Ein Jahr nach dem Hype:Bitcoin ist klinisch tot

Lesezeit: 3 Min.

Nur noch etwa 4000 Dollar Wert: Ein Bitcoin. (Foto: Bloomberg)
  • Digitales Gold, einfaches Zahlungsmittel, absolut sicher, egalitäres Projekt - die Bitcoinszene war noch nie um ein neues Heilsversprechen verlegen.
  • Bisher hat die Szene noch keine ihrer Versprechungen eingelöst.
  • Die Bitcoinszene sollte Schluss machen mit dem kollektiven Selbstbetrug und anerkennen, dass ihr Projekt wohl keine große Zukunft mehr hat.

Kommentar von Victor Gojdka

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, als Bitcoininvestoren die Zukunft in den rosigsten Tönen malten: Die Digitalwährung sollte den Dollar ersetzen, Zentralbanken entmachten und in ihrem Höhenflug jungen Techgeeks ewigen Reichtum bescheren, gewissermaßen nebenbei. Zum zehnten Geburtstag der Kryptowährung zeigt sich nun ein desaströses Bild: Kaum eine der Versprechungen ist wahr geworden.

Während der Preis der Kryptowährung von einst 20 000 Dollar Richtung 4 000 Dollar taumelt, begeht die Kryptoszene kollektiven Selbstbetrug. Irgendeine Ausrede für das Siechtum des Bitcoin findet sie immer: Einmal habe ein amerikanischer Starbanker gegen Bitcoin gewettert und so Panik verursacht. Kürzlich, so hieß es, habe der Kampf zweier Größen im Kryptogeschäft die Anleger verunsichert. Manchmal fehlen angeblich positive Nachrichten, um den Kurs zu stützen. Mit anderen Worten: Irgendwas ist immer.

Faule Ausreden der Enthusiasten

Mit derlei Ausreden belügen sich die Bitcoinenthusiasten selber. Für sie kann nicht sein, was nicht sein darf: Als Zahlungsmittel ist die Währung nicht zu gebrauchen, als Wertspeicher für Krisenzeiten viel zu wackelig - und obendrein hat sie Abermillionen an Anlegergeldern verpuffen lassen. An fünf Punkten lässt sich zeigen, wie die Bitcoingemeinde Versprechen um Versprechen kassieren musste.

Ihren Aufschlag machten die Bitcoinjünger mit keinem geringeren Versprechen, als Dollar, Euro und Yen als internationales Zahlungsmittel zu ersetzen. Egal ob Auto, Kaffee oder Büroregal, alles sollte man weltweit mit Bitcoin bezahlen können. Bald jedoch fand die Öffentlichkeit heraus, wie schleichend lahm das Netzwerk ist. Während der Kreditkartenbetreiber Visa bis zu 65 000 Überweisungen pro Sekunde abwickelt, schafft Bitcoin gerade sieben Transaktionen. Im besten Fall kann man es tragisch nennen, wie weit Anspruch und Realität auseinanderklaffen.

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Kaum war der erste Zweck enttarnt, servierte die Kryptogemeinde die nächste Geschichte: Als absolut sicher priesen Bitcoinexperten die Überweisungen im System. Das ist grob irreführend. Denn wider besseres Wissen verschweigen die "Experten", dass das Netzwerk an sich zwar sicher ist, Hacker und Kriminelle an den unsicheren Zugängen zum System unbedarften Anlegern aber sehr wohl Millionen aus den Taschen gezogen haben.

Wie ein Synchronspringer mit der Börse in den Abgrund

Als solche Betrügereien Aufruhr auslösten, hatten Bitcoinjünger schon die nächste schöne Erzählung parat: Wer sein Geld für Krisenzeiten nicht in Staatswährungen parken wolle, solle doch zu Bitcoin greifen. Enthusiasten lobten die Digitalwährung als digitales Gold. Doch was nach Substanz, Sicherheit und Seltenheit klang, hielt nicht lange.

Allein in diesem Jahr hat Bitcoin rund 80 Prozent seines Werts eingebüßt. Das ist kein Indikator für Stabilität, schon gar keine Beruhigung für Krisenzeiten. Ganz im Gegenteil: Als es an den Weltbörsen im Oktober rumpelte, stürzte Bitcoin wie ein Synchronspringer mit in den Abgrund. In den vergangenen Wochen zeigten die Kurven des amerikanischen Aktienindex Dow Jones und von Bitcoin einen auffälligen Gleichlauf. Gefährlich für Investoren, die sich mit Bitcoin vom Lauf der Aktienbörsen abkoppeln wollen.

Keine Hoffung auf Rettung durch die US-Börsenaufsicht

Schlussendlich sind auch die ideologischen Hoffnungen der Bitcoinenthusiasten zerschellt. Kein Staat, keine Zentralbank, keine Bank, kein Kreditkartenunternehmen sollte das Sagen haben im Bitcoin-System. Der Sound der Anhänger kündete von Anarchie, von Gleichheit und Gerechtigkeit. Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich Bitcoin als Machtmaschine für wenige: 97 Prozent aller Bitcoin-Einheiten befinden sich in den Händen von nur vier Prozent der Nutzer. Immer wieder machen Gerüchte die Runde, schwerreiche Bitcoinmagnaten hätten inzwischen so viele Bitcoin in ihre digitalen Tresore geschaufelt, dass sie mit gezielten Käufen und Verkäufen sogar den Preis der Währung manipulieren könnten.

Als letzten Strohhalm klammern sich die Bitcoinjünger nun ausgerechnet an die US-amerikanische Börsenaufsicht. Die könne spezielle Finanzvehikel zulassen, die das Spielgeld milliardenschwerer Großanleger in die Netze der Digitalwährung dirigieren können. Doch das bezeichnete die Behörde kürzlich als "höchst unwahrscheinlich".

Die Bitcoinszene sollte Schluss machen mit dem kollektiven Selbstbetrug. Ja, vielleicht überlebt die eine oder andere Kryptowährung, sofern sie im Alltag Nutzen stiftet. Bitcoin hingegen dürfte es ergehen wie einem der ersten Internetbrowser. Das Internet nutzt heute jeder, mit Netscape aber surft schon lange niemand mehr.

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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