Commerzbank-Chefstratege:"Die Politik kann die Wirtschaft nicht steuern"

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Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, über miserable Aussichten für die Konjunktur, die Zeit nach der Rezession - und die Verlässlichkeit von Prognosen.

Tobias Dorfer

Jörg Krämer ist seit Juli 2006 Chefvolkswirt der Commerzbank. Zuvor war der heute 43-Jährige in gleicher Position bei der Hypo-Vereinsbank tätig. Der studierte Volkswirt analysiert im Gespräch mit sueddeutsche.de die miserablen Konjunkturdaten des Statistischen Bundesamts - und erklärt, warum sich die Wirtschaft auch nach dem Ende der Rezession erst einmal nicht erholen wird.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer befürchtet, dass der endgültige Tiefstand der Rezession noch nicht ereicht ist. (Foto: Foto: dpa, privat)

sueddeutsche.de: Herr Krämer, im vierten Quartal ist die deutsche Wirtschaft um 2,1 Prozent zum Vorquartal geschrumpft und damit stärker, als viele Experten vermutet hatten. Haben wir die Talsohle der Rezession erreicht?

Jörg Krämer: Es kommt darauf an, wie man Talsohle interpretiert. Die deutsche Wirtschaft wird weiter schrumpfen, aber nicht so stark wie im letzten Quartal des Vorjahres. Trotzdem ist der endgültige Tiefstand noch nicht erreicht.

sueddeutsche.de: In den Zahlen des vierten Quartals 2008 steckt viel von den Auswirkungen der Lehman-Pleite. Heißt das, es geht uns jetzt schon besser, als die rückblickenden Zahlen des Statistischen Bundesamts vermuten lassen?

Krämer: Ich habe den Fall Lehman Brothers einige Zeit als Dolchstoßlegende abgetan. Dann jedoch brachen weltweit tatsächlich die Konjunkturindikatoren ein und die Folgen dieser Pleite beschäftigen uns noch immer. Aber immerhin ist die Unsicherheit leicht zurückgegangen. Daher ist es möglich, dass die deutsche Wirtschaft ab der Jahresmitte zumindest aufhören könnte zu schrumpfen.

sueddeutsche.de: Hans-Werner Sinn, der Chef des ifo-Insituts, hat gesagt, wer glaubt, im Sommer gehe es wieder aufwärts, erzählt Blödsinn.

Krämer: Herr Sinn hat Recht und Unrecht. Denn das Ende einer Rezession bedeutet nicht, dass es wirklich bergauf geht. Stattdessen wird eine Zwischenphase eintreten, die man als blutleere Aufwärtsbewegung beschreiben kann.

sueddeutsche.de: Ein Aufschwung, der keiner ist?

Krämer: Genau. Die Wirtschaft wird dann zwar wieder wachsen, aber das Wachstum wird so schwach sein, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird. Und insofern hat Sinn absolut recht, dass ab Sommer die Probleme nicht gelöst sein können. Die Auswirkungen dieser Krise werden uns noch bis weit über das Jahr 2010 beschäftigen.

sueddeutsche.de: Immerhin scheint es erste Anzeichen der Erholung zu geben - gerade bei einigen Firmen.

Krämer: Das stimmt einerseits. Auch einige Stimmungsindikatoren, etwa der ifo-Geschäftsklimaindex, sind wieder gestiegen. Andererseits sind die Zahlen dann nicht automatisch gut, sondern sie sind lediglich nicht mehr überraschend schlecht. Noch immer lassen die Werte ein Schrumpfen der Wirtschaft erwarten.

sueddeutsche.de: Immerhin - die Börse hat den schlechten Nachrichten des Statistischen Bundesamts getrotzt. Der Dax stieg um mehr als 1,5 Prozent.

Krämer: Rezessionsjahre sind normalerweise gute Jahre für die Börse. Denn in dieser Zeit schwindet der Pessimismus und dieser Effekt wird von der Börse vorweggenommen. Wenn keine neuen Schocks folgen, kann es tatsächlich zu einer leichten Erholung kommen. Einen dauerhaften Aufschwung werden wir jedoch erst einmal nicht erleben.

sueddeutsche.de: Der Bundestag hat heute das Konjunkturpaket beschlossen. Haben die Maßnahmen der Politik schon positive Auswirkungen?

Krämer: Kein Konjunkturpaket der Welt kann eine solche Rezession stoppen. Die Maßnahmen werden ja größtenteils erst ab der Jahresmitte wirksam. Und dann werden sie allenfalls dazu beitragen, die negativen Folgen der Wirtschaftskrise abzumildern.

sueddeutsche.de: Welchen Effekt wird die Abwrackprämie erzielen? Die Autohändler freuen sich in diesen Tagen über sprunghaft gestiegene Verkaufszahlen.

Krämer: Ich glaube nicht, dass die Abwrackprämie große Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben wird. Sie funktioniert vielmehr als ein psychologisches Signal. Die Prämie hat dazu beigetragen, die Unsicherheit der Konsumenten zu überwinden. Für die Verbraucher ist es ja extrem billig, den Kauf eines Neuwagens zu verschieben - dann fährt er eben noch ein halbes Jahr mit dem alten Wagen. Für die Industrie ist diese Zurückhaltung jedoch dramatisch.

sueddeutsche.de: Was muss jetzt passieren, um die Rezession in den Griff zu bekommen?

Krämer: Erst einmal muss die Politik akzeptieren, dass man die Wirtschaft nicht steuern kann wie ein Auto. Es gibt Grenzen der Machbarkeit. Dann sind die Zentralbanken gefordert. Sie müssen alles tun, um den Fluss von Geld und Kapital zu gewährleisten.

sueddeutsche.de: Wie verlässlich sind Konjunkturprognosen in dieser Extremsituation überhaupt?

Krämer: Wir können keine klassische Analyse erstellen. Die Konjunktur hängt derzeit stark von den Unsicherheiten an den Finanzmärkten ab. Deshalb können die Forscher Annahmen machen. Aber das Tempo der Entwicklung lässt sich nur schwer vorhersagen.

sueddeutsche.de: Schwere Zeiten für Ihre Zunft...

Krämer: ...und deshalb muss man als Konjunkturprognostiker in dieser Zeit noch bescheidener sein, als man es ohnehin sein sollte.

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