China:Dubiose Geschäfte mit Siemens-Geräten

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Medizingerätehändler bildeten in China Kartelle, um sich gegenseitig staatliche Aufträge zuzuschanzen. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Die Probleme im China-Geschäft von Siemens sind größer als bisher bekannt.
  • Offenbar sind viele Händler in der Medizinbranche nicht nur in Bestechung, sondern auch in illegale Preisabsprachen verstrickt.
  • In mindestens einem Fall ist auch ein Händler betroffen, der mit einem Tomografen von Siemens gehandelt hat.

Von Christoph Giesen, Klaus Ott und Nicolas Richter

Im Jahr 2012 erschien auf einer chinesischen Website eine öffentliche Ausschreibung: Ein Pekinger Krankenhaus wollte einen Tomografen kaufen, mit dem man Patienten durchleuchten kann bis in die kleinste Faser. Raffinierte Maschinen wie diese sind teuer, und für die Kliniken ist der Kauf ein Kraftakt. Immerhin soll die öffentliche Ausschreibung sicherstellen, dass mehrere Anbieter um den Auftrag ringen - mit möglichst niedrigen Preisen. Der Wettbewerb soll dem Krankenhaus und letztlich den Patienten Geld sparen. Deswegen müssen an Ausschreibungen mindestens drei Anbieter teilnehmen und Gebote abgeben - sonst ist das Verfahren ungültig. Das klingt zunächst transparent und ergebnisoffen.

Tatsächlich aber war die Ausschreibung des China Medical University Aviation General Hospital eine Farce: Als der Großauftrag nämlich auf der Website erschien, stand der Sieger längst fest. Zuvor hatte ein Händler namens Han einen hochrangigen Klinik-Mitarbeiter angesprochen: Er wolle ein Siemens-Gerät verkaufen und brauche Hilfe. Der Mitarbeiter, Xiao, war Vize-Personalchef und hatte einen engen Kontakt zur Klinikchefin. Die Chefin ließ sich überzeugen und veranlasste, den Auftrag so auszuschreiben, dass nur der Händler mit dem Siemens-Gerät gewinnen konnte. Später ließ sich Xiao von dem Händler Han mit umgerechnet 80 000 Euro belohnen. Außerdem lieh der Händler Xiao noch Hunderttausende Euro für eine Wohnung in Peking, Geld, das er nie wiedersah. "Ich glaube, Xiao hat die Klinikchefin entscheidend beeinflusst", sagte der Händler, als die Sache im Januar 2017 vor dem Strafgericht des Pekinger Bezirks Chaoyang landete. Xiao F. wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, die Justiz beschlagnahmte sein Vermögen in Höhe von 800 000 Euro. Er hatte seinen Einfluss auch bei anderen Deals zu Geld gemacht.

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Der Fall Xiao ist auch für Siemens unangenehm und wirft abermals die Frage auf, ob der Konzern seine Zwischenhändler in China streng genug beaufsichtigt. Wie die SZ kürzlich berichtete, offenbaren mehr als 40 Strafurteile chinesischer Gerichte, dass beim Verkauf von Siemens-Geräten in China bestochen worden ist, meist durch Zwischenhändler, in sieben Fällen aber auch durch Siemens-Angestellte direkt. Der Konzern spricht von Einzelfällen.

Der Fall Xiao aber geht über bloße Bestechung hinaus. Mehrere Zeugen haben vor Gericht erklärt, Medizingerätehändler bildeten Kartelle, um sich gegenseitig staatliche Aufträge zuzuschanzen. So steht es in einem Gerichtsurteil, das die Süddeutsche Zeitung ausgewertet hat. Der Wettbewerb wird demnach systematisch durch illegale Absprachen unterbunden. Echte Konkurrenz gibt es oft nicht, die Maschinen sind womöglich überteuert - und Verlierer sind Patienten, Kliniken und Staat. Siemens erklärt, es gehe Hinweisen auf kartellwidriges Verhalten seiner Zwischenhändler nach; im Fall Xiao habe man "kein Fehlverhalten von unserer Seite" festgestellt.

In der Branche scheint es längst ein offenes Geheimnis zu sein, dass Ausschreibungen oft nur zum Schein stattfinden. "Das Bieterverfahren ist eine bloße Formalität, die den Beschaffungsprozess rechtmäßig aussehen lässt. Tatsächlich aber ist längst entschieden, welche Marke das Rennen macht", sagte der Zeuge Dong laut Pekinger Gerichtsurteil. Dong ist Vize-Chef der Radiologie des Pekinger Krankenhauses. Noch deutlicher wurde Zwischenhändler Han, der Xiao bestochen hatte: "Um es unverblümt zu sagen: Bei einer Ausschreibung liegt der Schlüssel darin, im engen Austausch mit dem Krankenhaus zu stehen. Die anschließende öffentliche Ausschreibung erfolgt dann nur noch aus formalen Gründen."

Offenbar ist dieses Vorgehen so verbreitet, dass Fachleute aus einer öffentlichen Ausschreibung bereits herauslesen können, wer der designierte Sieger ist, weil die technischen Parameter so festgelegt worden sind, dass sofort klar ist, wer das Rennen macht. "Profis erkennen die Voreingenommenheit", gab Händler Han an.

Damit ist der Schwindel aber noch nicht beendet. Denn nach chinesischem Recht müssen schließlich mindestens drei Händler oder Hersteller Gebote abgeben, damit das Verfahren überhaupt gültig ist. In der Branche behilft man sich damit, dass Händler selbst dann mitbieten, wenn sie wissen, dass sie unterliegen werden. Dem Vize-Chef der Radiologie Dong zufolge werden solche Pro-Forma-Gebote in der Industrie "begleitende Gebote" genannt. Sie haben keinen anderen Zweck, als das Bieterverfahren formal richtig abzuwickeln. Aber warum machen die unterlegenen Bieter dann überhaupt noch mit? "Der Grund dafür liegt in einer unausgesprochenen Industrieregel: Wir kooperieren miteinander", sagte Händler Han. Der Zeuge Huo, Chef der Radiologieabteilung im Pekinger Krankenhaus, ergänzte: "Es gibt eine stille Verständigung in der Industrie. Mit nur zwei Bietern wäre das Verfahren fehlerhaft. Alle Marken wollen langfristig im Geschäft bleiben und so könnten sie vereinbart haben, sich gegenseitig zu helfen. Wenn eine Marke nicht ausgewählt wird für einen bestimmten Auftrag, behält sie wenigstens ein gutes Verhältnis zu dem Krankenhaus, und das ist hilfreich bei der nächsten Ausschreibung."

Absprachen wie diese hat die Professorin Susan Rose-Ackerman in einer Studie für die US-Universität Yale bereits im Jahr 2015 beschrieben: Demnach besticht ein Händler einen leitenden Klinikmitarbeiter, um einen Auftrag zu bekommen. Damit die Ausschreibung regelkonform abläuft, sucht sich der Händler zwei weitere Firmen, die jeweils ein Gebot abgeben, das höher liegt und deswegen nicht gewinnen kann. Anschließend bezahlt der Händler die unterlegenen Konkurrenten dafür, dass sie, wie Rose-Ackerman schreibt, "ihre Rolle in der Show gespielt haben". Die Konkurrenten können dann zudem auf den nächsten Auftrag hoffen.

Siemens erzielt in der Medizinsparte 75 Prozent seines chinaweiten Umsatzes in Höhe von 1,6 Milliarden Euro über Zwischenhändler und beteuert, diese regelmäßig zu kontrollieren. Buchprüfungen bei Händlern erfolgten im Schnitt alle drei Jahre, bei konkretem Verdacht öfter. Zwar handhabt es auch Wettbewerber Philips so - aber ist das in einem solch korruptionsanfälligen Markt ausreichend?

Sollten die Firmen etwas von Absprachen wissen, droht ihnen Ärger mit der US-Börsenaufsicht

Sehr dubios ist auch ein Fall aus der jüngeren Vergangenheit: Anfang Januar 2018 bekam ein chinesischer Händler den Zuschlag, einer Klinik in Shenzhen einen Magnetresonanztomografen von Siemens zu verkaufen. Ein Blick in eine öffentliche Datenbank verrät, wie nahe die drei Bieter beieinander lagen: Der Verkäufer des Siemens-Geräts erhielt den Auftrag für 3, 75 Millionen Dollar. Die anderen beiden Bieter lagen gerade einmal 5000 und 6300 Dollar darüber. Eine solche Nähe ist nach Ansicht von Experten verdächtig: Die Preise von Tomografen gehen oft weit auseinander, es gibt große Gewinnmargen. Da ist es seltsam, wenn die Endpreise so dicht beisammen liegen. Haben sich die Händler auch hier abgestimmt? Siemens erklärt, es dürfe die Endpreise seiner Händler weder kontrollieren noch steuern.

Sollten Siemens und seine Konkurrenten wie Philips, General Electric oder Canon von Absprachen erfahren und nicht genügend dagegen unternommen haben, könnte es Ärger mit amerikanischen Behörden geben. Die Börsenaufsicht SEC und das Justizministerium fühlen sich nämlich für Wettbewerbsverzerrungen weltweit zuständig, auch für solche in China. Liu Meng-lin, ein früherer Siemens-Mitarbeiter, der das Unternehmen im Streit verlassen hat, schickt regelmäßig chinesische Strafurteile an die US-Aufseher der SEC, dazu gehört auch der Pekinger Fall, in dem Zeugen über Absprachen berichtet haben. "Nach meinem Verständnis wissen die Hersteller von diesen Absprachen, denn sie können aus öffentlichen Datenbanken herauslesen, dass Händler die Geräte überteuert anbieten und dennoch den Zuschlag bekommen", sagt Lius New Yorker Anwalt Paul Breitstein. Siemens entgegnet, es könne kein eigenes Fehlverhalten erkennen.

Im Pekinger Prozess sagte ein Zeuge, der einst für den Hersteller Toshiba gearbeitet hatte, es sei doch klar, warum Händler auch dann mitböten, wenn sie sicher verlieren würden: "Wir handeln damit doch im Interesse aller Unternehmen."

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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