Brexit:Arbeitsplätze im Abflug

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Vom obersten Stock des Hochhauses 20 Fenchurch Street können Besucher die Aussicht aufs Londoner Bankenviertel genießen. Doch der Brexit bedroht viele Jobs in den Glastürmen. (Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images)

Weil die Verhandlungen stocken, wird die EU der Londoner Regierung beim Gipfeltreffen keine Wünsche erfüllen. Die britische Wirtschaft ist alarmiert.

Von Björn Finke und Alexander Mühlauer, London/Brüssel

Am Ende dieser Woche dürfte Theresa May wieder nicht das bekommen, was sie will. Die Staats- und Regierungschefs werden bei ihrem EU-Gipfel den Druck auf die britische Premierministerin erhöhen und am Freitag wohl lediglich eines beschließen: dass sie sich bei ihrem nächsten Treffen im Dezember noch einmal mit Mays Wünschen befassen. Das sollte es dann auch gewesen sein, denn aus Sicht der EU ist der Fortschritt in den Brexit-Verhandlungen noch lange nicht ausreichend, um, wie von London gewünscht, über ein künftiges Handelsabkommen und eine Übergangsphase nach dem EU-Austritt zu sprechen.

Im Entwurf der Gipfel-Erklärung findet sich lediglich ein Absatz, der May gewisse Hoffnungen machen kann. Darin erklärt die EU sich dazu bereit, bei ihrem Dezember-Treffen - im Falle eines ausreichenden Verhandlungsfortschritts - ein Mandat zu beschließen, um über die künftige Beziehung zu sprechen. Um dafür bereit zu sein, lade der Europäische Rat dazu ein, bereits jetzt "interne vorbereitende Diskussionen" zu führen. Weitaus deutlicher sind die Worte beim Thema Geld. London habe zwar zugesagt, "seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen", aber dies sei "noch nicht in eine feste und konkrete Zusage übersetzt" worden.

Auf die Frage, ob ihre Regierung ein neues Angebot gegenüber der EU plane, antwortete Mays Sprecher am Montag, dass sie ihre Position bereits in ihrer Rede in Florenz dargelegt habe. Damals hatte May sich dazu bekannt, dass kein EU-Land wegen des Brexit mehr zahlen oder weniger bekommen soll. Und dass London die Verpflichtungen für eine zweijährige Übergangsphase nach dem Brexit übernehme - das wären etwa 20 Milliarden Euro. Doch was ist mit den EU-Forderungen, die zwischen 60 und 100 Milliarden Euro liegen? Dazu gab es bisher keine Antwort.

Die britische Wirtschaft reagiert enttäuscht

Am Montagabend traf May EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Abendessen. Nachher wurde verkündet, das Gespräch sei konstruktiv und freundlich verlaufen. Allerdings hat EU-Chefunterhändler Michel Barnier vergangene Woche nach der fünften Brexit-Verhandlungsrunde gesagt, man stecke beim Thema Finanzen in der "Sackgasse". Vertreter der britischen Wirtschaft reagierten darauf enttäuscht. "Das Gerede vom Stillstand ist zutiefst beunruhigend für viele Unternehmen in Großbritannien und Europa", sagte Carolyn Fairbairn, die Chefin des größten Wirtschaftsverbands im Königreich, CBI. Es sei wichtig, dass sich beide Seiten bis Jahresende auf ein Übergangsabkommen einigten. Adam Marshall, Geschäftsführer des britischen Handelskammerverbands BCC, warnte, dass bei weiteren Verzögerungen alle Seiten verlieren würden.

Fest steht: Großbritannien tritt Ende März 2019 aus der EU aus. Welchen Bedingungen Geschäfte über den Ärmelkanal danach unterliegen, ist unklar, solange sich London und Brüssel nicht auf einen Handelsvertrag geeinigt haben. Diese Ungewissheit schadet der britischen Wirtschaft; schließlich ist die EU der wichtigste Exportmarkt. Nach dem Brexit könnten bürokratische Hürden oder gar Zölle den Handel erschweren. Die Wirtschaftsverbände fordern eine mehrjährige Übergangsphase nach dem Austritt, um diese Unsicherheit zu mindern. Während dieser Zeit soll sich an den Regeln für Geschäfte über den Ärmelkanal nicht viel ändern.

Auch May will eine Übergangslösung erreichen. Allerdings nützt eine Einigung darauf nur dann, wenn sie bald erfolgt. Dann könnten die Unternehmen beruhigt für die kommenden Jahren planen. Würden London und Brüssel erst im Sommer 2018 verkünden, dass eine Übergangsphase kommt, wäre es für viele Firmen zu spät. Sie hätten zu dem Zeitpunkt bereits Investitionen gekappt oder Jobs aus Großbritannien abgezogen, um sich darauf vorzubereiten, dass von Frühjahr 2019 an Exporte schwieriger werden könnten.

In London haben die Banken Pläne in den Schubladen, Abteilungen und Tausende Jobs von der Themse in EU-Staaten zu verlagern. Bisher können die Konzerne mit ihrer britischen Lizenz Kunden auf dem ganzen Kontinent bedienen. Verlässt das Königreich den Binnenmarkt der EU, ist das nicht mehr möglich; die Institute müssen Standorte auf dem Festland ausbauen und dort eine Genehmigung beantragen. So etwas dauert.

Banken haben Pläne in der Schublade, aus London wegzuziehen

Erhalten die Bankmanager nicht bald Gewissheit, dass sich im März 2019 erst einmal nicht viel ändert, werden sie ihre Umzugspläne hervorholen. Howard Davies, Aufsichtsratschef der Royal Bank of Scotland, sagte, die Branche könne nicht länger als März 2018 warten. Dann müssten die Konzerne mit den Umzügen beginnen. Die Bank of England erklärte sogar, bereits bis Weihnachten müsse Klarheit herrschen.

Doch die Verhandlungen zwischen London und Brüssel sind mühsam. Die britische Regierung musste zudem feststellen, dass auch andere Gespräche kompliziert sind. Gemeinsam mit der EU hat Großbritannien nun bei der Welthandelsorganisation (WTO) einen Vorschlag präsentiert, wie nach dem Brexit Einfuhrquoten aufgeteilt werden sollten. Europa schottet seine Märkte für Lebensmittel mit Zöllen ab, um die heimischen Bauern vor Konkurrenz zu schützen. Allerdings erlaubt die EU Staaten auf anderen Kontinenten, etwa den USA, bestimmte Mengen zu niedrigeren Zöllen oder gar zollfrei nach Europa zu verkaufen. Nach dem Brexit müssen diese Importquoten zwischen Großbritannien und dem Rest der EU aufgeteilt werden.

Brüssel und London schlagen vor, die Quoten mit Blick auf den Verbrauch der vergangenen Jahre aufzuteilen. Ging zum Beispiel besonders viel des Lammfleischs, das Staaten zollfrei in die EU exportieren dürfen, ins Königreich, sollte Großbritannien auch nach dem Brexit einen hohen Anteil dieser Importquote übernehmen und die verbleibenden EU-Staaten entsprechend einen kleineren. Insgesamt soll die Quote gleich bleiben. Doch Staaten, die viele Agrarprodukte in die EU exportieren, lehnen den Vorschlag ab. Sieben Länder, darunter die USA, Kanada und Neuseeland, fordern in einem Brief, dass die Quote insgesamt durch den Brexit steigen solle. Außerdem wollen sie bei den Gesprächen über die Aufteilung mitmischen.

US-Präsident Donald Trump hatte den Briten zuletzt andere Hoffnungen gemacht. Er sprach davon, mit Großbritannien schnell "einen schönen Vertrag" zu unterzeichnen. Doch der Ärger mit den Einfuhrquoten zeigt, dass Gespräche über Handelsfragen gar nicht so schön sind.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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