Verlage:Wie der Papiermangel die Buchbranche trifft

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Die Zellstofffabrik Stendal: Aus Fichten und Kiefern wird hier Zellstoff gewonnen und später zu Papier weiterverarbeitet. (Foto: Friedrich Bungert)

Viele Verlage kämpfen derzeit mit Versorgungsengpässen und hohen Kosten. Einige Buchhersteller finden dennoch kreative Lösungen.

Von Dieter Sürig

Gerade hat Michel Kreuz wieder eine der Mails bekommen, die er nicht so gerne in seinem Postfach sieht. Eine Druckerei meldet Lieferengpässe, und der Herstellungsleiter des Hamburger Murmann-Verlags muss Plan B aus der Schublade holen, um Erscheinungstermine einhalten zu können. So geht das schon eine ganze Weile: Gestörte Lieferketten, der Mangel an Rohstoffen wie Holz, Zellstoffe und Altpapier und auch der Krieg in der Ukraine haben zu Versorgungsengpässen geführt. Das gilt vor allem für das sogenannte grafische Papier, das für den Druck von Büchern, Zeitungen, Prospekten geeignet ist. Je nachdem, ob daraus Taschenbücher, gebundene Ausgaben oder hochwertige Bildbände entstehen, sind verschiedene Papierqualitäten gefragt. Und das ist für viele Verlage das eigentliche Dilemma. "Es ist nicht so, dass wir nicht drucken können, es gibt immer alternative Lösungen, aber bestimmte Materialsorten sind nicht immer verfügbar", sagt Kreuz.

Dies wiederum hat Auswirkungen auf den Preis. Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist der Preis für grafisches Papier und Pappen seit vergangenem Sommer im Durchschnitt um fast 60 Prozent gestiegen. Hinzu kommen etwa 20 Prozent höhere Druckkosten, auch wegen steigender Energiepreise. Die Verlage können dies nicht einfach an die Kunden weiterreichen, "was wir machen, ist, die Verkaufspreise im Handel moderat zu erhöhen", sagt Murmann-Herstellungschef Kreuz. Der Verlag ist da mit seinen Wirtschaftsbüchern aber noch relativ flexibel beim Papiereinkauf. "Wir entwickeln viele Unikate, wenig Reihen, dafür entwickeln wir Typografie, Grafiken und Ausstattung jedes Mal neu." Auf das Programm selbst hätten die schwierigen Bedingungen bisher kaum Auswirkungen, es seien noch keine Titel verschoben oder gestrichen worden. Aber: "Paperbacks mit niedrigem Verkaufspreis bieten wir zunehmend weniger an."

"Viele Papierfabriken sind auf Verpackungsmaterial umgestiegen."

Hersteller hochwertiger Bildbände oder großformatiger Wandkalender sind da etwas weniger flexibel. Der Athesia-Verlag aus Unterhaching ist insbesondere für seine Heye-Kalender bekannt und hat das Glück, über eine eigene Druckerei in Bozen in Südtirol zu verfügen. Er müsse "aber auch schauen, wie wir unsere zusätzlich benötigte Druckkapazität und das Papier am Markt bekommen", sagt Geschäftsleiter Michael Greis. "Foto- und Panoramamotive müssen wir drucktechnisch weiterhin in höchster Brillanz wiedergeben." Schließlich wolle der Verlag seine Kunden nicht verprellen. Dabei geht es längst nicht nur um Papier oder Papprücken für Kalender. "Vor dem Ukrainekrieg haben wir zum Beispiel Metalle für Kalenderhaken aus der Ukraine bezogen, Europaletten kosteten etwa zwölf Euro und mittlerweile aber fast das Dreifache", sagt Greis. "Wir können große Wandkalender auch nicht mit nur einem Bügel ausstatten, um bei der Produktion zu sparen."

Höhere Herstellungskosten sind gewichtig. "Die Papierpreise steigen seit einem Jahr, wir kommen von etwa 700 Euro pro Tonne und zahlen aktuell rund 1280 Euro", sagt Greis. Und die Lieferzeit für Graupappe sei gestiegen, "weil asiatische Händler große Mengen an Altpapier aufgekauft haben". Pappe werde wegen des Internethandels immer mehr für Verpackungen benötigt. "Viele Papierfabriken sind auf Verpackungsmaterial umgestiegen, weil in diesem Bereich mehr bezahlt wird", sagt der Direktor der Athesia-Druckerei, Benjamin Rauch. Er profitiert von langjährigen Geschäftsbeziehungen mit seinen Lieferanten. Trotzdem "müssen wir sehr häufig alternative Materialien suchen und anbieten".

Der Oetinger-Verlag baut eigene Papierbestände auf

Christian Graef, kaufmännischer Geschäftsführer der Oetinger-Verlagsgruppe, sieht wegen des Papiermangels "enorme Verwerfungen bei unseren internen Prozessen". Die Hamburger gehören zu den größten deutschen Kinder- und Jugendbuchverlagen und haben Tausende Titel von Astrid Lindgren über Cornelia Funke bis Peter Wohlleben im Programm. "Wir wissen oft nicht, wann wir welches Papier bekommen, wir reservieren Papiermengen im Voraus und müssen schon mal in Teilmengen produzieren", sagt Graef. Um Wiederbeschaffungszeiten zu verkürzen, baut der Verlag eigene Papierbestände auf, vor allem spezielle Papiersorten, bei denen nicht klar ist, wann sie wieder lieferbar sind. Außerdem habe er sich mit den Druckereien auf Standardpapiere geeinigt. So habe die Gruppe bislang alle Erscheinungstermine einhalten können, ohne das Programm zu kürzen.

Die Herstellungskosten sind nicht das einzige Problem der Branche. Der Börsenverein meldet zwar für 2021 einen selten da gewesenen Umsatzanstieg von 3,5 Prozent auf 9,6 Milliarden Euro. Doch gegenüber Vor-Pandemie-Zeiten ist der Umsatz im ersten Halbjahr 2022 immer noch mit rund drei Prozent im Rückstand. "In Zeiten knapper Budgets setzen auch Verlage eher auf 'sichere‛ Titel", fürchtet Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins. "Das Abseitige, Mutige, Innovative kommt dann manchmal zu kurz."

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