China:Wohlstand auf chinesisch

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Chinas Parteichef Xi Jinping: "Wir können einigen Menschen erlauben, zuerst reich zu werden". (Foto: NOEL CELIS/AFP)

In kaum einem Land der Welt sind die Vermögen so ungleich verteilt wie in China. Nun beschwört Parteichef Xi Jinping das Ziel, "gemeinsam reich" zu werden - und ruft Firmen zum Spenden auf.

Von Christoph Giesen, Peking

Angefangen hat es wieder einmal mit einer dieser Mitteilungen, veröffentlicht spät abends Mitte August auf der Webseite des zentralen Staatsfernsehens. Tausende Schriftzeichen feinstes Parteichinesisch, das Protokoll der Kommission für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten der Kommunistischen Partei.

Sofort beugten sich die ersten Zhongnanhai-Wissenschaftler und Politinterpreten über die Zeilen: "Wir können einigen Menschen erlauben, zuerst reich zu werden, die dann andere anleiten und ihnen helfen, um gemeinsam reich zu werden", lautet einer der Schlüsselsätze von Staats- und Parteichef Xi Jinping. "Gemeinsam reich werden", der "gemeinsame Wohlstand", auf Chinesisch "gongtong fuyu", darum geht es und auch um die Macht der chinesischen Digitalkonzerne, die die Führung in Peking seit Monaten zurechtstutzt.

Der Begriff des gemeinsames Wohlstands ist beinahe so alt wie die Kommunistische Partei selbst, bereits in den Fünfzigerjahren sprach Staatsgründer Mao Zedong davon. Nach dem Ende der Kulturrevolution verwendete Reformpatriarch Deng Xiaoping die Formulierung, als er Chinas Wirtschaft öffnete und die ersten privaten Unternehmen entstanden. Auch Xi Jinping redet immer und immer wieder vom gemeinsamen Wohlstand - in den ersten acht Jahren seiner Amtszeit noch sporadisch, inzwischen aber regelmäßig. Alleine in diesem Jahr haben Parteistatistiker "gongtong fuyu" mindestens 65 Mal in seinen Reden ausgemacht.

In Peking wohnen 145 Milliardäre

Bislang waren das vor allem fromme Worte. In keinem Land der Welt leben mehr Dollar-Milliardäre als in China. Laut Hurun-Report sind es derzeit 1058, fast 400 mehr als in den Vereinigten Staaten. London oder New York sind längst nicht mehr die Weltmetropolen der Superreichen, in Peking wohnen 145 Milliardäre.

Wie gerecht der Wohlstand in einem Land verteilt ist, darüber gibt der Gini-Koeffizient Auskunft. Liegt er bei null, besitzt jeder so viel wie alle anderen, das wäre die Utopie von "gongtong fuyu". Läge der Index dagegen bei eins, so gehörte einem Einzelnen alles. Die skandinavischen Länder stehen etwa bei 0,25, Deutschland bei fast 0,3 und die USA bei etwa 0,45. Bei den Vereinten Nationen rechnet man so: Ein Koeffizient von 0,4 ist ein Warnsignal, und von 0,6 an ist mit einer Revolution zu rechnen. China veröffentlichte den Wert zum letzten Mal im Jahr 2000.

Erst zwölf Jahre später ließ ein Professor aus Chengdu seine Studenten ausschwärmen, zur ersten chinesischen Vermögensstudie. Gut 40 000 Haushalte klapperten sie ab. Wie viele Schweine hat ein Bauer? Wie viele Autos besitzt eine Familie? Gibt es ein Aktiendepot? Festgeldkonten? Juwelen gar? Auch den Immobilienbesitz fragten die Studenten ab. Eher als Abfallprodukt errechneten sie damals Chinas Gini-Koeffizienten. Das Ergebnis sorgte für Aufsehen: 0,61. Seitdem erhebt die Regierung den Koeffizienten wieder selbst. Die amtliche Zahl lautet: 0,465.

Tencent spendet fast einen kompletten Jahresgewinn

Inzwischen finden in Peking Pressekonferenzen statt, auf denen der Apparat sich erklärt. Im Kampf gegen die Ungleichheit gehe es nicht darum, "die Reichen zu töten, um den Armen zu helfen", sagt etwa Han Wenxiu von der Kommission für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten. Vielmehr sollen "übermäßig hohe" Einkommen beschnitten und Unternehmen dazu angehalten werden, mehr für die Gesellschaft zu tun. Spenden seien "keine Pflicht", betont Funktionär Han zwar, in den Zentralen der chinesischen Tech-Unternehmen hat man die Signale aber verstanden. Der Internetkonzern Tencent etwa kündigte vergangene Woche an, 100 Milliarden Yuan (13,1 Milliarden Euro) zu spenden, die Hälfte des Geldes soll in einen Fonds für den "gemeinsamen Wohlstand" fließen.

Die Entscheidung von Tencent, fast einen gesamten Jahresgewinn abzugeben, sei ohne die jüngste politische Kampagne der Führung in Peking nicht zu verstehen, meint Logan Wright, der bei der Rhodium Group die Abteilung China Markets Research leitet. Seit Ende 2020 geht der Apparat systematisch gegen Chinas Tech-Konzerne vor. Angefangen hatte es im November 2020 mit der Ant Group. Wenige Tage vor dem Debüt des Unternehmens an den Börsen in Shanghai und Hongkong schritten die Aufseher ein - regulative Schwierigkeiten, hieß es. Es hätte der größte Börsengang der Welt werden sollen, mit Einnahmen in Höhe von 37 Milliarden Dollar.

Im Frühjahr belegten die Aufsichtsbehörden den Ant-Mutterkonzern Alibaba mit einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 2,4 Milliarden Euro, weil das Unternehmen seine Marktstellung missbrauche. Im Juli dann leitete Chinas Cyberspace-Administration eine Untersuchung gegen den populären Fahrdienstleister Didi wegen angeblicher Verletzungen der Privatsphäre der Nutzer ein. Erst Tage zuvor war Didi in New York an die Börse gegangen. Seitdem lautet die Frage in vielen Chefetagen der chinesischen Konzerne: Wer von uns ist der nächste?

Bei Tencent hat man sich entschieden, zwischen den Zeilen zu lesen und vorauseilend zu zahlen: Lieber gemeinsam reich als alleine arm.

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