark steigenden Zahl an Neuinfektionen, einer Inzidenz von weit über 300 und einer Virusvariante, die sich mehr und mehr in Europa ausbreitet, kann man schon mal fragen: Warum wartet Johnson nicht noch ein wenig mit der großen Öffnung? Warum nicht weiter impfen, bis 80 Prozent aller Erwachsenen ihre zweite Dosis haben? Warum also ausgerechnet jetzt diese Eile?

So mancher im Vereinigten Königreich hat darauf eine klare Antwort: wegen der Wirtschaft. Nun, ganz so einfach ist es nicht. Natürlich gibt es Unternehmen, die massiv unter den Auswirkungen der Corona-Maßnahmen leiden, da braucht man nur mal nach Heathrow rauszufahren, um zu sehen, dass dort ein Flughafen steht, der seine beste Zeit wohl hinter sich hat. Und natürlich gibt es Pub-Besitzer, die ihren Laden mal wieder richtig voll sehen wollen. Wäre doch zu schön, ein Pint an der Bar trinken, ohne dabei achtgeben zu müssen, dass man seinem Gegenüber nicht zu nahe tritt.

Doch wer glaubt, Johnson ließe sich allein von den Wünschen der Wirtschaft treiben, der sei daran erinnert, dass er in seiner Zeit als Außenminister die Forderungen von Anti-Brexit-Unternehmern mit einem mittlerweile legendären und hier lieber nicht übersetzen Satz abtat: fuck business. Das würde er als Premierminister wohl nicht mehr so sagen, aber man kann davon ausgehen, dass Johnson seine Entscheidungen weiterhin so trifft, wie er sie schon immer getroffen hat: wenn sie ihm politisch nutzen.

Bei der Operation "Freedom Day" sind es vor allem die Unterhaus-Abgeordneten seiner Konservativen Partei, die ihn dazu drängen, die Corona-Maßnahmen ein für allemal abzuschaffen. Einer weiteren Verlängerung der Beschränkungen würde eine Mehrheit der Tories im Parlament wohl nicht noch einmal zustimmen. Viele verweisen darauf, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle trotz hoher Neuinfektionen bislang relativ niedrig bleibt.

Wenn Johnson wissen will, was ein Großteil seiner Parteifreunde denkt, braucht er nur das ein oder andere libertäre Editorial im Telegraph oder Spectator lesen. Der Premier hat früher mal für beide Blätter gearbeitet. Würde er heute noch Kolumnen schreiben, könnte man glatt darauf wetten, was er von einem Premierminister in dieser Situation fordern würde: Freiheit, und zwar sofort!

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