Bio-Eis aus Dänemark:Wirtschaftswunder auf einer Insel

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  • Ein dänisches Ehepaar hat auf der einsamen Insel Skarø eine Bio-Eis-Fabrik errichtet.
  • Statt Zucker und Geschmacksverstärkern nutzen sie selbst gefischten Seetang und Birkensaft.
  • Der Betrieb schafft für die Inselbewohner nicht nur Arbeitsplätze, er sichert ihnen sogar ihre Existenz.

Von Anke Lübbert, Skarø

Langsam schiebt sich die Fähre durchs Gewässer. 45 Minuten braucht das Schiff nach Skarø, der kleinen Insel inmitten des Seegebiets im Süden Dänemarks. Deutsche Segler nennen die Region gern "Dänische Südsee", weil es hier so idyllisch ist. Sechs Autos haben auf der Fähre Platz, und beim Blick in den Aufenthaltsraum ahnt man, wie es auf der Insel sein wird: einsam. Eine Frau steht am Kaffeeautomat, zwei Männer sitzen auf den Bänken. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten noch mehr als 200 Menschen auf Skarø, überwiegend Bauern und Fischer. Heute sind es offiziell noch 34 Menschen, meist ältere Männer. Landwirtschaft und Fischerei werfen nicht mehr genug für ein Leben ab, der Tourismus auch nicht.

Aber nun gibt es hier dieses Eis.

Britta Tarp, 51, steht schon seit dem frühen Morgen in weißer Kleidung und Haarkappe vor der Pasteurisierungsmaschine. Gemeinsam mit dem Techniker versucht sie, die Anlage zum Laufen zu bringen, die 10.000 Eisportionen täglich produzieren soll. Sieben Millionen Kronen, umgerechnet etwa eine Million Euro, haben sie und ihr Mann Martin Jørgensen, 52, in die Eismanufaktur investiert. Eis macht sie schon seit Jahren. Erst war es nur ein Saisongeschäft für die Touristen. Doch jetzt wollen plötzlich jede Menge Leute in Dänemark dieses Eis kaufen - das Skarø Is.

Es ist Bioeis aus vorwiegend lokalen Produkten, mit Seetang und Birkensaft statt Zucker, keine Zusätze. 34 Gourmet-Eissorten hat Martin Jørgensen, der Kreative im Team, mittlerweile geschaffen, viele davon exklusiv für einzelne Kunden. Eine Sorte für das Northside Musikfestival bei Aarhus, eine andere zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts. Das größte Aquarium Nordeuropas, Kopenhagens "Den blå Planet", der blaue Planet, verkauft seine Kindereissorten Blipper und Blopper mit Meerestieren aus weißer Schokolade auf Beerensahneeis.

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Wann genau der Siegeszug von Skarø Is begann, ist nicht ganz geklärt. Im Sommer 2009 besuchte die dänische Königin die Insel und probierte das Eis. Es gab Fotos in vielen Zeitungen, die Königin soll angetan gewesen sein. Ein Jahr später präsentierten Martin Jørgensen und Britta Tarp ihr Eis auf einer Lebensmittelmesse in Kopenhagen und ergatterten den ersten großen Auftrag: Die Fluggesellschaft Singapore Airlines wünschte sich ein Eis, exklusiv für ihren Flug Kopenhagen-Singapur. Sie bekamen das Singapore Sling Eis, ein Ananas Sorbet.

Jørgensens neuestes Steckenpferd ist die Medizin: In Zusammenarbeit mit dem Kopenhagener Rigshospital hat Jørgensen ein Eis für Krebskranke in der Chemotherapie entwickelt, das besonders proteinhaltig ist. Es soll verhindern, dass die geschwächten und häufig appetitlosen Patienten Kraft und Muskeln verlieren, und dafür sorgen, dass sie sich schneller erholen. Ein Eis hat Jørgensen speziell für Sportler entworfen, ein anderes kann direkt nach einer Anästhesie gegessen werden. Es enthält probiotische Bakterien, und soll für den leeren Magen besonders bekömmlich und leicht zu schlucken sein.

Martin Jørgensen sagt, dass es ihm darum geht, die Natur zu beobachten und daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie man sie - zum Beispiel in der Eisproduktion - für sich nutzen kann. Der Seetang, zum Beispiel, der sollte eigentlich wertvolle Omega-3-Fettsäuren in das Eis bringen. Hat nicht so geklappt. "Aber stattdessen haben wir entdeckt, dass der Tang wie ein Geschmacksverstärker wirkt", sagt er und strahlt. Er liest wissenschaftliche Studien, diskutiert seine Ideen mit anderen und trifft trotz der räumlichen Abgeschiedenheit offenbar recht genau den Zeitgeist. "Ich habe keine Ausbildung und kein Studium absolviert", sagt er, "und bin sehr froh, dass sich Wissenschaftler auf Augenhöhe mit mir auseinandersetzen."

Sein Terminkalender ist gut gefüllt: Treffen mit Medizinern, mit Geschäftskunden, Delegationen aus Japan oder China. Die Europäische Kommission hat einen Preis an die Firma vergeben, weil Fischer, die wegen des sinkenden Fischaufkommens aufgeben mussten, nun für Skarø Is Seetang aus dem Kattegatt fischen.

Die beiden Gründer sind ein erstaunliches Team, und sie könnten gegensätzlicher nicht sein. Martin Jørgensen, rote Wangen, runder Körper, wirkt auf den ersten Blick etwas behäbig. Doch wer eine Weile mit ihm spricht, merkt, welch unruhiger Geist in ihm steckt. Er ist der Erfinder, der Visionär im Team. Ganz anders Britta Tarp: Sie ist die Pragmatische, die, die Verträge genau kennt, Termine nicht vergisst und dafür sorgt, dass die Maschinen laufen. Nüchtern, entschlossen, zäh. Sie macht keine großen Worte, das überlässt sie ihrem Mann. "Wir haben nichts gemeinsam außer dem Eis und den Hunden", sagt Martin Jørgensen über seine Frau. "Aber keiner von uns könnte die Firma ohne den anderen machen."

Nach wie vor betreiben die beiden ihr Café auf dem Hof, das gleichzeitig eine Art Mini-Laden ist. Hier sitzt Jørgensen, redet mit Besuchern und winkt einem Nachbarn zu, der sich gerade Pasta, Bier und Toilettenpapier holt. Auf dem Hof herrscht zuweilen Ferienlagerstimmung, wenn Jørgensen für Gäste, Techniker und die französischen Studenten kocht, die für ihn und Britta Tarp das Eis verkaufen. Das Café ist Hofladen, Ideenschmiede, Hipstertreffpunkt. Martin Jørgensen nennt es Showroom.

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Das Geschäft läuft, allerdings wird es noch einige Jahre dauern, bis der Kredit für die neue Produktionsanlage abgezahlt ist. Viel günstiger ließe sich das Eis natürlich woanders produzieren, wo man Zutaten nicht hin- und Eis nicht wegtransportieren müsste. Aber ein Umzug kommt für Martin Jørgensen nicht in Frage. "Ich brauche diese Insel", sagt er "meine Kreativität kommt erst bei den Spaziergängen mit dem Hunden am Strand." Er weiß, dass der Expansion auf der Insel Grenzen gesetzt sind, denkt deshalb auch über eine Lizenzvergabe an andere Produzenten nach. Aber das Leben auf der Insel, die sozialen Kontakte, das will er in keinem Fall aufgeben - allen Wirtschaftsberatern zum Trotz. "Ich bin stolz auf unseren Erfolg", sagt er, "aber ich weiß auch, woher er kommt."

Auch die Insel profitiert von dem Eis. Der kleine Betrieb schafft ein paar Arbeitsplätze, den Birkensaft liefern Bäume aus Skarø, und vor kurzem hat ein Nachbar angeboten, Erdbeeren für Skarø Is zu produzieren. Das Wichtigste aber: "Solange wir hier sind, kann uns die Lokalregierung die Fähre nicht wegnehmen", sagt Martin Jørgensen. Und weil es auf der Insel einen Betrieb gibt, muss die Regierung auch für schnelle Internetverbindungen sorgen, so verlangt es das Gesetz. Das Eis - für die Insel ist es eine Überlebensgarantie.

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