Lesen in Corona-Zeiten:Buchhändler spüren die Pandemie noch stark

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Vor allem junge Menschen haben nach Angaben des Börsenvereins mehr gelesen. (Foto: Jake Jakab/imago)

Seine Verluste hatte der Buchhandel fast aufgeholt. Doch dann kam der zweite Lockdown mit hohen Umsatzeinbrüchen im ersten Halbjahr 2021.

Von Dieter Sürig

Wenn der Tübinger Buchhändler Christian Riethmüller eines aus der Pandemie gelernt hat, dann die Erkenntnis, sich nicht auf die Politik zu verlassen. Erst mussten die Buchläden schließen, dann wurden sie von Berlin als "Einzelhandel des täglichen Bedarfs" eingestuft, was wenig später in einigen Bundesländern von Gerichten oder Landesregierungen vorübergehend wieder gekippt wurde. Und: "Bis auf einen Abschlag haben wir für Januar und Februar immer noch keine Überbrückungshilfe bekommen", kritisiert er verärgert.

Der Chef der Buchhandelskette Osiander hat vor einem Jahr unter anderem auf einen Fahrradkurierservice gesetzt, um wenigstens einen Teil seiner Umsatzeinbußen ausgleichen zu können. Riethmüllers Zwischenbilanz: "Wir machen jetzt wieder fast die Umsätze wie vor Corona, aber das ist je nach Standort unterschiedlich". Sein Umsatzanteil im Internet von zehn Prozent gehe in Richtung Verdoppelung.

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Doch dass dies nur eine Momentaufnahme ist, stellte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Börsenverein, Alexander Skipis, am Donnerstag klar. Der Buchhandel hatte zwar die Einbußen durch die Schließungen im Frühjahr 2020 bis zum zweiten Lockdown im Dezember fast wieder reingeholt, "aus meiner Sicht eine kleine Sensation". Doch nun sieht es wieder bitter aus für die Branche. Bis März/April waren die Buchläden geschlossen, sodass sie Ende Juni im Vergleich zum normalen ersten Halbjahr 2019 einen Einbruch von mehr als 20 Prozent verzeichnen. "Das ist im Moment die Wahrheit des Sortimentsbuchhandels", so Skipis.

Buchläden konnten ihre Internetverkäufe mehr steigern als Amazon

Das Jahr 2020 konnte die gesamte Buchbranche inklusive der Verlage hingegen sogar mit einem leichten Umsatzplus von 0,1 Prozent auf 9,3 Milliarden Euro abschließen. Pandemiebedingt haben sich die Umsätze des Buchhandels verlagert: So verloren die stationären Läden neun Prozent Umsatz, während das Geschäft im Internet 20,9 Prozent gewann. Der Anteil der Läden am Gesamtumsatz mit Büchern betrug somit 42 Prozent, derjenige der Internetshops rund 24 Prozent. Davon haben aber vor allem die Buchläden profitiert, deren Onlineumsätze mit Belletristik um 27,2 Prozent wuchsen, während Amazon nach Zahlen des Börsenvereins nur 7,2 Prozent zulegte. Skipis konnte sich da einen Seitenhieb nicht verkneifen: Amazon habe in der Pandemie "sofort die Priorität für Bücher von eins auf drei zurückgestuft, um mehr Klopapier zu verkaufen". Interessant auch die Entwicklung beim elektronischen Buch, das erstmals seit 2014 einen größeren Zuwachs um immerhin 0,9 Prozentpunkte auf 5,9 Prozent Umsatzanteil verzeichnete.

Trotz der Pandemie konnten 2020 beim Buchumsatz aber nur Kinder- und Jugendbücher (plus 4,7 Prozent) sowie Naturwissenschaften und Technik (3,5 Prozent) zulegen. "Das zeigt uns, dass das Buch gerade bei jungen Lesern sehr gut vertreten ist", so Skipis. Er klagt aber weiterhin über Leserschwund - die Zahl der Belletristikkäufer ging um 400 000 auf 28,4 Millionen zurück, 2019 hatte die Branche allerdings 900 000 Buchkäufer verloren. Für Skipis hat die Pandemie trotzdem gezeigt, "wie sehr das Buch in der Gesellschaft verankert ist" - jeder Vierte habe häufiger gelesen. Er kann sich vorstellen, die 5000 Buchhandlungen zu "kulturellen Ereignisorten" zu machen, um Innenstädte lebendiger zu machen.

Skipis lobte auch Eigeninitiativen der Buchhändler, die sich die guten Zahlen von 2020 "mit viel Aufwand erworben" hätten. Bei Christian Riethmüller gehört künftig auch die Entscheidung dazu, sich der Einkaufs-, Vertriebs - und IT-Plattform des Konkurrenten Thalia-Mayersche anzuschließen. Das geht nicht ganz ohne Kritik in der Branche, die nach der Fusion von Thalia und Mayersche Anfang 2019 eine weitere Konzentration fürchtete. "Wir werden nicht mit Thalia fusionieren", sagt Riethmüller, aber er ist froh, dass er diesen Schritt gegangen ist. "Corona hat gezeigt, dass es richtig war, wir sind nicht groß genug, um die nötige Technik bereit zu stellen, um mit Amazon mitzuhalten". Da er seine rund 65 Filialen seit März sukzessive auf das neue System umstellt, sieht er sich gut gerüstet, sollte sich die Corona-Lage nochmal verschärfen.

Seine zweite Erkenntnis aus der Krise lautet, "dass Einzelhandel, Gastronomie und Tourismus keine gute Lobby haben, dabei hat es in anderen Bereichen viel mehr Infektionen gegeben". Und sollte der Handel nochmal schließen müssen, "würden viele Betriebe wegbrechen". Er wundert sich, dass bei der Fußball-EM in London gerade 65 000 Zuschauer ins Stadion dürfen - trotz Delta-Variante. "Das versteht doch keiner mehr", sagt selbst der Fußballfan Riethmüller, der sich nächste Woche in das Präsidium des VfB Stuttgart wählen lassen will.

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