Brexit:Jeder gegen jeden

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Das Referendum über einen Austritt spaltet das britische Unternehmerlager. Und es belastet die Beziehungen der Wirtschaft zur konservativen Regierung.

Von Björn Finke

Lange Schlangen von Lastwagen parken auf einem Abschnitt der Autobahn M20 in der Nähe von Dover. Sie wollen mit Fähren nach Calais übersetzen oder Frachtzüge durch den Eurotunnel nehmen. Doch im Hafen der französischen Stadt streiken Arbeiter, und illegale Einwanderer versuchen, in das dortige Zugterminal einzudringen. Deswegen fallen viele Verbindungen aus. Und die britische Polizei kann sich nicht anders helfen, als die wartenden Laster auf der Autobahn parken zu lassen. Es gibt nicht genug Stellplätze.

Die Fernsehbilder von Lastwagen auf der gesperrten Autobahn führen den Briten wieder vor Augen, wie viel Handel ihr Königreich mit dem Festland treibt. EU-Staaten sind der wichtigste Handelspartner des Landes. Aber diese Geschäfte könnten in Zukunft schwieriger werden. Denn vermutlich schon im kommenden Jahr will die konservative Regierung die Untertanen Ihrer Majestät über einen Austritt aus der EU abstimmen lassen. Für zahlreiche britische Manager wäre so ein Brexit eine Schreckensvision. "Unvorstellbar", "verrückt", "katastrophal" - so bezeichnet Unternehmerlegende Richard Branson diese Perspektive .

. Allerdings gibt es auch eine lautstarke Minderheit unter den Managern, die für ein Verlassen der Union trommelt. Die britische Wirtschaft ist also ausgerechnet bei der wohl wichtigsten politischen Weichenstellung der kommenden Jahre gespalten. Zudem belastet die Debatte über das EU-Referendum die Beziehung zwischen dem einflussreichsten Unternehmerverband, der Confederation of British Industry (CBI), und der Regierung. Die Monate bis zur Volksabstimmung versprechen hitzig zu werden: voller Scharmützel zwischen Unternehmern. Und zwischen Verbandsvertretern und Ministern.

Stimmen die Briten tatsächlich für einen EU-Austritt, stellt sich für Unternehmen die Frage, nach welchen Regeln sie eigentlich mit dem Ausland handeln. (Foto: Jeff J Mitchell/Getty Images)

Der Ausgang all dieser Streitereien - und vor allem des Referendums - ist für Deutschland und die anderen EU-Länder von höchster Bedeutung. Würde die Mehrheit der Briten tatsächlich für den Brexit stimmen, wäre das ein herber Rückschlag für die Union. Die Staatengemeinschaft stünde vor jahrelangen schwierigen Verhandlungen über den Austritt und darüber, unter welchen Bedingungen Exporte zwischen Insel und Festland in Zukunft ablaufen sollen.

Schon jetzt hält das Referendum die Regierungschefs auf Trab. Denn Premierminister David Cameron will mit den anderen EU-Staaten die Konditionen der britischen Mitgliedschaft neu aushandeln. Er möchte Kompetenzen aus Brüssel zurück nach London holen, Unternehmen von als unnötig empfundener Regulierung befreien und Sozialleistungen an ausländische EU-Bürger einschränken. Bekommt er seinen Willen, wird der Konservative bei der Volksabstimmung für einen Verbleib in dieser reformierten EU werben.

Kritiker prophezeien aber, dass die anderen Mitgliedsstaaten höchstens kosmetische Zugeständnisse machen werden. Dann würde es dem Premier schwerfallen, glaubhaft für einen Verbleib zu trommeln. Dabei ist Cameron - anders als viele seiner Parteifreunde - bei aller Kritik vom Nutzen der EU überzeugt; er will die Union gar nicht verlassen. Und auch eine Mehrheit der Briten spricht sich in Umfragen bisher für die EU aus. Europafreundliche Wirtschaftsvertreter fürchten trotzdem, dass bei dem Referendum je nach Ergebnis von Camerons Verhandlungen ein enges Rennen droht. So eng wie bei der Volksabstimmung über Schottlands Unabhängigkeit im vergangenen Sommer: Da sagten Umfragen am Ende sogar kurzzeitig einen Sieg der Separatisten voraus.

Der Minister

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(Foto: BEN STANSALL/AFP)

Sajid Javid, 45, britischer Wirtschaftsminister, gehört zu den Europa-Skeptikern der Regierung. Dem früheren Investmentbanker, dessen Idol die Eiserne Lady Margaret Thatcher ist, gehen daher die dezidiert europafreundlichen Töne aus dem Lager des wichtigsten Unternehmerverbands CBI auf die Nerven. Bei einem festlichen Abendessen des britischen Arbeitgeber-Verbands warf Javid (Foto: AFP) der Organisation vor, die Verhandlungsposition der Regierung in Brüssel zu schwächen: "Ist es wirklich sinnvoll, so früh in diesem Verhandlungsprozess zu erklären: ,Die Regeln dieses Klubs müssen sich ändern, aber keine Angst: Wir werden, egal was kommt, immer Mitglied bleiben?'" Zuvor hatte der CBI seine Mitgliedsfirmen aufgerufen, für einen Verbleib in der EU zu werben.

Der Lobbyist

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(Foto: Bloomberg)

Paul Drechsler, 58, Präsident des britischen Unternehmerverbands CBI, verliert keine Zeit: Der lang gediente Manager, der nun Aufsichtsratschef des Mischkonzerns Bibby Line Group ist, steht dem Verband erst seit diesem Monat vor. Und er nutzte schon sein erstes Interview, um Wirtschaftsminister Sajid Javid zurechtzuweisen. Der hatte die EU-freundliche Linie des CBI kritisiert. Drechsler (Foto: Bloomberg) sagte, der Minister sei ja noch recht frisch in seinem Amt. Dieser Mangel an Erfahrung erkläre vielleicht, wieso er mit dem Verband so spreche wie "mit einem Haufen Schulkinder". Die Mitgliedschaft in der EU mehre den Wohlstand der Briten, daher sei es wichtig, in der Debatte "den richtigen Ton" zu treffen. Soll wohl heißen: Die Regierung trifft diesen Ton nicht.

Der Euro-Freund

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(Foto: Shannon Stapleton/Reuters)

Richard Branson, 65, Selbstdarsteller, Multi-Milliardär und -Unternehmer, macht gerne Schlagzeilen. Und sein Beitrag zur Debatte um die EU-Mitgliedschaft garantiert dem Gründer des Virgin-Firmenimperiums tatsächlich einige Aufmerksamkeit. Branson (Foto: Reuters) sagte nicht nur, dass ein Austritt aus der Europäischen Union für Großbritannien katastrophal sei. Er beklagte auch, dass das Königreich nicht den Euro eingeführt habe - eine sehr exotische Meinung in dem Land. "Ich denke, unsere Währung wäre viel billiger, wenn wir zur Euro-Zone gehören würden", sagte er dem Fernsehsender BBC. "Dass das Pfund viel stärker als der Euro ist, macht den Handel in Europa für uns schwieriger." Tatsächlich beklagen viele britische Exporteure, dass das teure Pfund ihnen schade.

Der Wütende

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(Foto: Getty Images)

James Dyson, 68, Erfinder und Milliardär, ist einer der prominentesten EU-Gegner aus dem Unternehmerlager. Tüftler Dyson (Foto: Getty), der der Welt den beutellosen Staubsauger und infernalisch laute Händetrockner geschenkt hat, sagt, dass er offene Grenzen und freien Handel mit Europa schätze, aber dafür müsse Großbritannien nicht Mitglied der EU sein. "Ich denke, die EU wird von Deutschland dominiert", klagt der Engländer. Das zeigt sich ihm zufolge auch in seiner Branche: Große deutsche Staubsaugerhersteller würden in Brüssel die Gremien beherrschen, in denen Standards gesetzt und Regeln ausgearbeitet würden, sagt er. Dies führe dazu, dass EU-Vorschriften die veralteten Technologien dieser Rivalen begünstigten und Dyson-Geräte benachteiligten.

Der Gefesselte

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(Foto: Getty Images)

Jim Ratcliffe, 62, Milliardär, ist Eigner und Chef des Chemiekonzerns Ineos, der größten nicht-börsennotierten Firma Großbritanniens. Eine der wichtigsten Raffinerien der Gruppe steht im europäischen Ausland, in Köln. Trotzdem wirbt Ratcliffe (Foto: Getty) für einen Austritt aus der EU. "Die Briten sind perfekt in der Lage, sich selbst zu managen", sagt er. Sie brauchten keine EU, die ihnen vorschreibt, wie Dinge zu regeln seien. Die ganze Regulierung aus Brüssel mache den Kontinent schwerfällig und ineffizient. Zugang zum europäischen Markt hält der Manager zwar für wichtig, aber er weist auf das Vorbild Norwegen hin: Das Land habe diesen Zugang als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums, doch müsse es sich nicht mit der EU-Bürokratie herumschlagen.

Beim Referendum in Schottland hielten sich Manager und Verbandsvertreter lange zurück; sie wollten nicht mit einer klaren Festlegung Kunden und Mitarbeiter verärgern. Erst als Meinungsforscher die Separatisten im Aufwind sahen, warnten die Schwergewichte der britischen Wirtschaft vor den Nachteilen einer Abspaltung. Der mächtige Arbeitgeberverband CBI will diesen Fehler nicht wiederholen, weswegen er seine Mitglieder dazu aufruft, schon jetzt für die Vorteile der EU zu werben.

Dieser Appell brachte den Lobbyisten den Zorn europaskeptischer Konservativer wie Wirtschaftsminister Sajid Javid ein. Zudem zweifelten EU-Gegner aus dem Unternehmerlager die Behauptung des Verbands an, seine europafreundliche Haltung spiegele die Meinung der überwältigenden Mehrheit unter den Firmen wider. Business for Britain ist der Name der größten Initiative von EU-skeptischen Managern. Gut tausend Unternehmer schlossen sich bereits der Gruppe an. Sie wirbt für einen Austritt - es sei denn, Cameron gelänge wirklich eine umfassende Reform der Union. Doch das gilt als unwahrscheinlich. "Beim Status quo der EU kann sich Großbritannien eine Mitgliedschaft nicht länger leisten", sagt Geschäftsführer Matthew Elliott. Die Regeln der Union schadeten der Wettbewerbsfähigkeit.

Noch radikaler ist eine Kampagne namens The Know, also das Wissen, was aber ausgesprochen wird wie "Das Nein" - zur EU. Hinter ihr stehen reiche Unternehmer; sie wollen darüber aufklären, wie sehr viel besser es dem Land außerhalb der Union ginge, erläutern sie auf ihrer Webseite.

EU-kritische Manager weisen meist auf die Vorbilder Schweiz und Norwegen hin: Länder, die nicht in der EU sind und trotzdem ungehinderten Zugang zu dem riesigen Markt haben. Das erscheint zahlreichen Europagegnern als das Beste aus zwei Welten. Wobei die Gegner oft übersehen, dass die beiden Länder sich weiterhin an sehr viele der verhassten Brüsseler Regeln halten müssen.

Während mancher Manager die EU wegen eines Zuviels an Regulierung ablehnt, bezeichnet die britische Transportgewerkschaft RMT die Union interessanterweise als Gefahr für Arbeitnehmerrechte. Brüssels Drang, Märkte zu liberalisieren, schade ihren Mitgliedern, sagen Funktionäre. Daher werben auch sie nun für den Austritt. Die EU scheint es irgendwie niemandem recht machen zu können.

© SZ vom 30.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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