Siegeszug einer Prämie:Wir sind Abwracker!

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Nach Papst und Knut ein neuer Hype für diese Republik: Warum Deutschland sich komplett neu gestaltet - und was Veronica Ferres und ein Nashorn damit zu tun haben.

Tobias Dorfer

Der Hype um die Abwrackprämie ist vergleichbar mit Peer Steinbrücks Sicht auf ein Rhinozeros. Ganz langsam, hat der Finanzminister einmal verraten, sei das Tier losgerannt. Dann jedoch kam die Masse in Schwung und irgendwann hatte das Rhinozeros ein "irrsinniges Tempo" und eine "irrsinnige Wucht" drauf. Seitdem liebt Steinbrück Nashörner.

(Foto: Fotomontage: sueddeutsche.de)

Auch die Deutschen haben die Abwrackprämie ins Herz geschlossen. Erst als Gedankenspiel in den Köpfen einiger Altlinker geschmäht, wird sie nun gefeiert. Erst waren wir Papst, dann "Schwarz-Rot-Geil" und schließlich - ganz kurz - Knut. Und jetzt sind wir Abwracker. Bereits vier Wochen nach dem Start der Volksprämie darf gewettet werden, ob der Abwrackprämie das gelingt, was kreativ-futuristische Wortschöpfungen wie "hessische Verhältnisse", "Alles wird Knut" und "Problembär" nicht geschafft haben: als "Wort des Jahres" in die Annalen der deutschen Geschichte einzugehen.

Comeback von Chrysler

Die Chancen stehen gut. Seit Wochen werden die Autohäuser des Landes mit ähnlich vielen Fans belagert wie vor 15 Jahren die Absperrung bei einem Take-That-Konzert. Man sieht sie in diesen Tagen schon vor sich: die Zelte, Isomatten und Schlafsäcke, mit denen die täglich 6000 Abwracker vor den Autohäusern campieren. Auf einen Dacia mit Wunschausstattung müssen die Abwracker bereits jetzt bis Ende April warten. Und sogar der Chrysler-Händler im Industriegebiet, um den alle politisch korrekten Autokäufer in den vergangenen Monaten einen großen Bogen machten, zählt wieder vereinzelte Besucher in seinem Verkaufsraum.

Die Zeit ist knapp. 1,5 Milliarden Euro will der Staat für die begehrte Prämie ausgeben. Dumm nur, dass dieser Betrag gerade einmal für 600.000 Autokäufer reicht. Stellvertretend für eine ganze Nation bangt Bild, das Zentralorgan der deutschen Abwracker: "Reicht Geld nur noch für drei Monate?"

Unerwarteter Erfolg

Deutschland wrackt ab. Eine ganze Nation tauscht aus und gestaltet sich neu. Die Manie hat inzwischen auch andere Branchen erreicht. Die Elektronikkette Media Markt spendiert beim Kauf eines Neugeräts für alte Waschmaschinen oder Videorecorder 100 Euro. Probleme könnte dagegen der Küchenausrüster WMF mit seiner Topfprämie bekommen - Alice Schwarzer soll bereits eine Gegenkampagne in der Emma planen.

Angesichts dieses unerwarteten Erfolgs fasst selbst die notorisch gebeutelte Branche der Zahnärztinnen wieder Mut. Eine "Abwrackprämie für Zahnersatz" wünscht sich der Verband Dentista - und intoniert die Forderung mit dem Satz: "Was auf den ersten Blick wie ein Witz wirkt." Doch dabei verzichtet der Verband auf naheliegende Wortspiele wie "auf den ersten Biss" oder "Mit den Dritten kaut man besser".

Doch Töpfe und Zahnersatz sind Peanuts. Wie wäre es stattdessen mit einer Abwrackprämie für abgehalfterte Banker? Oder für mediale Luftverpester? Der Privatsender RTL hat bereits im Januar zehn D-Prominente im australischen Dschungel entsorgt.

Prämie für Überwachungskameras

Zu teuer wäre die ebenfalls heiß diskutierte Entsorgungsprämie für Überwachungskameras, an der neben Innenminister Wolfgang Schäuble besonders die Unternehmen Lidl, Telekom und Deutsche Bahn interessiert sein sollen. Bahnchef Hartmut Mehdorn hat schon verlauten lassen, dass er mit den Erlösen die Ticketpreise um schätzungsweise 67 Prozent senken könnte - zumindest für die kommenden sieben Jahre.

Selbst in ihren Beziehungen räumen die Deutschen auf. Veronica Ferres hat ihr altes Modell, einen Marketingmanager, kurzerhand abgewrackt. Und nur wenige Wochen später hat sie schon Ersatz - ein schmuckes Nachfolgemodell mit Sonderausstattung (rosa Hemd und kesser Oberlippenbart) aus dem VW-Bundesland Niedersachsen.

Die Ferres hat dafür weder eine staatliche Finanzspritze noch einen Bambi für Courage bekommen. Ihren Mann hatte sie bereits im November 2008 abgewrackt - zwei Monate zu früh.

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