Brasilien:Rousseff aus dem Amt geworfen - jetzt hofft Brasilien auf den Boom

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Das brasilianische Wirtschaftswunder schien am Ende. Nach der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff könnte ein neuer Aufbruch bevorstehen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Auf einem in Brasilien berühmt gewordenen Titelbild des Wirtschaftsmagazins The Economist wurde die Christusstatue von Rio zu einer startenden Rakete umfunktioniert. Es stammt aus dem Jahre 2009, als es für die brasilianische Wirtschaft scheinbar keine Grenzen mehr gab. Vier Jahre später, als die Krise allmählich Formen annahm, erschien das Magazin noch einmal mit demselben Titel - bloß dass die Rakete diesmal im Sturzflug war. Nun hat das brasilianische Wirtschaftsfachblatt Istoé Dinheiro diese Idee kopiert. Der Christo steht wieder auf beiden Beinen. "Brasilien ist kurz davor, abzuheben", lautet die Schlagzeile.

Auf den ersten Blick gibt es kaum Gründe, daran zu glauben. Mit der Amtsenthebung von Dilma Rousseff erlebt die brasilianische Staatskrise gerade ihren traurigen Höhepunkt. Neuer Präsident ist nun Michel Temer. Zugleich steckt die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt in ihrer schwersten Rezession seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts fest. Das Bruttoinlandsprodukt sank im vergangenen Jahr um fast vier Prozent, für 2016 wird ein Rückgang um weitere drei Prozent erwartet. Viele Städte und Gemeinden sind pleite.

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Kommentar von Boris Herrmann

Seit der Economist seine Christusrakete abstürzen ließ, hat sich die Lage noch einmal dramatisch verschärft. Das Pro-Kopf-Einkommen der Brasilianer ist seither um 16 Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit hat sich fast verdoppelt, auf über elf Prozent. Auch die Staatsverschuldung wächst rasant. Trotzdem macht sich vorsichtiger Optimismus breit.

Der Internationale Währungsfonds IWF hat seine Brasilien-Prognose für 2017 zuletzt leicht nach oben korrigiert: von null Wachstum auf 0,5 Prozent. Immerhin. Das Magazin Istoé Dinheiro hat sogar zwei Prozent für 2017 errechnet und weitere vier Prozent für 2018.

Ist das Schlimmste also schon überstanden? Wenn man dem Gefühl der Anleger folgt, allemal. Der Aktienleitindex der Börse von São Paulo (Bovespa) kletterte seit Jahresbeginn um rekordverdächtige 37 Prozent. Die Investoren setzen offenbar darauf, dass der rechtsliberale Präsident Michel Temer nach der allgemein erwarteten Absetzung Rousseffs die Krise in den Griff bekommt.

Kai Michael Kenkel, Lateinamerika-Experte von der Katholischen Universität in Rio, schätzt die Lage skeptischer ein. Unter der Übergangsregierung Temer sei keines der strukturellen Probleme Brasiliens angegangen worden, im Gegenteil. Ausgerechnet bei der Bildung, dem Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung, werde jetzt gekürzt, beklagt Kenkel.

Offen ist auch die Frage, ob der neue Präsident Temer überhaupt die Zeit für unbequeme Reformen bekommt. Er ist in Brasilien schon jetzt so unbeliebt wie die Frau, die er ablösen will. Außerdem erhebt einer der wichtigsten Kronzeugen im Petrobras-Skandal schwere Korruptionsvorwürfe gegen ihn. Bestätigt sich der Verdacht, dann könnte der Aufbruch in Brasilien sehr schnell zu Ende sein.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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