Finanzen:"Zufallsgewinne" ist das Börsen-Unwort des Jahres

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Der Begriff "Zufallsgewinne" hat eher mit dem politischen Parkett zu tun als mit dem Börsenparkett, trotzdem ist er nun das Börsen-Unwort des Jahres. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Der Ausdruck machte 2022 Karriere, dabei ist er genau genommen eine sprachliche Doppelung - und damit gar nicht mal so sinnvoll. Drei rein zufällige Anmerkungen.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Wenn Deutsche über die Börse sprechen, dann ist das Bild vom Lottoladen noch einer der freundlicheren Vergleiche. Gewinne, so der Leumund des Parketts, seien an der Börse so zufällig wie der Erfolg mit dem Tippschein. Da mag es auf den ersten Blick verwundern, dass ausgerechnet Händler und Mitarbeiter der Börsen Hamburg, Hannover und Düsseldorf nun das Wörtchen "Zufallsgewinne" zum Börsen-Unwort des Jahres 2022 gekürt haben. So viel Selbstironie am Parkett?

Genau genommen spielte das Wort von den "Zufallsgewinnen" im abgelaufenen Jahr jedoch auf dem politischen Parkett eine Rolle, nicht auf den kerngeräucherten Eichenplatten der Börse: Wer Wind-, Kohle- oder Atomstrom günstig produzierte, konnte zu Spitzenzeiten horrender Strompreise Unsummen verdienen. Rückwirkend zum 1. Dezember will die Bundesregierung einen Teil dieser Zufallsgewinne nun "abschöpfen". "In bester Unwort-Manier wurden die Zufallsgewinne unter Börsianern schnell zum geflügelten Wort", sagt Rolf Deml, der Chef der Börse Düsseldorf. "Man spekulierte humorvoll, ob etwa Speiseeishersteller oder Brauereien im Hitzesommer die nächsten Branchen seien."

(Foto: SZ-Grafik/Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache)

Die sonderbare Karriere des Wortes genau zu sezieren, lohnt sich jedoch nicht nur inhaltlich - sondern auch sprachlich. Was auf den ersten Blick wie ein zusammengesetztes Wort aus den Zweisilbern Zufall und Gewinn wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als sprachliche Doppelung. So meint der Zufall heute zwar bloß noch ein "überraschendes Ereignis", stammt sprachhistorisch jedoch vom mittelneuhochdeutschen zuofal ab, dem "jemandem zufallende Besitz oder Vorteil". Genau genommen trägt der Zufall den Gewinn also schon in sich. Man könnte auch sagen: der Zufalls-Gewinn-Gewinn.

So schief wie diese Doppelung war auch die Wortakrobatik der Berliner Politikerinnen und Politiker, als sie das Wort am 4. September vorigen Jahres in die politische Debatte einbrachten. Während den gesamten Sommer von "Übergewinnen" der großen Ölmultis die Rede war, die vor allem Grüne gerne "wegbesteuern" wollten, passte dies dem liberalen Finanzminister Christian Lindner nicht ins Konzept - weder politisch, noch sprachlich. So einigten sich die Berliner Ampelkoalitionäre an jenem Sonntag auf die Sprachformel von den "Zufallsgewinnen" der Stromerzeuger, die man künftig "abschöpfen" wolle. Und die formell auch keine Steuer sind.

In die Süddeutsche Zeitung fand das Wort übrigens erstmals am 26. Juni 1971 Eingang, als ehemaliges Ackerland fleißig zu Bauland umdeklariert wurde. Wohnungsbauminister Lauritz Lauritzen, SPD, sprach damals vom leistungslosen Vermögenszuwachs, einem reinen Zufallsgewinn für "Glückskönige". Die Brücke zum Lotto schlug Lauritzen selbst, taxierte den Vermögenszuwachs durch Umwidmung von Ländereien auf sieben Milliarden Mark im Jahr, 20 Millionen Mark am Tag - oder "40 Hauptgewinne im Lotto".

Hier kommt die dritte Absurdität des Wortes zum Tragen: Den Stromerzeugern soll ein Teil ihrer Gewinne weggenommen werden, weil diese schließlich zufällig entstanden seien. Beim Lotto kassieren Gewinnerinnen und Gewinner die Summe jedoch steuerfrei. Begründung? Es handelt sich dabei um reinen Zufall.

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