"Warum gibt es hier so viel Hass auf die Blockchain?", fragte vor einiger Zeit ein Nutzer im amerikanischen Programmierer-Forum Hackernews, das nicht für Software-Skepsis bekannt ist. Ein anderer erwiderte trocken: Die große Mehrzahl der Start-ups im Bereich Blockchain und Kryptowährung seien Abzock-Maschen. Der Rest versuche, die Technik für völlig unpassende Zwecke zu verwenden.
Nun ist die Realität etwas komplizierter, aber die Euphorie ist vorbei. Oder vielmehr ist der "Höhepunkt der übersteigerten Erwartungen" überschritten, wie die Marktforschungsagentur Gartner es formuliert. Seit 2016 galt die Blockchain, das dezentrale Verfahren zum Speichern und Prüfen von Informationen, als nächste große Plattform nach World Wide Web und mobilem Internet.
Die Versprechen reichten ins Utopische, schaltet ein solches System doch die bisherigen Vermittler aus: ein Finanzwesen, das ohne Banken auskommt. Verträge, deren Einhaltung sich automatisiert prüfen lässt. Ein dezentrales Internet, das Regierungen nicht zensieren können. Und natürlich eine neue Generation von Superfirmen wie Google und Facebook.
Solche Aussichten lockten Investoren. Und Gründer, wovon einige nur ein vages "auf Blockchain-Technologie basierend" in ihre Präsentation einfügten, um Geld zu sammeln. Vergangenes Jahr flossen einer Schätzung des Branchendienstes Coindesk zufolge mehr als drei Milliarden Dollar Risikokapital in den Bereich.
Der Crypto-Rausch erinnerte an Dotcom-Zeiten
Gelockt wurden aber auch Betrüger. 2017 wurden zahlreiche als "digitales Gold" gelobte Kryptowährungen Opfer von Hacker-Angriffen, stellten sich als Betrugsmasche heraus oder waren bestenfalls eine Anlage für Zocker. Auch die lange unregulierten Crowdfunding-Kampagnen ("Initial Coin Offerings", kurz ICO genannt), die Anteile an Firmen oder Projekten ausgaben, gerieten in den Ruf, ein Betätigungsfeld für Trickbetrüger zu sein.
Dass das an wildeste Dotcom-Zeiten erinnerte, geben selbst Anhänger wie der New Yorker Hightech-Investor Fred Wilson zu. Er aber argumentiert, dass Ende der Neunzigerjahre eben nicht nur Geld verbrannt, sondern auch Kapital für die Entwicklung vom Einwahl- zum Breitband- und Mobilfunk-Internet freigesetzt wurde, das die digitale Revolution ermöglicht habe. Nur sei die Blase dieses Mal zu früh geplatzt. Am Ende des Winters sehe er nun "den Frühling am Horizont", schrieb Wilson vor Kurzem auf seinem Blog.
Die amerikanische Jura-Professorin Angela Walch, die sich mit technischen und rechtlichen Aspekten der Blockchain beschäftigt, ist da vorsichtiger: "Wir versuchen immer noch zu verstehen, was die Blockchain-Technologie kann - und was sie überhaupt ist."
In der Theorie ist die Blockchain eine Datenbank, die auf mehreren Computern verteilt existiert. Veränderungen lassen sich so kollektiv notieren und beglaubigen - eine zentrale Prüfstelle wird unnötig.
In den vergangenen Jahren liefen vom Versicherungswesen bis zur Müllentsorgung weltweit Blockchain-Pilotprojekte an. Viele wurden wieder eingestellt, weil sich der Einsatz als unnötig, ineffizient oder zu teuer herausstellte. Das US-Wirtschaftsministerium bilanzierte, dass die meisten Akteure noch nach dem Motto "Wir wollen die Blockchain benutzen, wo geht das?" verfahren. Und dann enttäuscht sind.
Neben Krypto-Zahlungsmethoden soll nun vor allem bei Lieferketten der Nutzen bewiesen werden. Start-ups und Firmen versuchen, Metalle wie Kobalt, Lithium, aber auch Diamanten von der Mine bis zum Kunden identifizierbar zu machen. Das soll verhindern, dass die Herkunft verschleiert wird. Die Pharmabranche hofft, den illegalen Medikamentenhandel und Produktfälschungen einzudämmen, bei Lebensmitteln wären gezieltere Rücknahmen schadhafter Produkte möglich.
Grundsätzliche Zweifel nicht entkräftet
Diese Vorstellungen stehen allerdings aus gutem Grund im Konjunktiv. Je mehr Firmen sich an solch einer Logistik-Blockchain beteiligen, desto schwieriger ist es, sich auf eine gemeinsame Technologie zu einigen. Bislang gibt es, anders als beim World Wide Web, auch noch keinen einheitlichen Standard oder flächendeckende Kompatibilität.
Ob die Technik wirklich zum nächsten Web taugt, bezweifeln die beiden Princeton-Ökonomen Joseph Abadi und Markus Brunnermeier. In einem viel beachteten Papier formulierten sie vergangenes Jahr das "Blockchain-Trilemma". Keines der Systeme könne alle drei Eigenschaften gleichzeitig garantieren: dezentrale Struktur, Transparenz, Kosteneffizienz. Erneut könnte also eine kleine Gruppe von Firmen den Markt unter sich aufteilen. Zuletzt machten Microsoft und IBM mehr als 50 Prozent des Umsatzes in dem Bereich.
Auch die Juristin Angela Walch fordert, Blockchain-Begriffe wie "dezentral" und "transparent" zu hinterfragen. "Der Konflikt, wer damit Geld verdient und wie das Verhältnis zwischen öffentlichem Sektor und Privatunternehmen sein sollte, wird auch hier weitergehen", prophezeit sie. "Und manch einer wird Kunden schlicht minimal verbesserte Systeme verkaufen und behaupten, es handele sich um eine Revolution."